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Blick durchs Fenster auf das Aktionstraining der Letzten Generation

Siri Malmborg / FM4

Wie die Letzte Generation für ihren Protest trainiert

Welches Lösungsmittel wirkt am besten gegen Superkleber? Warum lässt man sich von aggressiven Passanten anpöbeln? Und wie ist es im Häfen? Auf das und mehr bereitet sich die Letzte Generation bei Aktionstrainings vor, die Neulingen einen Crashkurs in zivilem Ungehorsam bieten. Wir waren bei so einem Training dabei.

Von Siri Malmborg

In einem leergeräumten Seminarraum machen bei unserem Besuch gerade sieben Neulinge den Protest-Crashkurs der Letzten Generation. Bei einer der Übungen sollen sie ausprobieren, wie es sich anfühlt, beschimpft zu werden: Vier von ihnen schreien und drängeln, bis sich die anderen drei auf den Boden setzen. „Wenn einem jemand laut begegnet, holt ihn laut ab und geht dann mit der Stimme runter. Oft geht das Gegenüber mit“, sagt Martha Krumpeck von der Letzten Generation. Sie leitet heute das Training.

Martha Krumpeck ist mittlerweile ein bekanntes Gesicht der Bewegung. Sie weiß, wie vielen Menschen in Österreich sie auf die Nerven geht - speziell Politikerinnen und Politikern. Sie hält das aus, genauso wie sie 42-tägige Gefängnisaufenthalte und eintrudelnde Klagen wegsteckt. Auf all das bereitet sie hier auch die Newbies vor, die bei kommenden Störaktionen dabei sein wollen.

Packerl und nasser Sack

So ein Aktionstraining dauert etwa dreieinhalb Stunden. Bis zum Start der nächsten Protestwelle am 13. Februar finden solche Trainings alle zwei bis drei Tage statt, jeder Termin mit bis zu zehn Personen. Das Wichtigste ist für Martha Krumpeck, dass die Teilnehmenden bei den Trainings verstehen, dass absolute Gewaltfreiheit gilt: „In dem Moment, in dem wir nicht mehr absolute gewaltfreie Disziplin halten, haben wir einfach verloren. Da gibt es keine kleine Chance mehr, dass wir das noch irgendwie drehen.“

Die Trainingsgruppe besteht diesmal aus zwei Männern und fünf Frauen im Alter zwischen 20 und 36 Jahren. Mit ihnen übt Martha Krumpeck verschiedene Körperhaltungen, wenn es darum geht, von der Polizei abtransportiert zu werden. Es gibt das „Packerl“ und den „nassen Sack“. Beim „Packerl“ zieht man die Beine an und verhakt die Arme in der Kniekehle. Der „nasse Sack“ - ein vollkommen schlaffer Körper - sei hart für den Polizeirücken, und gebe ärgere Bilder her, sagt Martha Krumpeck.

Martha Krumpeck lässt sich bei einer Übung des Aktionstrainings der Letzten Generation von den Teilnehmenden abtransportieren

Siri Malmborg / FM4

Verkehrsunterbrechung als next level Protest

Das Aktionstraining ist verpflichtend - auch wenn manche der Teilnehmenden schon auf Demos waren. Ziviler Ungehorsam in Form einer Verkehrsunterbrechung ist doch ein anderes Kaliber, „weil man sich den Menschen wirklich in den Weg setzt, sich den Aggressionen aussetzt“, sagt Martha Krumpeck. „Bei Demos ist man eine größere Zahl an Menschen, man wird geschützt von Ordnerinnen und durch die Polizei; der Verkehr ist schon umgeleitet. Wenn wir uns da auf die Straße setzen, sind wir eigentlich alleine.“

Keine Angst vor Strafen, sondern vor der Klimakatastrophe

Einstellen können sich die Newbies auch auf Strafen. Martha Krumpeck erzählt, dass die Polizei die Protestierenden anfangs meistens laufenließ, und die Strafen danach per Post kamen. Mittlerweile seien sie dazu übergegangen, alle mit ins Polizeianhaltezentrum zu nehmen. Über Nacht müsse aber - meistens - niemand bleiben.

Anonymität gibt es bei den Aktionen nicht: „Wir gehen immer mit einem Gesicht in Aktion. Wir haben nichts zu verstecken. Wir fürchten uns vor der Klimakatastrophe - nicht vor dem, was uns der Staat noch antun kann.“ Man muss sich aber nicht gleich bei der ersten Aktion ankleben. Es gibt auch unterstützende Rollen wie das Film- und Fototeam, Social Media oder IT-Support.

Alle Finger noch da

Vor blutigen Händen müssen sich die Aktivistinnen und Aktivisten beim Ankleben nicht fürchten. Die Methoden der Polizei zum Ablösen festgeklebter Hände seien besser geworden, sagt Martha Krumpeck. Anfangs hätten sie noch mit einem schwachen Kleberentfernungsspray und Metallspateln gearbeitet. „Da hatte ich schon mehrmals blutige Finger davon. Aber wie man sieht, sie sind alle dran und sie sind wieder heil“, sagt Martha Krumpeck. Mittlerweile hat die Polizei eine effektivere Methode gefunden: Sie tränken Mullbinden in Lösungsmittel und ziehen sie so oft unter der Hand hin und her, bis sich der Kleber löst.

Aktivistin Martha Krumpeck zeigt ihre Handflächen, die vom Superkleber keinen Schaden genommen haben

Siri Malmborg / FM4

Martha Krumpeck erzählt den Neuen nicht nur von aggressiven Passanten und Nächten im Gefängnis, sondern auch vom Zuspruch der Umstehenden. Eine Frau hätte mal beim Bäcker Jause für alle gekauft und heißen Tee gebracht. Die Studentin und Aktivistin Nadja teilt diese Erfahrung: ein Passant hätte ihr einmal eine Flasche Wasser über den Kopf gekippt, da sei eine Autofahrerin ausgestiegen und habe ihr geholfen. Diese oft übersehene Unterstützung motiviert, sagt Martha Krumpeck.

„Whatever it takes“

Alle Newbies vereint das Gefühl, etwas tun zu müssen, um nicht komplett zu verzweifeln. Wenn sie ab Montag bei den Störaktionen mitmachen wollen, sollen sie sich in ein Online-Formular eintragen. Der 36-jährige Leo überlegt, wie er die Teilnahme an den Aktionen mit seinem Job vereinbaren soll: „Das wird der Knackpunkt. Ich werde mir dann wirklich tageweise frei nehmen müssen.“

Die Studentin Nadja hat davor schon bei Lobau Bleibt und Extinction Rebellion mitgemacht. Sie stellt den Kampf gegen zahnlose Klimapolitik mittlerweile über Job und Studium und folgt damit Martha Krumpecks Motto whatever it takes. Nadja will sich später, wenn sie mal Kinder hat, selbst in die Augen blicken können: „Wenn die mich mal fragen, Mama, was hast du eigentlich damals dagegen gemacht? Habt ihr das wirklich alles gewusst und keiner hat es was gemacht? Dann will ich auf diese Frage einfach nicht ‚ja‘ sagen“, erzählt sie. „Ich will sagen können, ich hab alles gemacht was in meiner Macht gestanden ist, um mich für die Zukunft unserer Kinder und der nächsten Generationen einzusetzen.“

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