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Portrait Foto Neon Neet

© Cristina Ferri

Neon Neet und ihr Elektropop Album „post-human“

Wieviel Menschlichkeit steckt noch in unserer Gesellschaft? In den Social-Media-Blasen und in der Musik? Das Elektro-Pop-Duo Neon Neet stellt sich diesen unangenehmen Fragen auf ihrem Debüt „post-human“ und plädieren für eine menschlichere Welt mit Fehlern, Mut zum Experimentieren und zu klaren Standpunkten.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Vor knapp zwei Jahren geisterte ein „neuer“ Nirvana Song durch die Medien. Dabei war „Drowned In The Sun“ von einer künstlichen Intelligenz geschrieben worden, was man dem plumpen Lied auch angehört hat. Zumindest, wenn man sich viel mit Musik auseinandersetzt. In der Malerei ist schon länger ein Kampf zwischen Künstler*innen und den Machern von KI-Plattformen entbrannt, wie erst kürzlich auch der Bayrische Rundfunk berichtet hat. Selbst im politischen Bereich gibt es schon die Möglichkeit, dass ein Roboter die Fragen von einem Parlamentsausschuss beantwortet. Zumindest in England. Auch wenn das nur Annäherungen und Projekte sind, soll so unsere Zukunft aussehen oder sich anhören?

Fragen, die die beiden Tiroler Musiker Dorian Windegger und Philipp Koell alias Neon Neet in den letzten Jahren sehr beschäftigt haben. Das Ergebnis dieser Beschäftigung machen sie auf ihrem Debüt „post-human“ hörbar. Und dabei geht es zum Glück sehr menschlich zu.

Die Liebe zu Fehlern und zum Verfremden

Es „menschelt“, wenn Dorian und Philipp darüber scherzen, dass sie sich laut Gründungsmythos Backstage bei einem Motorhead Konzert kennengelernt haben. In Wirklichkeit sind sie Schulfreunde, die klassisch begonnen haben, miteinander in einer Band zu spielen. Getrennt studierend in Salzburg und Wien haben die beiden Tiroler dann angefangen, über das Internet Songs zu komponieren. 2019 ist der erste Track „Extension“ erscheinen. Ein markanter Elektropop Song mit herausstechenden, schrillen Synthies, stampfenden Beats, verzerrten Soundscapes und energiegeladenen Vocals.

Philipp Koell: „Ich liebe es einfach, Dinge so weit zu verfremden, um zu schauen was dann passiert. Die kleinen Fehler sind das, was die Songs für mich interessant machen. Wo die Dinge anfangen zu zerbrechen, da entsteht Kunst und da setzten wir an und versuchen rhythmisch Beats darunter zu bauen in der Hoffnung, dass Menschen dazu auch tanzen können.“

Albumcover "post-human" der Band Neon Neet

Philipp Köll

Das Debüt „post-human“ von Neon Neet ist auf Assim Records erschienen.

Insofern bedeutet Kunst eben nicht „künstlich“. Sehr intuitiv und experimentell ist die Arbeit von Neon Neet. Auch wenn bei „Loop You“ der repetitive Aspekt zu überwiegen scheint, atmet der Song, entwickelt sich in den Details, dem sanften Übereinanderschichten von Sounds, der uns in den hypnotischen Fluss hineinzieht. „Persuation“ präsentiert sich vertrackter und etwas sperriger durch wabbernde Bässe und verschrobene Beats. Einmal mehr wird hier der Gesang verfremdet und so dem „menschlichsten“ Instrument, der Stimme, die technologisierte Künstlichkeit gegenübergestellt.

Und sollte es beim produzieren doch einmal zu „verkopft“ werden, dann scheuen sich die beiden Musiker nicht davor, Songs komplett auseinanderzunehmen und völlig neu zusammenzusetzten. So geschehen bei dem Track „Redefine“, der zwar mit klassischem Strophe-Refrain-Zyklus funktioniert, aber in sich immer wieder zusammenfällt, Stimmen verfremdet, mit den Harmonien spielt, R2D2-artige Bleeps einbaut und es trotzdem schafft, einen internationalen Pop-Appeal zu vermitteln.

Von Selbstoptimierung zur fehlenden Solidarität

Thematisch stellt sich auf „post-human“ die Frage, ob der Mensch ein Auslaufmodell ist. So hinterfragt der Song „Down“ die „entmenschlichende Technologisierung“ von Beziehungen durch Social Media & Co. Wollen wir mitmachen bei der ständigen Selbstoptimierung und dem sich Präsentieren von der besten Seite? Beim Aufrechterhalten einer bubble, die nach außen ein erfülltes und perfektes Leben suggeriert und oftmals unter dieser Oberfläche ein Heischen nach Aufmerksamkeit und letztlich Liebe ist?

Umgesetzt wird dieser Song über toxische Beziehungen mit treibendem Groove, verzerrtem R’n’B-Flair in der Strophe und einem Ohrwurmrefrain, der Chart-tauglich ist.

Die Dringlichkeit der Themen, die Neon Neet musikalisch und inhaltlich umhertreiben, hört man auch dem Track „Urge“ an. Mit dezenten Klavierakkorden, die sich- auch wieder leicht entfremdet - im Hall des Raumes verlieren, stehen der tanzbare Beat und sanfte Synthieflächen im Vordergrund. Eine Portion Melancholie verbindet sich hier mit einem klaren Statement zur derzeitigen Weltlage.

Dorian Windegger: „Der Song hatte für mich zum ersten Mal nicht ein intrinsisches Motiv, dass ich meine innere Gedankenwelt in einen Text verpacke, sondern es war ein Drang, über das derzeitige soziale Gefüge zu schreiben. Weil mir vorkommt, dass in der Welt fehlende Solidarität vorherrscht. Und die Pandemie, die das alles noch deutlicher gemacht hat.“

Von Lügen und Kompromissen

Was macht uns Menschen aus? Was werden Copmuter und KI niemals schaffen? Es wäre wohl zu viel hineininterpretiert, würde man aus „post-human“ klare Antworten auf diese Fragen heraushören. Aber Neon Neet schaffen es durch ihre Songs uns wieder daran zu erinnern, was Menschlichkeit ausmacht. Für einander da zu sein, Solidarität zu bekunden, nicht mit allen technologischen Fortschritten mitzurennen und manchmal auch Kompromisse einzugehen.

Den Humor vergessen die beiden Tiroler dabei auch nicht, wenn Dorian im Interview zugibt, manchmal eine Notlüge bei der Produktion geäußert zu haben und einen einen musikalischen Vorschlag abzusegnen, den er eigentlich nicht gut gefunden hat. Nur damit die Harmonie nicht gestört wird. Und Philipp mit verschmitztem Lächeln daraufhin andeutet, dass dies vielleicht das letzte Interview sei, dass die beiden gegeben haben.

KI hin, künstliche Nirvanasongs her - Kunst und Musik wird wohl noch länger eine Domäne des Menschen bleiben, wie Neon Neet mit ihrem Album deutlich machen. Denn selbst wenn die Tracks super tanzbar und hauptsächlich elektronisch produziert sind, schwingt immer das Unperfekte, das Schräge und somit Menschliche mit. Und nachdem alles, was eine KI machen kann, auf den Informationen menschlicher Kunst und Erfahrung basiert, werden wir wohl doch noch länger nicht abgelöst werden.

Philipp Koell: „Ich glaube schon, dass es noch den Menschen irgendwo braucht. Als Instanz, oder um dem Kunstwerk die Seele zugeben. Ich experimentiere selbst viel mit KI und es ist schon erstaunlich, was es rauswirft. Aber am Ende des Tages braucht es trotzdem noch den Menschen, der etwas nimmt und es verbessert oder auf einen andere Ebene bringt.“

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