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Sophie Lindinger

Hanna Fasching

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Ein Album wie ein Selbstporträt

Trauer, Selbstzweifel, Angst und Wut tauchen auf Sophie Lindingers selbstbetitelten Debütalbum auf. Im FM4-Interview spricht die Musikerin, Produzentin und Singer-Songwriterin über cheesy Songwriting, emotionale Familienstammbäume und das Thema Selbstliebe.

Von Michaela Pichler

Es gibt einige von ihnen in der österreichischen Musiklandschaft: Wunderwuzzis, die nicht nur ihr Instrument perfekt beherrschen, die ihre Stimme und den dazugehörigen Sound gefunden haben, die beste Popsongs schreiben und sich zu guter Letzt dann auch noch als Produzent*innen hervortun. Sophie Lindinger ist einer dieser Menschen. Als die eine Hälfte von Leyya und als treibende Kraft im Indie-Quartett My Ugly Clementine hat sich die Oberösterreicherin schon längst einen Namen erspielt. Nach Jahren der Band- und Duo-Existenz ist es für Lindinger nun aber an der Zeit, neben ihren Projekten auch allein auf der Bühne zu stehen.

Sophie Lindinger

Barbara Moura

Sophie Lindingers erstes, selbstbetiteltes Solo-Album ist am 10. Februar 2023 erschienen.

„Der Vorteil eines Soloprojekts ist vor allem die Kompromisslosigkeit“, erzählt Sophie Lindinger im FM4 Interview. „Man kann einfach machen, was einem gerade einfällt. Man muss es nicht diskutieren mit jemandem. Vor allem beim ersten Soloalbum haben die Leute auch musikalisch noch keine Erwartungen. Während dem Recorden hatte ich schon immer wieder den Moment, wo ich dachte: Ok, das ist schon teilweise sehr cheesy, kann ich das bringen!?“

Ja, sie kann. Denn Sophie Lindinger muss sich nicht mehr erklären. Diese Kompromisslosigkeit hat sich auf ihrem selbstbetitelten Solodebüt aufgedrängt. Dabei entstanden ist ein Winter-Album für die dunklen Tage, ein introspektives Stück Musik, das sich stark mit ihrer Vergangenheit beschäftigt: „Die Themen waren sehr viel emotionale Abhängigkeit, Kindheitstraumata, also Dinge, die mich einfach geprägt haben. Depression, Suizidgedanken. Das war schon auch sehr präsent in dieser Zeit und ist deshalb auch alles mit eingeflossen.“

Wie tief manche Wurzeln gehen

Angefangen von den ersten Kindheitstagen bis hin zu einer Langzeit-Beziehung, die mitten im Lockdown sein Ende fand, hat sich die Singer-Songwriterin durch ihre eigene Vergangenheit gewühlt. Die gelernten Muster erkennen, hinterfragen und wieder verlernen – das war dabei eine der Lektionen, die Sophie Lindinger während den Arbeiten am Album gelernt hat. In solchen Schreibphasen sind Songs wie „Family Tree“ entstanden. Es ist der gespenstischste Track am Album, ein Sound, der genauso gut auf dem Mond aufgenommen hätte sein können. Zerlegte Akkorde auf der E-Gitarre und dem Synthesizer, viel Hall, viel Infragestellen, viel Einsamkeit. „How do I grow out of this / got taught all these behaviours / I now need to unlearn / and I’d never blame them for it / how they would know better / it’s what they’ve observed“

Als in diese Welt geworfener Mensch lernen wir nicht nur Verhaltensformen oder einen Wertekodex von unserer Familie, unseren Bezugspersonen. Auch wie man mit Emotionen umgeht oder ob man diesen überhaupt Beachtung schenkt, schauen wir uns von Eltern, Geschwistern usw. ab. Außerdem wurde erst kürzlich nachgewiesen, dass Folgen von Traumata noch über mehrere Generationen über die Micro-RNA vererbt werden. So viel also zu den tiefgehenden Wurzeln eines „Family Trees“, über den Sophie Lindinger nachdenkt, schreibt und singt.

Sophie Lindinger feiert ihre Album-Release-Party am 11. Februar 2023 im Plateau im 9. Wiener Gemeindebezirk. Das Konzert ist gleichzeitig auch eine Ausstellungseröffnung, Lindinger zeigt dort ihre Gemälde, die während dem Albumprozess entstanden sind.

Außerdem spielt Sophie Lindinger am 15. März im Posthof Linz, am 16. März im Orpheum in Graz und am 5. April in der Roten Bar in Wien.

Fragen über Fragen

Sophie Lindinger stellt in den Solo-Songs viele Fragen, oft sind es die Essenziellsten. Zum Beispiel zum Thema Selbstwert: Bin ich denn gut genug? Oder sie geht der Frage nach, wie man denn eine Person wirklich aufrichtig und gesund lieben könne. Im Track „How to love somebody fully“ hat Lindinger zumindest auf diese Frage ihre eigene Antwort gefunden: „Man muss sich selbst lieben können. Wobei ich das gerne trennen würde von dem Gedanken, dass man sich um jeden Preis selbst lieben muss und man alles für sich selbst tun muss - weil das stimmt nicht. Ich glaube, man muss einfach ein eigenes Leben führen, wissen, was einem gut tut, was einem schlecht tut, was man gern macht, was man gut kann, was einem Freude bereitet und dann jemanden finden, der genau so ein Leben führt. Und dann kann man entscheiden, Teile dieses Lebens gemeinsam zu führen.“

You’re the one I wanted all my life
You’re the one I need
But needing is the problem
I never saw I had
‚Cause how to love somebody fully
If you don’t love yourself

Do we heal?

Lindingers Songs haben nichts mit dem oberflächlichen Klischee einer Social-Media-Selflove-Ideologie zu tun. Sie sind das Ergebnis harter Arbeit, in Therapie-Sessions, in persönlichen Gesprächen und hauptsächlich im Teilen von Schmerz. „Das erfordert vielleicht eine unterbewusste Art von Mut. Und umso öfter ich über all das geredet habe, umso öfter habe ich dann auch Geschichten von anderen Leuten gehört. Die dann gesagt haben, ja, so ist es mir auch ergangen. Und das ist dann ein Moment, fast wie eine Art Selbsttherapie, das mit anderen Leuten zu teilen. Das hat mich auch sehr geheilt“, erzählt Lindinger. Das Gefühl, mit einer überfordernden Situation oder einer Krise nicht allein sein zu wollen, das ist auch im Song „Say My Name“ eingeschrieben.

Im dazugehörigen Musikvideo hat sich Sophie Lindinger sogar mit all ihren personifizierten Gefühlen in einen Raum gesetzt und zugehört. Trauer, Selbstzweifel, Angst und Wut tauchen aber in allen Songs auf. Ein Album, das durch so viele Gefühle hindurchgeht, braucht auf soundtechnischer Ebene wohl auch nicht mehr viel. Vielleicht hat sich Lindinger genau deshalb für unaufgeregte Arrangements entschieden, dessen beste Momente die ruhigsten sind. Wie es sich anfühlt, so ein intimes Album in die Welt rauszulassen? So ähnlich, wie Nacktbilder verschicken, meint Sophie Lindinger.

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