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Caroline Polachek Album "Desire"

Nedda Asfari

Warum die Popwelt vor Caroline Polachek kniet

Großer Erfolg, relativ unbekannter Name. Mit dem Album „Desire, I Want To Turn Into You” klopft die Indie-Musikerin Caroline Polachek an der Pforte zum Mainstream an. Dort ist sie allerdings eh schon lange willkommen.

Von Christian Lehner

Vorsicht, Arty-Farty-Alarm! Wer seine Gitarre gerne an einem Lagerfeuer verstimmt, sollte lieber die Finger vom neuen Album von Caroline Polachek lassen. Menschen allerdings, die sich von einer klassischen spanischen Gitarrenmelodie in der Begegnungszone von 90s-Power-Pop, gehobener Singer-Songwriter-Kunst auf Synth und sandfarbener Video-Exotik betören lassen, sollten unbedingt ein Ticket lösen.

„Welcome To My Island“ eröffnet das Album. Die Zeile „Desire I Want To Turn Into You”, die dem Song entnommen wurde, legt Motto und Albumtitel fest. „Das Album ist wie eine Reise aus dem Ego hin zu jemand anderem, zur Liebe, zur Welt“, sagt Polachek im FM4 Interview. Der Treibstoff ist ein Gemisch aus Begierde, Sinnlichkeit und Leidenschaft. Und direkt dem Alltag entnommen: „Willkommen auf meiner Insel - das ist eine Redensart von mir“, erklärt Polachek. „Ein Freund erzählt von einem Missgeschick und ich antworte mit: Welcome To My Island!“

Von Beyoncé zu Elon Musk

Polacheks Laufbahn ist mit Erfolgen gepflastert und doch ist ihr Name weitestgehend unbekannt geblieben. Obwohl von Anfang an mit den Formen von Mainstream-Pop spielend, weiß die 37-Jährige genau, dass ihre Songs, ihre Videos und ihre Posen immer einen Tick zu verschroben und uneindeutig für eine typische Charts-Karriere sind.

Caroline Polachek Album "Desire"

Nedda Asfari

Die Namen ihrer Kollaborationspartner*innen ist beeindruckend und lang. Für Beyoncé hat sie 2013 mit „No Angel“ nicht nur einen bereits fertigen Song zum namenlosen Album des R’n’B-Superstars beigesteuert, sondern das Stück auch mitproduziert – eine Seltenheit bei heutigen Starproduktionen. Charli XCX und Christine And The Queens waren vor der Zusammenarbeit Fans von Polacheks Indie-Band Chairlift. Diese machte in den Nullerjahren in New York melodieseligen Synth-Pop, als der Rest der Brooklyn-Szene noch auf E-Gitarren eindrosch oder mit Freak-Folk und Dance-Punk den Mond über Manhattan anheulte. Apple schnappte sich 2008 den Chairlift-Song „Bruises“ für eine iPod-Nano Ad und präsentierte Polachek erstmals einem Millionenpublikum.

Außergewöhnlich auch ihre Gesangstechnik. Polachek ist klassisch geschult, wechselt häufig zwischen Brustton und Kopfstimme und imitiert Synths, das Jodeln und auch den Auto-Tune-Sound. Sie kann als Ramona Lisa und CEP aber auch experimentellen Pop. Für eine Oper über das Leben von Kurt Cobain komponierte und schmetterte sie im vergangenen Jahr eine Arie. Die Crew rund um das Label PC Music hat die zwischen London und Los Angeles hin- und herpendelnde Künstlerin adoptiert, als Godmother of Hyper-Pop gefeiert und produziert nun ihre Musik.

Vom Ego zur Leidenschaft

Zu Polacheks Fans zählen neben Taylor Swift und Dua Lipa auch Dido und Grimes, die auf dem neuen Albumsong „Fly To You“ als Feature zu hören sind. Beinahe hätte Polachek gemeinsam mit Travis Scott für Elon Musk ein Auftragsstück über einen Affen geschrieben. Das war noch vor Musks Inszenierung als Supertroll. Das Projekt kam nie zustande. „Ich bin da jetzt nicht so unglücklich darüber“, sagt Polachek heute.

Caroline Polachek Album "Desire"

Perpetual Novice

„Desire, I Want To Turn Into You“ ist auf Perpetual Novice erschienen. Hier geht’s zum Interview-Podcast mit Caroline Polachek.

Relativ spät nahm Caroline Polachek mit Danny L. Harle von PC Music ihr Solodebüt unter ihrem eigenen Namen auf. „Pang“ erschien 2019. Die Single „So Hot You Are Hurting My Feelings” entwickelte sich über TikTok zum Sleeper-Hit und wurde millionenfach gestreamt. Plötzlich stand Polachek an der Schwelle zum Popstar. Dann kamen Covid, eine schwere Erkrankung gleich zu Beginn der Pandemie und der Tod des Vaters durch das Virus.

Die in Europa feststeckende Polachek flüchtete aus Visa-Gründen nach Spanien und hatte bereits den Song „Welcome To My Island“ im Gepäck. „Es war der Auftakt für das neue Album“, so Polachek, „der Song war bereits zu „Pang“-Zeiten fertig, passte aber nicht zum Mood des ersten Albums.“

Neben den wellenhohen Hooks und den Achtziger- bis Nullerjahre-Popzitaten ist „Desire, I Want To Turn Into You“ von einer Exotik geprägt, die neben spanischen Gitarren auf „Sunset“, dem in Barcelona gedrehten Video zu „Welcome To My Island“ und Regenwaldgeräuschen auf „Bunny Is A Rider“ eine wohlige, aber manchmal nicht ungruselige Verbindung zwischen Art-Pop, Südseeträumen und Emo-Vulkanausbrüchen herstellt. „Bunny Is A Rider“ wurde von der einflussreichen Musikplattform Pitchfork zum Song des Jahres 2021 gekürt.

Polachek wirkt in allem, was sie tut, so selbstsicher und zielstrebig, als liege ihr die gesamte Popwelt zu Füßen. Gut möglich, dass das mit „Desire I Want To Turn Into You“ auch der Fall sein wird. Schön auch, dass dieses Album keinen Beipackzettel in Sachen Empowerment und Feminismus benötigt, sondern diesbezüglich ganz für sich selbst stehen kann.

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