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Die Freiheit, die wir meinen sollten

Die Wiener Autorin Elodie Arpa verlangt von uns nichts weniger, als unseren Freiheitsbegriff zu überdenken. In ihrem Buch „Freiheit“ weist sie darauf hin, dass unsere Freiheit immer die Freiheit der Wirtschaft meint, dass Freiheit immer die Freiheit von allen ist, dass Freiheit und Gleichheit einander bedingen und was das alles mit den Klimaprotesten zu tun hat.

Von Boris Jordan

FM4: Wie hat sich der Freiheitsbegriff seit der Französischen Revolution verändert?

Elodie Arpa: Definitiv sehr stark. Ein einschneidender Punkt war Mitte des 20. Jahrhunderts der Neoliberalismus. Der Freiheitsbegriff, wie wir ihn heute verstehen, kommt vor allem aus dem Neoliberalismus und von Friedrich von Hayek. Ökonomische Freiheit wird einfach gleichgesetzt mit Freiheit ganz grundsätzlich. Ökonomische Freiheit heißt in diesem neoliberalen Denkbild, dass möglichst wenig staatlich eingeschränkt wird, damit jeder konsumieren kann, was er möchte und so viel er möchte, in einem Umfeld, wo eben der „freie Markt“ herrscht. Diese Art darüber nachzudenken, ist eben schwierig, weil man ökonomische Freiheit auf jede Art von Freiheit überträgt und letztlich immer dieses egoistische Konkurrenzdenken im Sinne von „Ich setze meine Freiheit mit meinen Ellbogen durch, egal, ob es anderen Leuten schadet oder nicht“.

In einem Kapitel meines Buches geht es zum Beispiel um Diskriminierung. Viele Leute haben das Gefühl, dass Meinungsfreiheit bedeutet, sagen zu können, was immer man sagen möchte. Wenn diese Meinung irgendwie eingeschränkt wird, dann ist es eben eine Einschränkung der Freiheit. Meistens geht es in dieser Debatte dann gar nicht wirklich um Meinungsfreiheit, sondern viel mehr um Diskriminierung, um Egoismus, Ignoranz, wie auch immer man das nennen möchte. Also einfach darum, dass man seine Meinung ausdrücken möchte - was total legitim ist -, aber dass man gleichzeitig auch möchte, dass diese Meinung nicht kritisiert wird, dass diese Meinung nicht hinterfragt wird und dass man keine Konsequenzen hat, wenn man letztlich diskriminiert.

FM4: Es gibt den Satz, dass die eigene Freiheit da endet, wo die Freiheit des anderen beginnt. Da hätten wir an sich eine super Definition, nicht? Wir sehen aber täglich, dass jeder seine Freiheit absolut zu setzen versucht.

Elodie Arpa: Freiheit hat dort Grenzen, wo die Freiheit von anderen Menschen beeinträchtigt wird. Das ist definitiv ein Leitsatz, nach dem auch ich mich richte. Absolute Freiheit führt zu absolutem Chaos. Wenn jeder versucht, seine Freiheit absolut durchzusetzen, kann niemand wirklich in Freiheit leben, weil es keine Sicherheit mehr gibt, und Sicherheit ist ja eine Voraussetzung für Freiheit. Ich kritisiere die Definition von Freiheit, die wir derzeit so haben, im Sinne von „Freiheit ist, wenn ich mache, was ich möchte, egal, ob das anderen Menschen schadet oder nicht“.

Absolute Freiheit funktioniert wirklich nur, wenn man ganz allein auf der Welt ist. Aber wenn man ganz allein auf der Welt wäre, dann würde man sich wahrscheinlich gar nicht so nach absoluter Freiheit sehnen, sondern eher nach einer Form der Kooperation. Ich finde, dass Freiheit nicht unbedingt im Widerspruch stehen muss zu Rücksichtnahme, zu Solidarität, sondern sehr wohl damit interagiert. Freiheit hat ein komplexes Verhältnis zu anderen Werten und ist nicht, wie es oft dargestellt wird, ein kompletter Gegensatz zu Solidarität, Rücksichtnahme, Gerechtigkeit oder Gleichheit.

FM4: Wenn wir in Ihrem Sinne die derzeitige Definition von Freiheit ablehnen, was bleibt uns für eine Freiheit?

Elodie Arpa: Das Ideal wäre natürlich, dass man zu einer Gesellschaft kommt, wo Freiheit wirklich für alle gilt. Freiheit ist auch eine Ressourcenfrage. Wenn man nicht die finanziellen, materiellen Ressourcen hat und auch die zeitlichen Ressourcen, dann kann man einfach an vielen Tätigkeiten, die einem ein Freiheitsgefühl geben, nicht teilnehmen. Armutsbetroffene Menschen beispielsweise haben einfach nicht die Möglichkeit, gleichberechtigt an unserer Gesellschaft teilzunehmen, das ist demokratiegefährdend und damit gefährdend für uns alle.

Elodie Arpa "Freiheit" Buchcover knallgelb, ein Vogel fliegt aus einem Käfig

Kremayr & Scheriau

Elodie Arpa - „Freiheit“, erschienen bei Kremayr & Scheriau.

Wir sollten unseren Freiheitsdiskurs analysieren und uns genauer anschauen, weil auch da gibt es viel Gutes und Vieles, das kritikwürdig ist. Sehr viele Menschen könnten mehr von Freiheit profitieren, wenn wir strukturelle Diskriminierung unterbinden, allen Menschen die Ressourcen geben, die notwendig sind, um am Freiheitsgebrauch teilzunehmen. Letztlich gibt es viel, viel mehr Menschen in unserer Gesellschaft, die durch unterschiedliche Art von Diskriminierung von gewissen Freiheiten ausgeschlossen sind, als es Menschen gibt, die tatsächlich machen können, was sie wollen und die dann tatsächlich eingeschränkt werden würden.

Ich habe den Straßenverkehr und arbeitsrechtliche Normen als Beispiele hergenommen, um zu zeigen, dass wir in gewissen Lebensbereichen Verbote sehr wohl akzeptieren und auch als etwas Gutes erkennen, als etwas Notwendiges. In anderen Bereichen, etwa, was die Klimakrise angeht, nehmen wir jegliche Verbote empört wahr, im Sinne von „Wir lassen uns nichts verbieten! Wenn wir neue Autobahnen haben wollen, dann lassen wir uns doch keine Autobahn verbieten“. Das ist sehr kurz gedacht, weil es eine konstruktive Diskussion um klimapolitisch notwendige Maßnahmen verhindert, weil wir mit Verboten automatisch etwas assoziieren, was schlecht ist, was nicht geht, wo uns der Staat in unserer Freiheit einschränkt.

Wir können gar nicht sehen, dass solche Verbote teilweise eigentlich Freiheit ermöglichend sein können. Die Klimakrise wird so viele Menschen betreffen, alle Menschen, die eher jung sind, alle möglichen Menschen, die sozioökonomisch eher benachteiligt sind, ältere Menschen, weil die Hitzetoten mittlerweile ja schon die Verkehrstoten übersteigen. Maßnahmen wie eben gewisse Verbote einzuführen, die im ersten Moment einschränkend wirken, werden einem Großteil der Gesellschaft, wahrscheinlich der überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft, mehr Freiheit ermöglichen.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es einen ärgert, wenn man im Stau steht und man zu spät zur Arbeit kommt. Es ist auch, finde ich, komplett normal, wenn diese Menschen frustriert sind. Die einzelne die einzelne Person kann nichts für die Klimakrise. Es sind Politik und große Wirtschaftsunternehmen, die sehr viel entscheiden könnten und es nicht tun, es seit Jahren und Jahrzehnten nicht gemacht haben. Und ich hoffe, dass die Menschen, die dann im Stau stehen und sich ärgern, diesen Frust nicht gegen die Klimaaktivisten wenden, sondern eben gegen die tatsächlichen Klima-Blockierer.

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