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Douglas Stuart Young Mungo - Buchcover: Zwei sich küssende Männder, Foto von Wolfgang Tillmans

Hanser

Eine Liebe in Glasgow: Douglas Stuarts Roman „Young Mungo“

Douglas Stuarts Roman Young Mungo ist eine Art “Heartstopper” in der rauen Working Class Welt von Glasgow.

Von Martin Pieper

Das Cover des neuen Romans von Douglas Stuart ist schön aber führt in die Irre: Man sieht zwei verschwitzte junge Männer, inniglich küssend, in einem Club – es ist ein Foto von Wolfgang Tillmans, das er in den 90er Jahren gemacht hat.

Die Freiheit und Leidenschaft, die in dem Bild steckt, ist für die Hauptfigur „Young Mungo“ in weiter Ferne. Er lebt mit seiner älteren Schwester im East End von Glasgow in einer Sozialwohnung. Die Mutter - genannt Mo-Maw, ist schwere Alkoholikerin und lässt sich nur hin und wieder blicken, der ältere Bruder Hamish prügelt sich mit einer Bande protestantischer Halbwüchsiger durch die finsteren Hinterhöfe des Glasgows. Am liebsten werden die verfeindeten Katholiken verdroschen und jeder der „anders“ ist.

Douglas Stuart schildert dieses toxische Klima aus Gewalt, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Chauvinismus in aller Brutalität. Im Gegensatz zum berühmten Vorgänger-Roman des Autors, „Shuggie Bain“, keimt aber so etwas wie Hoffnung auf für dieses Schottland, dass sich streckenweise wie die zeitgemäße Version einer Charles Dickens Romans liest.

Booker Prize für Erstlingswerk

Douglas Stuart lässt zwischen all der Gewalt eine zarte Liebesgeschichte entstehen. Der fünfzehnjährige Mungo verliebt sich in den gleichaltrigen Nachbarn James, der am Dach Tauben züchtet und seiner toten Mutter nachtrauert. Ein kleines Glück entsteht hier zwischen zwei Menschen, die sich ihrer Andersartigkeit bewusst werden und trotzdem einen Anspruch an ein geglücktes Leben haben.

Wie schon im Vorgängerroman steckt auch hier sehr viel vom Leben des Autors im Buch. Douglas Stuart stammt selbst aus der Glasgower Arbeiterklasse, hat sich dann früh in der Modeszene Londons und New Yorks einen Namen gemacht und ist erst recht spät zum Autor und Booker Prize Gewinner geworden. Er beschreibt eine untergehende proletarische Welt, in der der einstige Klassenstolz von Elend und Hoffnungslosigkeit ersetzt wurde.

Zwischen Analyse und Trauma-Porn

Douglas Stuart Young Mungo - Buchcover: Zwei sich küssende Männder, Foto von Wolfgang Tillmans

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Douglas Stuart: Young Mungo. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz. 415 Seiten, Dumont Verlag

Die schwule Selbstfindung von Mungo wird in „Young Mungo“ buchstäblich mit Blut bezahlt. Ein Angelausflug an einen schottischen See, angeordnet um Mungo zum „echten Mann“ zu machen wird zu einem Horrortrip mit tödlichem Ausgang. Der Roman ist an manchen Stellen in seiner Drastik schwer auszuhalten, aber zum Glück erhellt ab und zu ein bitterer Humor die verdunkelte Welt, in derb sich die jungen Helden in ihren zu dünnen Trainingsanzügen gegen den ständigen Regen, Wind und Kälte stemmen.

Umso heller leuchtet dann ab und zu die Sonne, wenn die beiden Jungs sich mit ihren Fahrrädern auf die grünen Hügeln rund um Glasgow davonstehlen, um unbeobachtet und ungefährdet ein paar kostbare Stunden Zeit miteinander zu verbringen. Es könnten immer ihre letzten sein. „Young Mungo“ ist vielleicht so etwas wie das Mittelstück zwischen den stark autobiografischen queeren Klassenanalysen des französischen Autorenstars Eduard „Das Ende von Eddy“ Louis und dem „Trauma-Porn“ der hocherfolgreichen Hanya „Ein wenig Leben“ Yanagihara. Das Selbsterlebte und der glaubhafte Erzähler ist für dieses gut geschriebene und sehr packende Buch extrem wichtig. Aber in seiner fast schon opernhaften Zuspitzung des schicksalhaften Dramas unterläuft Douglas Stuart auch die Authentizitätsansprüche, die man an eine sogenannte „Autofiction“ stellen könnte.

Menschen, die den Vorgänger Shuggie Bain gelesen haben, kennen das beschriebene Milieu und auch die eine oder andere Figurenkonstellation. Insbesondere das Motiv der alkoholkranken Mutter, die für den Sohn gleichzeitig für Glamour und Schönheit aber auch für Absturz und Grausamkeit steht, hat Douglas Stuart schon im Erstling ausführlich beschrieben. In seinem zweiten Roman, der fast eine Art Fortsetzung sein könnte, konzentriert sich der Autor aber mehr auf die Möglichkeiten zur Flucht aus diesem grauen tristen Glasgow: Einerseits durch Gewalt und Gegengewalt, aber vor allem auch durch eine ganz große, kleine Liebesgeschichte against all odds. In letzter Konsequenz ist „Young Mungo“ ein richtiger Heartstopper.

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