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Atomic Heart

Mundfish

Ein Shooter als Sowjet-Fanfiction

Den Machern des Hochglanz-Shooters „Atomic Heart“ wird ein problematisches Naheverhältnis zum russischen Staat nachgesagt, seine Story verklärt eine Fantasyversion der Sowjetunion.

Von Rainer Sigl

Wie politisch kann ein Videospiel sein, in dem wir gegen wildgewordene Roboter und Mutanten kämpfen? Im Fall des Shooters „Atomic Heart“ lautet die Antwort: sehr politisch, und das aus wirklich unangenehmen Gründen.

Die Retro-Utopie des Spiels ist so etwas wie Sowjet-Fanfiction: Schauplatz ist eine glorifizierte Sowjetunion, die in einer alternativen 1950er-Realität den Zweiten Weltkrieg gewonnen und sich zur alleinigen Supermacht aufgeschwungen hat. Die Russland-Connection des Spiels geht in der Realität aber über dieses retronostalgische Sowjet-Styling hinaus: Das Entwicklerstudio des Spiels ist zwar auf der bei russischen Oligarchen aus Steuergründen höchst beliebten Insel Zypern angesiedelt, wird aber von Russen geführt. Vor allem wurde die Entwicklung des Spiels von russischen Investoren finanziert, die zumindest personell eine Nähe zu russischen Staatsfirmen, etwa der Gazprom, haben. Hier gibt es einen guten Überblick über die Kontroverse:

Vielsagendes Schweigen und Boykottaufrufe

Kein Wunder also, dass sich die Entwickler trotz wiederholtem Nachfragen nicht zu einer öffentlichen Stellungnahme zum Krieg in der Ukraine durchringen wollten. Man sei für Frieden, das war die einzige schmallippige Ansage der Macher von „Atomic Heart“ auf die vielfach gestellte Frage nach der Position des Studios zum Ukrainekrieg. Im Übrigen sei man kein russisches Studio. Trotzdem wird „Atomic Heart“ in Russland stolz als „spektakulärer russischer Shooter“ vermarktet.

Ukrainische Aktivist*innen und sogar der ukrainische Minister für digitale Angelegenheiten rufen leidenschaftlich zum Boykott des Spiels auf; und tatsächlich ist die altbekannte Behauptung, hier gäbe es nur Unterhaltung und keine Politik, in diesem Fall besonders wackelig. Die Retro-Sowjet-Nostalgie und Ästhetik haben angesichts der realen Geschichtsfälschung russischer Propaganda einen bitteren Beigeschmack, genau wie unsere Rolle als heroischer russischer Spezialagent. „Atomic Heart“ ist auch abseits seiner Macher trotz Robotern und Science-Fiction-Story durch und durch mit politischen Symbolen und Problemen behaftet. Eine ernsthafte Kritik oder Satire seiner Sowjet-Versatzstücke ist nicht erkennbar.

Atomic Heart

Mundfish

Zwischen Ernst und Satire: die glorreiche Vergangenheit einer untergegangenen Sowjet-Utopie.

Außen hui, innen 2010

Aber: Wie ist das Spiel nun selbst? Abseits der originellen, aber eben problematischen Sowjet-Optik ist „Atomic Heart“ ein mäßig gelungener Neuaufguss von „Bioshock“, der zu viele Ideen auf einmal nur durchschnittlich gut unterbringt. Der Vergleich zu Irrationals Kultshooterserie gilt nicht nur in Sachen ästhetische Zitate, sondern auch in zahllosen spielerischen Details und Mechaniken - „Atomic Heart“ kopiert auch zum Großteil seit 2010 gut abgenudelte Konventionen wie Audiologs und hier manchmal etwas sinnbefreite Upgrade-Systeme.

„Atomic Heart“, entwickelt von Mundfish, vertrieben von Focus Entertainment, ist für Windows, PS5 und Xbox erschienen.

Hier gibt es einen guten Überblick zur Kontroverse.

Das endlose Abgrasen der Welt nach Rohstoffen langweilt, Waffen und Fähigkeiten hat man schon woanders besser gesehen und so manche abrupte Cutscene und regelmäßig überlappende Audio-Schnipsel reißen uns aus der Immersion. Dazu kommen ein wirklich bemerkenswert unsympathischer Held, erstaunlich aggressives und ermüdendes Dialog-Hickhack mit dem besserwisserischen KI-Sidekick und gelegentlich verstörender Sexismus. An die Qualität seiner Optik kommt „Atomic Heart“ spielerisch nirgends auch nur annähernd heran; es ist ein Spiel, das auch in Sachen Gameplay allzu oberflächlicher Nostalgie anhängt.

Eigentlich kommt das aber gar nicht so ungelegen: Wer sich entscheidet, „Atomic Heart“ wegen der erwähnten Kontroverse einfach auszulassen, versäumt nichts.

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