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Buch "Verschwinden in Lawinen" von Robert Posser

Jung und Jung

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Robert Prosser - „Verschwinden in Lawinen“

Eine Lawine in einem Tiroler Tourismusdorf reißt alte Probleme mit und bringt Unverarbeitetes an die Oberfläche. Sie entwurzelt, sucht nach Identitäten und lässt die Frage offen, was letztlich von einem Menschen überbleibt. Ein Alpen-, Familien- und Coming-Of-Age-Roman von Robert Prosser.

Von Zita Bereuter

„Ich denke bei ‚Lawine‘ an ein Naturphänomen. Also etwas wirklich sehr, sehr Gefährliches, etwas Großes, so ein Einbruch einer Gewalt, die auf einmal über einen kommt und deren Wirkung es sehr schwer ist auszukommen“, erklärt Robert Prosser.

Im Mittelpunkt des Romans „Verschwinden in Lawinen“ steht Xaver. Der ist Anfang, Mitte 30 und lebt in einem Tiroler Bergdorf. Ein gelernter Koch, der jetzt beim Skilift arbeitet. Seine Leidenschaft ist die Schauspielerei, auch wenn die nur für die Dorfbühne reicht. Das ist Xaver egal, seine Ansprüche sind niedrig. Ein loyaler Typ, der seinem besten Freund auch beisteht, wenn der nach einer drogenbedingten Psychose von anderen geächtet wird.

„Baumwurzeln ragten aus dem durchwühlten Hang. Der gewaltsame Lauf der Lawine war deutlich zu erkennen; der Bruch am Grat, das abgesackte Stück, die umgewälzten, regelrecht zerfressenen Waldränder. Der Anblick machte Xaver betroffen, auf eine solche Zerstörung war er nicht gefasst. Wenn Noah hier begraben liegt, dachte er, wie könnte er das überlebt haben?"

„Verschwinden in Lawinen“ von Robert Prosser ist im Jung und Jung Verlag erschienen.

Eine Lawine am Greit hat zwei Jugendliche verschüttet: Xavers Nichte und deren Freund. Während die Nichte außer Lebensgefahr ist, wird ihr Freund noch gesucht. Die Lawine ist aber auch bildlich zu verstehen: Sie hat Xaver ebenso entwurzelt und alte Geschichten an die Oberfläche gebracht. Denn vor einigen Jahren ist sein Großvater im Umkreis dieses Berges verschollen. Ein Unglück, das Xavers Familie zerbrochen hat. Damals, in den 1990ern, war Xaver ein Bub und seine Mutter hat noch Zimmer vermietet.

„Anna ermahnte ihn, die Urlauber nicht zu belagern. Er hatte leise, ja unsichtbar zu sein. Wie ungerecht, die Fremden konnten tun, was sie wollten.“

„Damals gab es ein anderes Verhältnis zum Fremden, zum Urlauber und zur Urlauberin. Also eher so, dass man sich gewissermaßen unterlegen gefühlt hat als Einheimischer.“ Darüber wollte Robert Prosser schreiben und „auch über die 90er und die damalige Situation und was das mit der Identität macht - der der Einheimischen“. Die sind hin- und hergerissen zwischen Tradition und Tourismus. Häufig führt dieses Spannungsfeld zu Alkohol und Drogen.

Robert Prosser

Günter Mik

Livetermine: 9.3.23 Wortspiele Festival, Muffatwerk München | 10.3.23 Musilhaus Klagenfurt, mit Lan Sticker (Drums/Keys) | 21.3.23 Literaturhaus Graz, mit Lan Sticker (Drums/Keys) | 31.3.23 Wortspiele Festival, Facultas Wien

Natürlich denkt man bei Tourismus und Tirol schnell an die „Piefke Saga“. „Bei der ‚Piefke Saga‘ gab es einen anderen Zugang, das wurde anders gelöst.“ Robert Prosser beschreibt ironiefrei, realistisch, hart und nüchtern. Xaver versteht sich gut mit den Bauern. Er schlachtet für sie die Tiere auf deren Hof. Schwarz natürlich.

„Die alten Metzger waren senil oder längst verstorben, und von den Jüngeren interessierte es niemanden. Es schien eine fast vergessene, obsolet gewordene Profession. Wie Bäcker oder Schindelmacher.“

Robert Prosser sieht in bäuerlich geprägten Dörfern, „dass es so abseits dieses Klischees und dieses schönen Bildes, das die Tirol Werbung liefert, es auch noch diese Realität gibt, dass Tiere geschlachtet werden, dass es zu dieser Verarbeitung kommt“. So will Robert Prosser auch den dörflichen Alltag zeigen, abseits dessen, was Tourist:innen mitbekommen. Dazu gehören unter anderen die Wunderheiler, die es in jedem Tal gibt, die Warzen vertreiben können oder Übersinnliches wissen. „Anheber“ nennt man sie dort, wo Robert Prosser herkommt. „Das ist etwas, was echt nur den Tälern und den Einheimischen gehört.“ Prosser vermutet darin „einen der wenigen Aspekte der alpinen Gegenwart, der eigentlich vom Tourismus noch nicht wirklich erobert worden ist“.

Außerdem von Robert Prosser erschienen und auf fm4.ORF.at vorgestellt:

All das verstrickt Robert Prosser spannend und gut verknappt in „Verschwinden in Lawinen“. Es ist ein Alpenroman, ein Familienroman, aber auch einen Coming-Of Age-Roman. „Wo es um dieses Heranwachsen geht, in einem touristischen Ort in den Bergen. Wenn man da aufwächst und immer mit den Urlaubern und Urlauberinnen zu tun hat.“ Darüber hinaus fragt er sich: „Was macht es zum Beispiel mit männlichen Identitäten, in einem Dorf aufzuwachsen, in einem Dorf zu bleiben, das an sich patriarchal geprägt ist oder noch sehr traditionell, aber wo man als jüngerer Mann einfach auch schnell durchfällt. Also, wenn man jetzt nicht bei der Landjugend ist oder bei der Blasmusik. Wie findet man da eine Art von Rolle, von Identität?“

Und wie es bei Lawinen häufig der Fall, gibt es eine Nachlawine – metaphorisch natürlich. Die reißt Xaver am Ende des Romans mit. Aber das liest man am besten selbst.

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