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Cracker Island - Gorillaz

Jamie Hewlett

Ist „Cracker Island“ das Opus magnum der Gorillaz?

Pünktlich zu ihrem 25. Jubiläum hat die größte real-fiktive Band der Welt das Unmögliche geschafft. „Cracker Island“ ist vielleicht das bisher beste Album der Gorillaz.

Von Alica Ouschan

Vor einem Vierteljahrhundert saßen die Freunde Damon Albarn, Sänger der Wegweiserband des Brit-Pops Blur, und Jamie Hewlett, aufstrebender Comic-Autor, der mit „Tank Girl“ die 90er popkulturell prägte, zusammen und plauderten über musikalische Entwicklungen.

Wer hören will, muss fühlen - der FM4 Musikpodcast

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Alle Hintergründe zur Geschichte und Entwicklung der Gorillaz besprechen Connie Lee und Christoph Sepin im FM4 Musikpodcast - Wer hören will, muss fühlen.

Sie stellten fest: Je näher sie der Jahrtausendwende kamen, desto künstlicher und unauthentischer wurden Bands und Musik. Gemeinsam beschlossen sie, das Unmögliche möglich zu machen: Ein Musikprojekt, bestehend aus nicht-existenten Cartoon-Charakteren, die gleichzeitig realer wirken, als alle echten Bands um sie herum. Die Gorillaz waren geboren.

Vermutlich hatte keiner von beiden damals geahnt, welche Kreise diese aus einer Laune heraus entstandene Idee ziehen würde. Heute ist ihr achtes Studioalbum draußen. Und wer geglaubt hat, dass die Gorillaz ihre Hochphase lange hinter sich gelassen haben und nichts mehr Neues bieten können, wird sofort eines besseren belehrt.

Ein neuer Ort im fantastischen Gorillaz-Universum

„Cracker Island“, ein neuer Ort im fantastischen Gorillaz-Universum vereint all das, was ihre Musik so einzigartig macht, schöpft aus altbekannten Stärken und bringt sie mit Leichtigkeit in die heutige Zeit. Besonders nach dem letzten Album „Song Machine, Season One: Strange Timez“, das vor lauter Featuregästen und Genreexperimenten nicht wirklich im Gedächtnis blieb und etwas Patchworkartiges hatte, ist „Cracker Island“ ein Konzeptalbum mit rotem Faden.

Umso spannender ist es, dass die Tracks teilweise wie qualitativ einwandfreie B-Seiten der vergangenen Platten klingen, oder anders gesagt, wie ein Best-of der musikalischen Reise der Gorillaz. Thematisch erinnert die dystopische Insel, wo Menschen leben, die stark an Verschwörungstheoretiker:innen und Querdenker:innen erinnern, die unbeschwert feiern und Cocktails trinken, stark an das 13 Jahre alte „Plastic Beach“.

„’Cracker Island’ ist ein Liebesbrief an das L.A. der 70er. Cord, lange Haare, Poolpartys, eine andere Zeit, in der das Heute noch in unendlicher Ferne lag. Sit back and party like it’s 1979", also drauf scheißen, was die Wissenschaft sagt, denn der Klimawandel ist nur eine Erfindung: „We’re all in this together, until the end“ ist eine Zeile, oder: „Don’t be sad for me, I’m a cartoon G“.

„It’s a cracked screen world“

Vergänglichkeit und Hedonismus werden zum letzten Kult, bevor die Welt untergeht, und vereinen die Menschen. Obwohl die Zerstörung des Planeten und der Untergang der Menschheit keine neuen Themen für Damon Albarn und seine Gorillaz-Welt sind, ist es gleichzeitig spannend zu sehen, wie er sie in die Jetzt-Zeit überträgt.

Denn anders als noch auf „Plastic Beach“ ist „Cracker Island“ ein fiktiver, oder besser gesagt ein digitaler Ort: "A made-up paradise where the truth was auto-tuned”, heißt es im Titel-Track. Es geht um „The Tired Influencer“, müde deshalb, weil er in einer kaputten Welt lebt, einer Welt mit gesprungenem Bildschirm. „Silent Running“ sucht hingegen nach neuen (virtuellen? realen?) Welten, die auf Erkundung warten.

Die Musik auf „Cracker Island“ ist energiegeladen und positiv, wenngleich ihr immer auch etwas Bedrohliches oder Melancholisches innewohnt. Der Titeltrack hätte auch gut zwischen „DARE“ und „Dirty Harry“ auf dem 2005 erschienenen Album „Demon Days“ gepasst, wenngleich die Produktion und das Feature mit Bassvirtuose Thundercat noch poppiger, vor allem aber moderner klingt. „Oil“ und „The Tired Influencer“ erinnern durch die zurückgeschraubten und doch epischen Soundbetten sowie durch die wabernden Stimmen enorm an „On Melancholy Hill“. Das sind nur einige Beispiele.

Abgesehen davon wirkt es fast durchgängig so, als hätte Damon Albarn sich einzig und allein von der bestehenden Gorillaz-Diskografie inspirieren lassen, das Beste vom Besten herausgefiltert und auf ein Album gepackt. Er gibt uns genau das, was wir hören wollen, ohne dabei den Anspruch zu erheben, die alten Evergreens zu übertreffen. Im Gegenteil, „Cracker Island“ hält sich vergleichsweise zurück, trotzdem hat es unbestreitbar Gemeinsamkeiten mit einem Baumarkt: Es sind viele Bretter vorhanden.

Cracker Island - Gorillaz

Jamie Hewlett

Das Beste vom Besten

Auch die Featuregäste sind klug ausgewählt und eine Abbildung davon, wie nah Damon Albarn dem aktuellen musikalischen Weltgeschehen ist und dass er gleichzeitig ganz genau weiß, wie er Songs durch die bloße Anwesenheit eines Gasts genau dahin bringen kann, wo er sie vibe- und soundtechnisch haben will. So gibt es für Songs, die klingen sollen wie ein Acid Trip auf einer kalifornischen Insel, wohl kaum eine Stimme, die diesen Vibe besser rüberbringt als Kevin Parker alias Tame Impala.

Neben Beck, Adeleye Omotayo und Bootie Brown sind die wahrscheinlich spannendsten, vielleicht auch unerwarteten Gäste Stevie Nicks und Bad Bunny. Obwohl deren Hochzeiten schon um einiges länger zurückliegen, erlebt die Musik von Fleetwood Mac durch TikTok und Co. eine regelrechte Renaissance. Mal davon abgesehen, dass Stevie Nicks Stimme sich perfekt dafür eignet, die Illusion der sorglosen Siebziger heraufzubeschwören.

Dass die GenZ durch TikTok Musik entdeckt, die vor ihrer Geburt erschienen ist, und diese dann erneut trendet, ist nichts Neues. Auch die Gorillaz sind in den vergangenen paar Jahren immer wieder auf der Social Media Plattform aufgetaucht und das nicht nur mit den Riesenhits, sondern auch mit weniger bekannten Tracks.

Besonders lustig war der Trend, der sich ergab, als verwirrte Teens sich selbst beim Besuch eines Gorillaz-Konzerts filmten und sich fragten, wo die vier Cartoon-Charaktere sind und „was der alte weiße Mann auf der Bühne verloren hat“. Dieser alte weiße Mann hat aber ganz genau verstanden, wie er die jungen Leute erreicht. Gemeinsam mit dem aus Puerto Rico stammenden Latin-Rap Shooting Star Bad Bunny veröffentlichen die Gorillaz ihren insgesamt zweiten spanischsprachigen Song und den ersten seit „Latin Simone (Que Pasa Contigo)“ aus 2001.

Der Song und das gesamte Album zeigen genau das, was Damon Albarn und die Gorillaz schon seit 25 Jahren machen: sich immer wieder neu erfinden - egal, ob optisch, dank Jamie Hewlett, der dafür sorgt, dass die Gorillaz in jeder ihrer Phasen und Welten den passenden Look bekommen, oder musikalisch, dank Damon Albarn, seiner Experimentierfreude, dem immensen Musikwissen, seiner Erfahrung und feinfühligen Auswahl an Gästen. Gleichzeitig haben die Gorillaz immer eine ganz klare Linie, einen signifikanten Sound, der sich durch jede Phase, so unterschiedlich sie auch waren, durchgezogen hat.

Cracker Island - Gorillaz

Jamie Hewlett

„Cracker Island“ ist am 24. Februar bei Parlophone erschienen.

Wenn es eine Band aus der heutigen Zeit gibt, die popkulturell so relevant war und ist, dass auch in 50 Jahren noch über sie gesprochen wird, kann das nur eine sein. Verdient hätten es die Gorillaz auf jeden Fall, zumal ihre fiktiven Mitglieder realer und greifbarer scheinen als die meisten Musiker:innen und weil es ihr achtes Album „Cracker Island“ ist, das potenziell zum Opus magnum der Gorillaz werden könnte.

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