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Ingrid Brodnig

Radio FM4 | David Riegler

„Die Katze ist aus dem Sack“

Das neu aufgelegte Buch „Einspruch!“ von Ingrid Brodnig gibt praktische Tipps für das Diskutieren, vor allem wenn es sich dabei auch um Fake News dreht. In der ersten Auflage des Buches, das ein Bestseller wurde, lag der Fokus auf der Coronakrise, nun sind es Klimakrise, Ukrainekrieg und Inflation.

Von Alexandra Rodriguez-Breña

Es ist ein kühler, aber sonniger Februartag, das ORF Zentrum am Wiener Küniglberg erstrahlt im Sonnenschein und Ingrid Brodnig geht die Rampe hoch zu den FM4 Studios. Sie ist zu Gast in der tagesaktuellen Politik-Radiosendung OKFM4.

Ingrid Brodnig ist Autorin, Journalistin und Publizistin. Sie hat fünf Bücher geschrieben, wurde mehrfach ausgezeichnet und verfasst eine wöchentliche IT-Kolumne namens #brodnig in dem Nachrichtenmagazin Profil. Außerdem ist sie Digital Champion Österreichs für die EU und trägt damit eine unabhängige Funktion zur Förderung des digitalen Bewusstseins in der Europäischen Union. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf dem Umgang mit Desinformation und Hasskommentaren.

Wir haben mit Ingrid Brodnig über die erweiterte Neuauflage ihres Buches „Einspruch!“, die Fake News, auf die sie selbst schon reingefallen ist, und erschwerten Faktenchecks, die aufgrund des Einsatzes von KIs in der Zukunft wohl auf uns zukommen, geredet.

Radio FM4: Kannst du dich erinnern, wann du das letzte Mal auf Fake News reingefallen bist?

Ingrid Brodnig: Ich kann mich tatsächlich an eine Falschmeldung erinnern - ist schon etwas her und ein bisschen peinlich -, die ich für durchaus möglich und wahr gehalten habe. Es ist super peinlich, weil es betrifft die Tagespresse, die Satireseite. Als die ganz neu war und noch nicht jedem ein Begriff, hat die eine Geschichte gebracht, die ich sehr lustig fand. Da wurde behauptet, die katholische Kirche hätte ein neues Maskottchen, nämlich „Keuschi, das Känguru“. Keuschi, das Känguru, setzt sich für Keuschheit bei Jugendlichen ein. Ich muss gestehen, es hat ein bisschen zu meinen Vorurteilen über die Kirche gepasst, dass die so was Doofes machen. Man kann immer reinfallen und es ist immer peinlich zuzugeben, dass man was geglaubt hat, was einfach erfunden war.

Falschmeldungen funktionieren immer dann, wenn so eine Sehnsucht da ist, das zu glauben. Falschmeldungen sagen mehr über einen selbst aus und über die Welt, in der wir leben. Eine Falschmeldung, die nicht ein bisschen den Leuten aus der Seele spricht, würde nicht funktionieren.

Radio FM4: You’re releasing an updated version of your book „Einspruch!“. In the first edition you focussed more on the fake news in the context of the pandemic, but now you sort of turned your attention to topics like the war in Ukraine, the climate crisis and inflation. What kind of patterns and parallels have you observed across these topics, when it comes to fake news or conspiracies - or are they all entities upon themselves?

Ingrid Brodnig: Das Spannende ist, wenn ich einmal verstanden habe, welche Tricks vorkommen, kann ich die in allen möglichen Themen wiedererkennen. Zum Beispiel ist es eine häufige Methode, dass unseriöse Akteur*innen mit schlechtem Bildmaterial arbeiten. Die bearbeiten die Bilder nicht, sondern die nutzen schlechtes Bildmaterial und behaupten, man würde XYZ sehen.

Im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine gab es dieses Massaker in Butscha, wo Leichen auf der Straße gelegen sind. Und dann hat das russische Verteidigungsministerium allen Ernstes ein Video geteilt und es wurde suggeriert, in dem Video würde sich eine Leiche bewegen. Also: Diese Toten, die seien vielleicht nur eine Inszenierung. Da wurde aber ganz schlechtes Bildmaterial genutzt, in niedriger Auflösung. Es gibt die hochauflösende Version, und da sieht man, da bewegt sich nichts. Da ist ein Regentropfen auf der Windschutzscheibe, der eine Reflexion herstellt. Worauf ich hinaus will: Mit schlechtem Bildmaterial arbeiten und irgendwas hineinphantasieren, das kommt immer wieder vor. Ein paar Tricks zu kennen ist interessant, weil so kann ich meine Abwehrmechanismen trainieren.

Radio FM4: Welche weiteren Tricks könntest du noch nennen?

Ingrid Brodnig: Falschmeldungen funktionieren immer über die Emotion. Dass es so spektakulär ist, dass man sich denkt, das muss ich sofort weitererzählen. Oder es wird genau das bestätigt, was ich erhoffe oder mir vorstellen kann. Wenn man merkt, das ist etwas Brisantes, dann sollte man immer auf die Quelle schauen. Nicht nur, wer ist die Quelle, sondern ist die Quelle wirklich, wer da behauptet wird. Ich gebe ein Beispiel. Es wird sehr viel Wind gegen die Sanktionen gegen Russland gemacht. Man kann nachvollziehen, dass es russische Desinformationskampagnen gibt, wo dann suggeriert wird, in Wirklichkeit leide Europa unter den Sanktionen. Wo versucht wird, die europäische Einigkeit zu erodieren.

Da gab es eine Geschichte: Die Bildzeitung würde berichten, in Berlin sei ein Jugendlicher gestorben, weil Berlin die Straßenbeleuchtung abgedreht habe wegen der Energiekrise. Die Geschichte ist komplett erfunden. Den Jugendlichen, der gestorben ist, gibt es nicht. Berlin hat die Straßenbeleuchtung nicht abgedreht, das ist einfach nicht passiert. Die ganze Geschichte ist eine Erfindung. Die Bildzeitung hat diesen Beitrag nie gebracht. Das ist eine Webseite, die genau nachgebaut worden ist, der Optik der Bildzeitung. Das ist eine weitere Täuschung, dass ich Leute imitiere. Das heißt, es gibt so Stufen des Alarmismus, wo ich hinschauen sollte. Stimmt die Behauptung? Stimmt der Absender? Wenn ich mir diese Stufen antrainiere, dann werde ich sehr skeptisch, aber ich werde halt weniger oft Momente erleben, wo ich hineingefallen bin.

Radio FM4: There has been a lot of focus on Chat GPT. What kind of impact will this sort of technology have in our world?

Ingrid Brodnig: Man kann Chat GPT auch benutzen, um zum Beispiel eine ganze Nachrichtenseite zu erfinden. Ich habe Chat GPT gebeten, eine Regionalzeitung in der Steiermark zu erfinden, den Namen der Zeitung zu erfinden und Texte zu verfassen über Graz. Da könnte ich innerhalb von einer halben Stunde so eine Fake-Nachrichtenseite aus dem Boden stampfen, die schon hunderte Artikel online hat, und dann verbreite ich dort meine eigentlichen Falschmeldungen, um die es mir geht. Das heißt, man kann sich sehr viel Arbeit sparen, das wäre früher mehr Arbeit gewesen. Das ist, glaube ich, eine Gefahr, dass eben Chat GPT von manchen für Gutes genutzt wird und von manchen zum Simulieren von etwas, das überhaupt nicht existiert.

Radio FM4: It is easy to forget that there are people behind fake news and they are using this kind of technology and there is always somebody with a mission behind that, spreading this information. Where do you think the problem really lies: Is it with technology or is it with people with intentions? What should we tackle first?

Buchcover

Brandstätter Verlag

Ingrid Brodnig: Ich glaube, dass es immer Menschen geben wird, die auf unfaire Weise uns alle und auch neue Technologie ausnutzen möchten. Es ist wichtig, dass wir uns die Personen, die wirklich bösartig Falschmeldungen verbreiten, genau anschauen. In Deutschland gibt es einen Rechtsextremen, der ist bekannt dafür, dass der immer wieder gefälschte Politiker*innen-Zitate verbreitet hat. Ich glaube, da muss man wirklich Leute klagen, damit für die das kein Geschäftsmodell sein kann. Was Alex Jones in den USA passiert ist, das ist wichtig. Das Krasse ist, mit neuer Technik hinken wir dauernd hinterher. Darum ist es wichtig, sich sehr rasch hinzusetzen und zu überlegen, was könnte denn eine wirklich bösartige Person damit machen?

Radio FM4: Wie alarmiert muss man das sein bei so einer Technologie?

Ingrid Brodnig: Ich finde, dass Chat GPT und auch generell diese Schritte in der künstlichen Intelligenz zu den spannendsten Dingen seit langem gehören. Für mich ist die Phase jetzt so spannend wie die Anfangsphase von Social Media, wo man gemerkt hat, das wird groß, aber noch nicht genau wusste, wie sich das entwickelt. Ich sehe das nicht rein negativ, aber ich glaube, dass diese Täuschungsvorhaben damit tatsächlich noch einmal reifen können. Und ich glaube, dass neue Technologie bahnbrechend ist, wenn man mehr und mehr auf Ideen kommt, was ich denn noch damit machen könnte.

Ich gebe nur ein Beispiel, ganz was Harmloses. Ich bin ja auch generell ein Geek und ich spiele gern in meiner Freizeit Adventures, also Rollenspiele. Da muss man dann immer Charaktere entwerfen, zum Beispiel Hobbits. Man kann Chat GPT sagen, erfinde einen Hobbit, der im Auenland lebt und bitte nicht Bilbo oder Frodo heißt, mit einer Backstory. Worauf ich hinaus will: Die nächsten Jahre werden spannend. Wie bei jeder neuen Technik wird es Menschen geben, die machen ganz tolle, vielleicht auch karitative Dinge mit Chat GPT, und dann wird es Menschen geben, die wollen uns aufhetzen, die wollen uns weiter mit Rassismus, Sexismus, was weiß ich, eindecken. Das Internet hat eine Spezialität: Es macht oft die schönsten und die schlimmsten Seiten des Menschen sichtbarer.

Radio FM4: Das heißt, künstliche Intelligenz wird uns wohl noch länger beschäftigen.

Ingrid Brodnig: Genau. Die Katze aus dem Sack. Die Gefahr ist jetzt eher, dass sehr viel Geld in künstliche Intelligenz gesteckt werden wird, weil Chat GPT so erfolgreich ist. Die Gefahr ist, dass auch andere Mitbewerber*innen Software auf den Markt hauen, die noch nicht genügend getestet ist. Da gibt es das berühmte Beispiel von Tay, auch so ein Chatbot, von Microsoft, schon länger her. Dieses Programm ist binnen kürzester Zeit rassistisch geworden.

In den letzten Jahren gab es sehr viel Zurückhaltung von den Großunternehmen, ihre Software einfach so auf den Markt zu hauen. Dieser große Erfolg von Chat GPT kann jetzt leider dazu führen, dass Software verbreitet wird, die eigentlich noch nicht zugänglich wäre.

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