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Cover "Wovon wir leben" von Birgit Birnbacher

Zsolnay

Vom Sinn des Lebens auf 192 Seiten

„Wovon wir leben“, der neue Roman von Bachmannpreisträgerin Birgit Birnbacher, handelt von Arbeit und Lebenssinn, von alternden Eltern und ihren Kindern, einer neuen Liebe inmitten der Krise und einer Frau, der die Luft wegbleibt.

Von Daniel Grabner

Brigit Birnbachers Roman beginnt mit einem Ende. Nach einem Flüchtigkeitsfehler, der einer Patientin fast das Leben kostet, erleidet die Krankenschwester Julia einen Asthmaanfall von dem sie sich ungewöhnlich langsam erholt. Von ihrer Arbeitsstelle erfährt die Ende-Dreißigjährige, dass sie nach Beendigung ihres Krankenstandes entlassen werde. Wie ihr Leben nun weitergehen soll, weiß sie nicht. Also verlässt sie ihre Dienstwohnung. Arbeitslos zieht sie zu ihren Eltern ins Salzburger Innergebirg, eine Gegend, die schon von Thomas Bernhard eindrucksvoll beschimpft wurde: „Tatsächlich erschreckt mich diese Gegend, noch mehr die Ortschaft, die von ganz kleinen, ausgewachsenen Menschen bevölkert ist, die man ruhig schwachsinnig nennen kann. Nicht größer als ein Meter vierzig im Durchschnitt, torkeln sie zwischen Mauerritzen und Gängen, im Rausch erzeugt. Sie scheinen typisch zu sein für das Tal.“, schreibt Bernhard in seinem Roman Frost (1963) über das Dorf Weng, das sich nur wenige Kilometer von Schwarzach, Birgit Birnbachers Heimatdorf befindet.

Birgit Birnbacher

APA/MIRIAM LAZNIA

Birgit Birnbacher

Auch Birnbachers Protagonistin Julia begegnet ihrer alten Heimat nicht besonders wohlwollend: „Alles ist zweckmäßig. Jeder Anflug von Schönheit ist schwul, alles Liebe weinerlich.“ Die Natur dieser Gegend ist ansehnlich, die wenigen Einheimischen, die die Landflucht zurückgelassen hat, sind naturgemäß alt, rau, morbid und schweigsam: „Alles ist immer nur halb wahr, halb so tragisch, alles, was uns nicht umbringt, ist nicht der Rede wert. Genau genommen ist nichts der Rede wert, genau genommen muss auch nichts genau genommen werden.“

Ein Jahr im Heimatdorf

Zuhause angekommen erwartet Julia eine Überraschung. Ihre Mutter, die sich jahrzehntelang um Haushalt, Garten und Ehemann gekümmert hat, ist nach Italien durchgebrannt. Plötzlich auf sich gestellt, kann der pensionierte Vater kaum für sich sorgen und erwartet dies nun von der heimgekehrten Tochter. „Wovon wir leben“ erstreckt sich über den Zeitraum von ca. einem Jahr, das Julia in ihrem Heimatdorf verbringt, eine Versehrte, die immer wieder um Luft und Perspektive im Leben ringt und die mit dem störrisch unselbstständigen Vater kämpft. Einziger Lichtblick ist „der Städter“ Oskar, der sich nach einem „Luxusinfarkt“ auf Kur im Ort befindet. Julia und Oskar verlieben sich, zu Julias Überraschung beschließt Oskar, sich im Ort dauerhaft niederzulassen.

Ein Roman über die Arbeit

Nach Birgit Birnbachers Debüt, der Kleinstadtristesse „Wir ohne Wal“, und „Ich an meiner Seite“, in dem es um die Geschichte eines Jugendstraftäters geht, beschäftigt sich „Wovon wir leben“ mit den verschiedensten Formen von Arbeit und den Stellenwert, den sie in unserem Leben einnimmt. Es ist ein Roman, der den Zeitgeist trifft, denn dieser Stellenwert wird in westlichen Gesellschaften zunehmend befragt.

Spätestens seit der Pandemie hinterfragen jene, die es sich leisten können, ihr Arbeitspensum oder die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit insgesamt. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance wird der vermeintlichen Notwendigkeit Karriere zu machen, vorgezogen. Viele andere wiederum haben beschlossen, sich nicht mehr prekären und krankmachenden Arbeitsbedingungen (beispielsweise im Gesundheitssektor) unterwerfen zu wollen, und wiederum andere – vorwiegend Frauen - haben nicht das Privileg so einer Wahl, sie sind an unbezahlte Care-Arbeit gebunden.

Arbeit – Selbstwert - Identität

Zu arbeiten ist für Julia und auch die anderen Protagonisten im Roman eng mit Selbstwert, Identität und nicht zuletzt Lebenssinn verknüpft. Die alles überragende Frage, die der Roman stellt ist: Was gibt mir Sinn im Leben? Die Antwort scheint zu sein: die Arbeit. Doch dabei geht es nicht in erster Linie um Arbeit, die gegen Lohn verrichtet wird, oder die der Gesellschaft nützt. Es geht um Betätigung, die ganz subjektiv als produktiv und sinnvoll empfunden wird und dadurch ihren Zwangcharakter verliert.

Bei ihren kurzatmigen Besorgungen in ihrem Heimatdorf begegnet Julia den verschiedensten Charakteren, manchen glückt ein solch sinnvoll empfundenes Leben, anderen nicht. Der Städter Oskar entschließt sich beispielsweise, seinen Beruf beim Eichamt aufzugeben, um das baufällige Gasthaus im Ort zu übernehmen: „Diese Idee von Arbeit als Kooperation. Dieses Etwas-von-sich-aus-Tun, für sich. Dieses Etwas-miteinander-Tun, miteinander etwas zu tun zu haben.“ Der alte Antiquar im Dorf scheint seine Berufung gefunden zu haben, er „arbeitet mit einem Gesicht, als habe er Urlaub, und konzentriert sich auf seine Pausen, als arbeite er.“, und Julias Vater verbringt jede freie Minute seiner Pension in seiner Hobbywerkstatt, um die verschiedensten Holzarbeiten anzufertigen. Auch Julia will nicht mehr einfach nur arbeiten, um die Miete zahlen zu können. „Ich will nicht mehr nur überleben“, beschließt sie. Doch wie schon ihre Mutter, ist sie gezwungen, sich dafür gegen die Ansprüche ihres Vaters, und letztendlich auch gegen den Lebensplan ihres Liebhabers zu entscheiden.

"Wovon wir leben" von Birgit Birnbacher

Zsolnay

„Wovon wir leben“ von Birgit Birnbacher ist bei Zsolnay erschienen.

Atmen und arbeiten

Brigit Birnbacher erzählt all das aus der Perspektive ihrer Protagonistin, deren Gedanken man liest, deren Beobachtungen man als Leser*in teilt. Diese Gedanken sind in der nüchternen Sprache einer schwarzhumorigen, verschrobenen Frau gehalten, die zu Beginn kaum noch etwas vom Leben zu erwarten scheint, und die mit den Folgen ihres Asthmaanfalls zu kämpfen hat: „Wenigstens eines habe ich gelernt: die vollständige Atmung. Immer mehr aus als ein. Ziemlich einfach zu merken: immer mehr geben als nehmen.“

Interessanterweise hat sich im vergangenen Jahr auch eine andere Autorin in ihrem Roman über das Thema Arbeit Gedanken gemacht und das mit dem Motiv des Atmens verbunden. In „Atemhaut“ von Iris Blauensteiner kämpft sich ein junger Arbeitsloser ins Leben zurück. Auch ihm scheint die vermeintlich zwecklose Produktivität aus der Lethargie zu retten: aus Ersatzteilen bastelt er ein eigentümliches Gerät, das atmen kann: die Atemhaut.

Tatsächlich lassen sich zwischen dem Atmen und Arbeit metaphorische Parallelen ziehen: Beides, das Atmen, wie die Arbeit, sind für uns in gewisser Weise (über)lebenswichtig. Doch beiden wohnt etwas Zweischneidiges inne: Denn einerseits sind sie verbunden mit einem Gefühl der Freiheit. Zur selben Zeit aber stellen sie eine Notwendigkeit dar, und damit das Gegenteil von Freiheit, einen Zwang. Ich muss atmen (arbeiten), um leben zu können. Julia erfährt, dass ihr Liebhaber Oskar in der Lotterie ein bedingungsloses Grundeinkommen für ein Jahr gewonnen hat, das dieser „Freiheitsgeld“ nennt. Julia kann das nicht nachvollziehen: „Ich arbeite auch nicht, und was ich dabei fühle, ist viel, aber Freiheit und Glück sind es nicht“.

Was braucht es um ein sinnerfülltes Leben zu führen? Welchen Stellenwert nimmt dabei die Arbeit ein? Damit setzt sich Birgit Birnbachers „Wovon wir leben“ auf kurzweiligen 192 Seiten auseinander. Ein beeindruckendes Buch, voller gesellschaftlicher Wahrheiten. Als Julias Vater pflegebedürftig wird, entscheidet sich Julia trotz seiner Bitte zu bleiben für einen neuen Berufsweg und ein Leben in der Stadt. Ihre Mutter allerdings beendet ihren Traum in Italien, um ihren Mann zu pflegen. Bei allen Wegweisern zu einem sinnerfüllten Leben, leichtfüßig können den Weg nur jene gehen, die die Gesellschaft auch lässt.

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