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Elevate: Klangskulptur von Andreas Trobollowitsch

Elevate / Philipp Bohar

From: Discourse To: Disco

Intensive erste Tage beim Elevate Festival 2023: Ein apokalyptisches Gedicht von Sibylle Berg und mit dem belarussischen Akkordeonisten Yegor Zabelov und der heimischen Elektronikerin Rent gleich zwei musikalische Sternstunden.

Von Katharina Seidler

Wir mögen uns nicht.
Und werden darum verlieren,
weil keiner weiß, was es zu gewinnen gibt.
(Sibylle Berg, Eröffnungsrede Elevate 2023)

(Unlikely) Alliances, also unwahrscheinliche Allianzen, so lautet das Motto des 19. Elevate Festivals, das seit zwei Tagen zwischen Orpheum und Mausoleum, zwischen Volkskundemuseum, Stadtpark und Schlossberg Graz im Griff hat. Es geht um Zusammenschlüsse und Kooperationen, mit Gleichgesinnten, aber eben auch mit Andersdenkenden, die vielleicht dennoch am Ende denselben Wunsch haben: Als Menschheit nicht auszusterben beispielsweise, oder der Natur auch noch ein paar Chancen auf einen Weiterbestand zu lassen.

Während wir hier sprechen, ziehen auch in Graz die Fridays for Future-Aktivist*innen zum weltweit angesetzten Klimastreik durch die Innenstadt; und zwei Abende zuvor hat die deutsch-schweizerische Autorin Sibylle Berg bei der großen Eröffnungsgala des Elevate daran erinnert, dass der Mensch den anderen Wesen ein Wolf ist. “Wir hassen einander, wegen des Wettbewerbs, den nur einer gewinnen kann, wegen Meinungen, die flüchtig sind, wegen unseres Verstandes, der so gerne Recht haben wollte.“ Ihre Worte fließen wie eine dunkle Flut durch den Saal und verbreiten traurige Wahrheiten, aber sie erinnern auch daran, dass wir es alleine nicht schaffen werden.

Elevate Festival 2023: Sibylle Berg

Elevate / Clara Wildberger

Sibylle Berg

In ihrer kollektiven Verzweiflung bildeten die Menschen schon automatisch die „Allianz der Ruhesüchtigen, die Vereinigung der Masse der Machtlosen, die sich auf diesem Festival trifft.“ Und irgendwo gibt es ja auch den Gedanken, dass eine andere Welt möglich ist, wenn man nur “gegen die Entfremdung anredet und -singt und -spielt.“ „Das ist süß“, meint Sibylle Berg dazu zwar lakonisch, aber gegen Ende entwirft sie doch einen Traum vom besseren Leben für alle.

Elevate: Klangskulptur von Andreas Trobollowitsch

Elevate / Philipp Bohar

Vor dem Forum Stadtpark trommeln inzwischen zwei Eismänner ihrem eigenen Ende entgegen. Der Künstler Andreas Trobollowitsch hat dort gemeinsam mit dem finnischen Eisschnitzer Antti Pedrozo zwei riesige Skulpturen aus Eis aufgestellt, mit Drumsticks in den kalten Händen, vor sich zwei Snaredrums und ein Notenpult. Erst langsam, dann immer schneller tropft das Schmelzwasser auf die Trommeln und hält sich ja doch nicht an die vorgegebene Partitur.

Es erklingt ein Marsch des Untergangs, an dessen Ende die Natur über den Menschen gesiegt haben wird: Die Figuren werden irgendwann ihre Sticks fallenlassen, ihre Gliedmaßen verlieren und schließlich ganz verschwunden sein. Aber Regen, Wind und Tiere können sich der Instrumente dann immer noch bemächtigen und sich ihren Platz nehmen. „When the music is over / melt in peace“ heißt die Arbeit, eine verspielte wie eindrückliche Parabel auf den Klimawandel.

Andreas Trobollowitsch präsentiert beim Elevate 2023 außerdem noch zwei weitere spannende Arbeiten: Zum einen den Kurzfilm „pfügl“, dessen Titel durchaus wortwörtlich zu verstehen ist: Ein Konzertflügel, also ein Klavier, ist an einen Traktor gespannt und pflügt einen Acker. Rurale Natur trifft auf sogenannte Hochkultur, die unlikely Alliance ist für beide Seiten destruktiv.

Es geht etwa um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Wenn die Beine des Klaviers ächzen und die steinige Erde die Tasten des Instruments zerkratzt, hat man fast Mitleid. Aber ist es nicht auch nur fair, dass einmal der Boden gewinnt, wo er ansonsten unter einem normalen Pflug immer nachgeben muss?

Elevate: Klangskulptur von Andreas Trobollowitsch

Elevate / Philipp Bohar

Die Installation „Hybrid#1“ wird übrigens am 29.5. im Wiener Konzerthaus, im Mozartsaal, in Kollaboration mit dem Ensemble Phase aufgeführt.

Außerdem verbindet er im Rahmen der Klanginstallation Hybrid#1 weiße Luftballons, so groß wie Sitzbälle, sechs Plattenspieler und zwölf indische Blockflöten zu einem schwindligmachenden Spektakel. Die herausströmende Luft aus den Ballons bringt die Flöten zum Klingen; durch den abnehmenden Luftstrom verändern sich die Tonhöhen ständig, bis die Flöten schließlich verstummen und das Flappen der rotierenden Plastikhüllen den Raum erfüllt. Physikalische Vorgänge erschaffen ihre eigene Musik.

This is not sunlight

Im Bauch des Forum Stadtpark findet am Elevate-Donnerstag dann auch gleich ein erstes Highlight des umfassenden Musikprogramms statt. Die Wiener Musikerin Katrin Euller macht seit eineinhalb Jahren unter dem Namen Rent als aufsteigende Priesterin der Finsternis von sich reden, und ihr Liveset um Mitternacht, gespielt auf einer Art Korg MS-20, öffnete mit nur wenigen Donnerschlägen einen Höllenschlund, aus dem man am liebsten nie wieder hervorgekrochen wäre. Ihre krachigen Drones sind bei aller Düsternis wohlig und geradezu sinnlich, unter dem elektronischen Neutronensturm glitzern komprimierte Harmonien, Ahnungen von Fennesz, verrauschte Erinnerungen an Sonnenaufgänge. Tracktitel wie „Every Echo from the past“ oder „This is not sunlight“ umreißen die Klangwelt von Rent in dieser Hinsicht ganz gut.

Rent · As Cold AS Sunlight

Elevate 2023: Rent

Elevate / Clara Wildberger

Rent

Nichts ist hier künstlich verkompliziert oder „schwierig“ um seiner selbst Willen, im Gegenteil durchschwimmt Rent mit kräftigen Zügen ein Meer aus Rauschen mit großes Selbstverständlichkeit. Wer hätte gedacht, dass das Genre Weltuntergangs-Doom noch einmal so frisch und geradezu hoffnungsfroh in Angriff genommen werden könnte. Das Hauptgesprächsthema für den restlichen Abend lautete folgerichtig: Wie gut war bitte Rent. Das Konzert der New Yorker Power-Electronics-Gottheit Pharmakon erschien im Anschluss daran geradezu poppig und war auch sehr gut. Ein kleines Stück lyrics and music gegen die Vereinzelung.

Elevate 2023: Pharmakon

Elevate / Clara Wildberger

Pharmakon auf Tuchfühlung

Kleiner Zeitsprung noch zurück zum frühen Abend im Grazer Mausoleum, wo offenbar Ferdinand der Zweite neben der Katharinenkirche ein kaltes Grab gefunden hat. Wie man weiß, stehen derartige Sakralbauten avantgardistischen Musikfestivals ausgezeichnet zu Gesicht, was sich beim Elevate auch an diesem Abend wieder bewahrheitet, wenn etwa die iranisch-österreichische Formenwandlerin Rojin Sharafi dort eines ihrer vielseitigen Livesets spielt. Ein persisches Hackbrett trifft darin auf noisige Ausbrüche, stolpernde Beats und glitchige Synths auf Sharafis verhallten Sprechgesang, dazu huschen im Takt Lichtwesen über LED-Stäbe auf der Bühne.

Elevate 2023: Rojin Sharafi

Elevate / Clara Wildberger

Rojin Sharafi

Außerdem erweist sich im Rahmen des Elevate bereits zum zweiten Mal, nach dem Auftritt von Mario Batkovic - zufällig auf den Tag genau vor fünf Jahren - die Kombination Kirche plus Solo-Akkordeon als extrem fruchtbar. Diesmal sitzt der belarussische Akkordeon-Virtuose Yegor Zabelov, der das Wort Virtuose laut Eigenaussage hasst, vor dem Altar und entlockt seinem Instrument leidenschaftliche Klänge zwischen Minimal Music und dramatischem Furor. Die Körperlichkeit seines Instruments, das unter vollem Einsatz von Armen und Beinen wie ein Brustkorb zum Atmen gebracht werden muss, kommt dem stürmischen Spiel Zabelovs zugute: Sein Akkordeon seufzt melancholisch und schwingt sich kurz darauf zu hitziger Erregung auf. Akkordzerlegungen aus der Minimalmusic steigern sich zu beatlosem Rave, bittersüße Hymnen für das Morgengrauen, wie sie etwa James Holden zu Gründungszeiten seines Labels Border Community gern herausbrachte.

Elevate 2023: Yegor Zabelov

Elevate / Clara Wildberger

Yegor Zabelov

“Eine wunderbare Welt könnte das sein, mit dem Neuen, was noch nicht existiert. Das wächst. Und es brennen kleine Feuer überall, da ist ein Unmut auf den Straßen. Bei Demonstrationen in der Nacht, in kleinen Gruppen in allen Ländern beginnen wir zu reden, und vielleicht zu erkennen dass es Zeit wird, sich zu verstehen, zusammenzuhalten oder: aufzugeben. Die Spiele sind hiermit eröffnet.“ (Sibylle Berg)

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