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Publikum beim Elevate

Clara Wildberger

elevate festival

Slavoj Žižek und die Entschuldigung

Slavoj Žižek sagt nicht hallo, er sagt Entschuldigung. Am Elevate Festival in Graz ist der Stargast des Diskursprogramms mit dem Motto "(Unlikely) Alliances“ Samstagabend eine Show für sich.

Von Maria Motter

Slavoj Žižek entschuldigt sich vorab. Einzig, um dann seine Ansichten rauszuhauen über unheilige Allianzen. Am Elevate Festival in Graz äußert sich der Philosoph Samstagabend: zu Putins Krieg gegen die Ukraine und die Irrungen der deutschen Linken, über Imperialismus - „aber überall!“ und Neokolonialismus - „breitet sich überall aus“. Žižek sagt dem Publikum im ausverkauften Orpheum, dass links außen und die extreme Rechte eine prorussische Haltung einnehmen. Er berichtet, dass das Eintreten für Menschenrechte, konkret für die Rechte Homosexueller, in Uganda von Parlamentariern als westlicher Imperialismus aufgefasst werde.

Er erklärt, dass Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, nicht bloß ein weißer Mann gewesen ist. Sondern dass Freud klar war, dass die menschliche Sexualität komplex und auf Gefühle nicht unbedingt Verlass ist. Das Unbewusste spiele eine Rolle. Manche LGTB+ Menschen würden mit Gefühlen argumentieren, wenn es um ihre Identität ginge. Doch wie könnten sie wissen, dass sie das wirklich fühlen, stellt Žižek in den Raum. Nicht ohne zu betonen, dass er ja „wahre“ trans Personen kenne, die alle Operationen durchgemacht und sich von der binären Geschlechterzuordnung verabschiedet hätten. Als Nächstes folgt die kategorische Ablehnung Žižeks von Pubertätsblockern.

Slavoj Žižek und Sebastian Brauneis am Elevate 2023 im Grazer Orpheum.

Clara Wildberger

Der Philosoph Slavoj Žižek ist bekannt für seine meinungsstarken zeitgenössischen politischen Analysen.

Žižek provoziert aus Prinzip

Er muss noch drei weitere Schlagwörter auf dem Blatt Papier notiert haben, das er in den Händen hat: Antisemitismus, Ökologie und Fake News. Die unheimliche Allianz radikaler Zionisten und westlicher Konservativer, die sogar antisemitisch sind, streift er kurz. Und stellt für sich klar: Der bedingungslose Kampf gegen Antisemitismus und der Kampf für Palästiner - „nicht für die Terroristen, sondern die Palästinenser in der Westbank“ - sollten Teil derselben Bemühungen sein.

Was „Ökologie“ betrifft, so lehne er jene Auffassung von Ökologie ab, die insgeheim viel zu sehr den Menschen in den Mittelpunkt stelle. Die wahre Ökologie fange mit dem Leitsatz an: „Nature is our mother, it’s a dirty bitch“. Denn die Natur selbst habe lang schon ihren harmonischen Kreislauf verloren, so Slavoj Žižek. Klar haben wir Menschen dann auch viel ruiniert.

Und dann plaudert Slavoj Žižek über eine App, die Gesichter aus Fotos in Hardcore-Pornos montiert. Nicht ohne Entschuldigung für seine Geschmacklosigkeit, gleich ein Beispiel zu nennen, das er gesehen habe.

Slavoj Zizek und Sebastian Brauneis

Clara Wildberger

Der Auftritt von Slavoj Žižek dauert eineinhalb Stunden. Der eloquente Sebastian Brauneis hält sich als Moderator des Abends zurück. „Braun Eyes, I have blue eyes, I’m more Nazi than you“, hat Žižek ihn auf der Bühne geneckt. Žižeks Besuch ist auch eine Show, begleitet von aufgeregten Lachern und mit Schlusspfiffen und Applaus bedacht. „Genossen und Genossinnen, fertig. Danke!“, sagt Slavoj Žižek.

Der Stargast selbst wäre noch für eine Zugabe. Und die ist dann ein schmutziger Witz. Überhaupt: So sich jemand von ihm provoziert fühlen würde, sei versichert, das wäre Absicht, um die wahre Debatte ans Licht zu bringen. Nicht jedoch, um zu beleidigen. „Weil ich finde, dass eine Debatte sowohl vonseiten der sogenannten Wokeness, der sogenannten liberalen Seite, als auch seitens der sogenannten neuen Fundamentalisten, der Rechten, immer weniger möglich ist“, so Slavoj Žižek.

Maral Salmassi aka Arya Zappa auf einem Bildschirm, Soziologe Kenan Güngör und Moderatorin Julia Herrnböck bei Elevate-Diskussion.

Lea Blagojević

Trojanisches Pferd TikTok?

„Jeder ist beleidigt, jeder braucht einen ‚Safe Space‘. Das ist nicht die Idee, die einer demokratischen Gesellschaft zugrunde liegt“, analysiert Maral Salmassi aka Arya Zappa. Die Künstlerin ist im Iran geboren. Ihr jüngstes Album „A Study Of Dreaming Habits“ bringt Art-School-Disco-Pop. Am Elevate hält sie mit heftigen Aussagen und kritischen Betrachtungen der zentraleuropäischen Gegenwart nicht hinter dem Berg. Der Islam ist für sie anders als alle anderen Religionen, er ließe sich nicht reformieren, sagt Salmassi. Der Soziologe Kenan Güngör versucht einen Widerspruch mit einer Differenzierung. „Disneyland-Islam“ nennt sie das, was sie für eine naive, europäische Sicht auf den Islam hält.

Cory DOctorow in Graz am Elevate Destival.

Lea Blagojević

Cory Doctorow war auch am Elevate.

TikTok ist Maral Salmassi aka Arya Zappa ein Dorn im Auge. Die „Woke Ideology, die Gender-Reiterei“ führe zu noch mehr Spaltung. Jeder habe eine Ideologie und eine starke Meinung, im Wesentlichen ginge es um Narzissmus, und einander zuzuhören, fände kaum noch statt. Auf TikTok werde eine „ziemlich bizarre Celebration von Kommunismus und Sozialismus betrieben“. China gehe bewusst vor: Maral Salmassi sieht TikTok als Versuch der Konditionierung von Teenagern. Man müsse zusehen, wie die Plattform von wichtigen Sachen ablenke und worauf die Aufmerksamkeit gelenkt werde. TikTok sei ein Sozialexperiment, das von der chinesischen Regierung betrieben werde, ist Salmassis Aussage, wobei TikTok dem chinesischen Unternehmen ByteDance gehört. Allerdings ist Maral Salmassi nicht allein mit ihrer Kritik an TikTok: In Kanada und den USA ist die App auf Diensthandys sämtlicher Behörden verboten, auch die Europäische Kommission zog kürzlich nach. Shoshana Zuboff beschreibt den Einfluss, den Plattformen und ihre Algorithmen auf die User*innen haben, in ihrem Wälzer von Sachbuch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“.

ChatGTP? Lieber nicht, sagt Lisz Hirn

Die österreichische Philosophin Lisz Hirn ist auch zu Gast am Elevate. Sie ist erstaunt, dass erst jetzt eine Regelung, die TikTok einschränkt, Thema ist. Auch bei Chat GTP wundere sie sich, warum sie verwendet würde. „Wir spielen nicht nur mit, wir füttern die Systeme und verwenden sie in einer sehr großen Naivität. Wir könnten sie auch in der selben Naivität nicht verwenden“.

In China war die Diskussion so weit, TikTok für eine Stunde zu beschränken und in die Timeline junger Leute nur gewisse Videos reinzuspielen. Während im Westen die Zerstreuung unendlich wäre, was für Lisz Hirn jedoch eine Missdeutung des Begriffs Freiheit ist. Dass in westlichen Demokratien die Digitalität und die digitalen Supermächte nur so nebenbei behandelt würden, verwundert Lisz Hirn. Wo man wisse, welche Auswirkungen die künstliche Intelligenz auf demokratische Systeme habe. „Wir haben das nach und nach mitbekommen durch die Einflussnahme von Russland auf die Wahlen in die USA und die Brexit-Geschichte“.

Lisz Hirn plädiert am Elevate Festival für eine stärkere Reglementierung von Apps und des digitalen Raums. Sie will das nicht als Einschränkung verstanden wissen, sondern als Gewährleisten der Freiheit, die richtigen Infos und keine Fake News zu kriegen. Wie wäre es, wenn es eine Behörde gäbe, die bei Falschmeldungen Strafen ansetzt. „Schrecklich!“ Der Journalist Raimund Löw ist alarmiert. „Eine Behörde soll entscheiden, was richtig und was falsch ist?“ Der langjährige Politikanalyst Raimund Löw hat sofort Europa nach der Erfindung des Buchdrucks im Hinterkopf. Plötzlich waren Flugblätter unterwegs, viele davon mit Lügen, aber die Möglichkeit war auf einmal da, an Informationen zu kommen, die nicht vorab kontrolliert worden waren.

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