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Cover-Art von "Marvel Snap"

Second Dinner / Nuverse / Marvel

Warum ich nicht mehr „Marvel Snap“ spielen werde

Knapp ein halbes Jahr nach Veröffentlichung ist das digitale Sammelkartenspiel „Marvel Snap“ das mit Abstand erfolgreichste am Markt. Der Grund dafür ist eine unheilige Paarung aus gutem, intuitivem Gamedesign und einem infamen Monetarisierungssystem. Ein Erfahrungsbericht.

Von Robert Glashüttner

Ich habe in den vergangenen Wochen wieder verstärkt „Marvel Snap“ gespielt. Es ist immer noch das new kid on the block der digitalen Sammelkartenspiele. Im vergangenen Oktober erschienen, hat „Snap“ viele Menschen mit seinem zugänglich knackigen Spielprinzip verzaubert. Auch ich habe mich weitgehend positiv über das Game geäußert, schriftlich wie auch in Ton und Bild. Nach der anfänglichen Euphorie habe ich es eine Weile weniger, aber immer wieder gespielt.

Knapp ein halbes Jahr nach Veröffentlichung hat das Smartphone-Game „Snap“ die Konkurrenz vollständig abgehängt und nimmt mit In-Spiel-Käufen circa so viel ein wie die vier stärksten Mitbewerber (Konamis „Yu-Gi-Oh!“-Serie, „Magic Arena“, „Shadowverse“ und „Hearthstone“) zusammen. Über zehn Millionen US-Dollar sollen es monatlich sein. Nachdem ich mich nun ein weiteres Mal intensiver mit dem Spiel und seinem Monetarisierungssystem beschäftigt habe, weiß ich auch, warum. Und warum ich mir das nicht weiter antun möchte.

Übersicht der erfolgreichsten digitalen Sammelkartenspiele.

appmagic.rocks

Verschachteltes System, unzugängliche Karten

Ein Sammelkartenspiel lebt davon, dass man einen Grundstock an wichtigen, starken Karten zusammenbekommt, mit denen man kompetitive Decks erstellen kann. Neue Karten kriegt man in den meisten Fällen zufällig, durch die Inhalte von Kartenpackungen. Viele von uns kennen dieses Prinzip von Sticker-Sammelalben.

Abrechnung mit „Marvel Snap“

Das ukrainische Statistik-Rechercheprojekt „Hearthstone Mathematics“ hat sich eingehend mit dem Monetarisierungssystem von „Snap“ beschäftigt (Video unten).

Bekommt man eine wichtige Karte nicht, gibt es üblicherweise die Möglichkeit, dass man sie direkt erwirbt oder sie sich zusammenbaut. Nicht so in „Marvel Snap“: Alles, was dort zählt, ist die eigene Punkteleiste (Collection Level). Dort schaltet man immer wieder Loot Boxes frei, in denen manchmal eine neue Karte drinnen ist. Die Chance dafür liegt anfangs bei knapp 50 Prozent. Absurd allerdings: Je länger man spielt, desto unwahrscheinlicher und langwieriger ist es, an neue Karten zu kommen. Stattdessen erhält man weitgehend sinnlosen Kram wie halblustige Sprüche für seinen Avatar.

Auf der Punkteleiste klettert man nach oben, indem man Karten, die man bereits besitzt, verbessert. Diese Verbesserungen sind nur durch individuelle sogenannte Booster sowie durch eine virtuelle Währung namens Credits möglich. Credits kann man sich mit einer weiteren virtuellen Währung (Gold) kaufen. Credits als auch Gold können mit echtem Geld erworben werden, um so Ressourcen für die Karten-Upgrades zu sammeln, die wiederum die Punkteleiste nach oben bringen, was eine immer kleiner werdende Chance in sich birgt, zufällig ausgewählte neue Karten freizuschalten.

Der Games-Youtuber Zeddy Hearthstone hat bereits vor über einem Monat in einem Video erklärt, warum er mit „Marvel Snap“ aufgehört hat.

Dieses System ist nicht nur hochgradig verschachtelt, sondern vor allem maximal unflexibel. Knapp 250 Karten gibt es mittlerweile in „Snap“. Bei jenen Karten, die neu ins Spiel gebracht werden, liegt die Chance, sie zu bekommen, bei 0,25 Prozent - und das auch nur dann, wenn man mal wieder eine Loot Box öffnen darf. So kann man nicht nur nie alle Karten besitzen, sondern es werden einem manche wichtigen Karten selbst dann lange fehlen, wenn man „Snap“ sehr viele Stunden spielt und Geld darin ausgibt.

Wahrscheinlichkeiten bei Loot Boxes beim Computerspiel "Marvel Snap".

Hearthstone Mathematics

Je weiter man in der Punkteleiste voranschreitet, desto geringer werden die Chancen auf neue Karten.

Spielen, um Loot Boxes zu finden

Meine Motivation, „Snap“ im Februar verstärkt zu spielen, war eine spielerische. Ich wollte mir ein starkes Deck erarbeiten, taktisch besser werden und einen bestimmten Rang erreichen. Bestärkt wurde dieser Ehrgeiz dadurch, dass man das Game bequem am Smartphone spielen kann und außerdem der Kollege vom „Standard“ bereits mehr als doppelt so weit gekommen war als ich. Wie erwähnt ist „Snap“ spielerisch hervorragend, und wenn man bestimmte Karten nicht besitzt, gibt es immer Alternativen. Das ist perfide, denn dadurch ist man geneigt, das aggressive Monetarisierungssystem dahinter auszublenden. Man muss ja nicht, man kann ja auch spielen, ohne Geld auszugeben.

Rückzahlung wegen Loot Boxes

Vor wenigen Tagen ist bekannt geworden, dass ein Urteil des Bezirksgerichtes Hermagor einen juristischen Präzedenzfall in Sachen Loot Boxes geschaffen hat.

Dennoch: Die Lücken in der Sammlung fallen umso stärker ins Gewicht, je länger man spielt. Je länger man fremde Karten in gegnerischen Decks zu Gesicht bekommt und im Einsatz sieht, desto größer wird der Frust über den fehlenden Dracula oder Wong. Dann werden die vielen Partien nicht mehr nur gespielt, um Spaß zu haben und Erfahrung zu sammeln, sondern auch, um neue Ressourcen freizuschalten, die einen wieder näher an die nächste Loot Box und die damit verbundene, geringe Wahrscheinlichkeit bringen, eine neue Karte zu bekommen.

Ausgesnappt

Zusätzlich zu all dem gibt es noch die Möglichkeit, monatlich zwölf Euro zu bezahlen, um den Season Pass inklusive einer neue Karte zu bekommen. Abseits dieser Karte kauft man sich damit aber nur einen Zugang zu weiteren virtuellen Ressourcen - und wir wissen ja mittlerweile, wie effizient diese sind.

Ein paar dieser Pässe habe ich mir in den vergangenen Monaten gekauft; es waren meine einzigen In-Spiel-Käufe in „Snap“ und werden wohl auch meine letzten bleiben. Denn obwohl ich den von mir erzielten Rang 40 erreicht habe, ist nur Ernüchterung geblieben, über ein System, das mir nichts bietet außer einen stupiden Sisyphos-Lauf in einem virtuellen Hamsterrad und das ständige Jonglieren mit sinnlosen, verschachtelten Währungen und Werten. Schade, dass beim Verzicht auf „Marvel Snap“ auch ein wirklich gutes Game wegfällt, das unter all dieser Scheiße versteckt ist. Glücklicherweise gibt es so viele andere, tolle Computerspiele, die das Loslassen leichter machen.

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