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The Fabelmans

Universal

FILM

Fabelhafter als mit „The Fabelmans“ geht es nicht

Witzig, berührend, klug, inspirierend: Steven Spielberg verfilmt seine eigene Jugend und wie ihn das Kino formte.

Von Christian Fuchs

Der erste Kinobesuch: Für etliche Generationen ein ziemlich prägendes Erlebnis. Während die meisten Gäste in unserem FM4 Film Podcast von einem Disney Animationsstreifen in die Welt der bewegten Bilder eingeführt (beziehungsweise teilweise traumatisiert) wurden, steht beim kleinen Steven Spielberg ein bombastisches Zirkusepos auf dem Programm.

Im Jänner 1952 nehmen seine Eltern den sechsjährigen Buben in „The Greatest Show on Earth“ mit, eine Riesenproduktion von Cecil B. DeMille, dem wahrscheinlich ersten Blockbuster-Regisseur Hollywoods. Zunächst fürchtet sich Spielberg Jr. vor dem gigantisch aufgeblasenen Geschehen auf der Leinwand, eine Szene mit einem entgleisenden Zug verstört ihn nachhaltig.

Aber eben weil DeMilles aufwändiges Technicolor-Spektakel für ihn mit Angst und Adrenalin verknüpft ist, lässt es Steven nicht mehr los. Er wird versuchen, die dramaturgischen Tricks und Kniffe dahinter zu entschlüsseln, die Technik zu verstehen. Mama motiviert ihn und mit Papas Super-8-Kamera beginnt er selbst Filme zu drehen. Der Rest ist Hollywood-History.

The Fabelmans

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Kniefall vor der analogen Ära

Man darf den Starregisseur Steven Spielberg, der das Unterhaltungskino seit den 70er Jahren so enorm geprägt hat, durchaus kritisch diskutieren. Seinen Hang zu kitschverdächtigen Familienzusammenführungen zum Happy End hin, seine generelle Harmoniesucht auch bei schwierigen Themen, die mangelnde Konsequenz in der zweiten Hälfte von Filmen, die extrem fesselnd beginnen.

Über Genreklassiker wie „Jaws“, „Close Encounters of the Third Kind”, “Raiders of the Lost Ark” oder “Jurassic Park” traut sich aber kaum jemand streiten, zu sehr symbolisieren sie formal perfektes großes Kino. „The Fabelmans“, Spielbergs neuester Film und sein erstes dezitiert autobiografisches Werk, könnte sich in diesen Kanon einreihen, wenn es nach vielen Kritiker*innen (und nach dem Schreiber dieser Zeilen) geht.

Wie seine Kollegen Alfonso Cuarón („Roma“), Kenneth Branagh („Belfast“) oder Sam Mendes („Empire of Light“) verknüpft Steven Spielberg melancholische Coming-of-Age-Gefühle mit einem Kniefall vor dem analogen Kino und seinen barocken Lichtspiel-Tempeln. Das birgt die Gefahr einen reinen Nostalgie-Veranstaltung für ältere Semester, „The Fabelmans“ ist aber viel mehr.

The Fabelmans

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Massive Indiefilm-Vibes

Wir folgen den Spielbergs alias der fiktiven Mittelklasse-Familie Fabelman durch die 50er Jahre, ein Umzug von New Jersey nach Phoenix, Arizona inklusive. Abends am Esstisch, wo sich Kinder und Verwandte drängen, herrscht ein quirliges Chaos, das man sonst nur aus Filmen von Martin Scorsese kennt. Bei den Fabelmans türmen sich aber nicht die Spaghetti, es kommt koschere Küche auf den Teller, der auch in der US-Provinz grassierende Antisemitismus wird diskutiert, auch der kleine Sammy aka Steven ist am Schulhof mit Anfeindungen konfrontiert.

Das eingangs beschriebene Initiationserlebnis im dunklen Lichtspielsaal verändert den Jungen aber, „don’t call it a hobby“ erwidert Sammy seinen Eltern, wenn sie ihn auf die Leidenschaft des Filmedrehens ansprechen. Freundinnen und Freunde werden in selbstkreierte Kostüme gesteckt, Kracher explodieren, Kunstblut fließt am Set.

Das wirkliche Drama spielt sich aber abseits von miniaturhaften Kriegsfilm-Versuchen statt, als Sammy die Kamera im Familien-Urlaub laufen lässt. Mutter Fabelman, eine beeindruckende Musikerin, die ihre Karriere der Familie opferte, und ein guter Freund des Ehepaars, flirten miteinander, der filmische Mitschnitt wird vom Sohn geheim gehalten. Wie Spielberg vielschichtig und fern jedes Zeigefingers die (eigenen) Eltern porträtiert, das kennt man tonal in dieser Form nicht von ihm. Massive Indiefilm-Vibes, sage ich nur.

The Fabelmans

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Heiligsprechung des Kinos

Und so ist „The Fabelsmans“ letztlich Steven Spielbergs charmante Verbeugung vor der Super-8-Ära und auch der persönlichste Film seiner Karriere geworden. Michelle Williams und Paul Dano brillieren und berühren als Eltern in der Krise, Seth Rogen ist toll als sensibler Hausfreund. Fantastisch aber vor allem der bisher unbekannte Gabriel LaBelle als Sammy, dem jungen Spielberg wie aus dem Gesicht geschnitten.

Stellt sich natürlich trotzdem die Frage: Warum sollten sich jüngere Menschen, die mit dieser Zeit und ihren Figuren keinerlei wehmütige Bezüge verbinden, unbedingt „The Fabelmans“ anschauen? Weil Steven Spielberg eine mitreißende Aufforderung zum „Einfach loslegen“ gedreht hat, eine Ermutigung zur DIY-Kultur, abseits langjähriger akademischer Berufsplanungen.

Es ist durchaus passend, dass der Prä-Punk John Waters, ebenfalls 1946 geboren, auch fernab jeder Filmhochschule einfach die nächstbeste Schmalfilm-Kamera in die Hand genommen hat. Beide Teenager kreierten sich ein eigenes cineastisches Universum, umgeben von treuen Freunden und Mitstreiter*innen. Waters mutierte mit seinen Trash-Provokationen zum „Prinz der Kotze“, Spielberg zum Retter der kommerziellen amerikanischen Filmindustrie. Kinder der Popkultur und des Mediums Super-8 sind sie beide.

The Fabelmans

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Wenn am Ende dann noch der ikonische Regisseur John Ford ins Bild kommt, gespielt von einer lebenden Regielegende der ganz anderen Art, spürt man: Dies ist eine Heiligsprechung des Kinos. Steven Spielberg, der Mann, dem wir den Weißen Hai, Indiana Jones, E.T. und den T-Rex verdanken, hat einen weiteren spitzenmäßigen Film gedreht. Fabelhafter als mit den „Fabelmans“ kann man einen Kinoabend nicht verbringen.

fm4filmpodcast

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#172 FM4 Filmpodcast: „The Fabelmans“ & „Tár“

Ein Podcast als Feierstunde des Kinos: Im Mittelpunkt stehen zwei Meisterwerke, die bei den Oscars leer ausgegangen sind. Steven Spielbergs autobiografisches Coming-of-Age-Drama „The Fabelmans“ darf zu den besten Filmen des legendären Regisseurs gezählt werden. Todd Field präsentiert mit „Tár“ die psychologische Studie einer Stardirigentin (die virtuose Cate Blanchett) als Reflexion über Machtmissbrauch und Mental Health. Pia Reiser und Christian Fuchs schwärmen detailliert über die Vorzüge dieser Filme.

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