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An der West Coast was Neues

Der von zelebrierten Seltsamkeiten und „Representation Matters“ durchtränkte Indiedarling „Everything Everywhere All at Once“ geht mit Tränen in den Wackelaugen und sieben Oscars nach Hause. „Im Westen nichts Neues“ wird mit vier Oscars ausgezeichnet.

Von Pia Reiser

Ist der Cocaine Bear gerade auf Malala losgegangen, hör ich mich um 3:28 sagen, herzlich willkommen bei der 95. Oscarverleihung, die in Sachen Comedy allerdings die meiste Zeit eh eher auf Valium als auf Kokain-Energie setzt (naja, Jimmy Kimmel halt). Dass jemand im Bärenkostüm ins Publikum rennt und einen Satz auf Malala zumacht, gehört zu den Lowlights einer an inszenatorischen Lowlights recht reichen Oscarverleihung. (Malala nach ihrer Meinung zu Spitgate fragen: auch eher nicht lustig)

Die aktuelle Episode des FM4 Filmpodcast widmet sich ausführlich der Oscarnacht und ist bereits verfügbar- und Montag Mitternacht auf FM4.

Sieben Oscars also für die hyperaktive Multiversumsoperette „Everything Everywhere All at Once“ von The Daniels - und darunter die Königskategorien „Best Picture“, „Best Achievement in Directing“, drei Schauspieloscars und "Best Original Screenplay! Dem gegenüber finden sich vier Oscars für den getragenen Antikriegsfilm „Im Westen nichts Neues“.

Die Oscars 2023 machen einen Spagat zwischen dem jungen, visuell innovativen (aber für mich unaushaltbaren) Kino der Daniels und dem ganz klassischen Ansatz der Romanverfilmung mit Botschaft, hier vertreten vom Netflix-Überraschungserfolg in Blaugrau „Im Westen nichts Neues“. Schön sind die den Moment aufsaugenden Gesichter der „Im Westen nichts Neues“-Darsteller Albrecht Schuch, Daniel Brühl und Felix Kammerer, die gemeinsam mit Regisseur Edward Berger auf die Bühne gehen, als „All Quiet at the Western Front“ in der Kategorie „Best International Feature“ ausgezeichnet wird.

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Reuters/Carlos Barria

Steven Gätjen nennt am roten Teppich übrigens Felix Kammerer gleich zweimal Franz, was dann folgt, ist ein Gätjen’scher stream of consciousness zur Überbrückung der Zeit, in der sich keine Interviewgäste zu ihm winken lassen. Die Amis gehen halt lieber zu den Amis, so Gätjen. Nehme an, dass der champagnerfarbene Teppich, der dieses Jahr statt dem roten ausgerollt wurde (if it ain’t broke don’t fix it!) im Onlineshop tatsächlich champagnerisch ausgeschaut hat, jetzt aber ist das einfach nur grau. Modisch geht der Trend zum Funkelsakko (Brendan Gleeson, Paul Dano, Felix „Franz“ Kammerer) und Larger-than-life-Mascherln auf Kleidern (Angela Bassett, Cara Delivigne, Sabrina Elba, Elizabeth Banks). Austin Butler rettet mit Leichtigkeit den Ruf der blonden Mèchen, den Keith Urban seit Jahrzehnten erfolgreich zu zerstören versucht.

Funkelnde Highlights in dem eher drögen Abend sind, dass Sarah Polley einen Oscar für ihr Drehbuch für „Women Talking“ erhält und die Dankesreden der „EEAAO“-SchauspielerInnen von Michelle Yeohs „For all the girls and boys who look like me: this is the beacon of hope and possibilities. and ladies, don’t let anyone tell you, you’re past your prime“ bis Jamie Lee Curtis’ großzügigen „There is no I in Team“-Ansatz, sie teilt ihren Oscar u. a. mit den BesucherInnen von Genrefilmen. Sie ist als eine der legendären scream queens essentieller Teil des „Halloween“-Franchise, aber auch im Actionkino („True Lies“) und in der Komödie („A Fish Called Wanda“) zuhause. Und Jamie Lee Curtis ist als Tochter von Janet Leight und Tony Curtis natürlich auch verknüpft mit dem alten Hollywood - und jetzt oscargekrönt für einen Film, der für neues, junges Kino steht.

Rührende Comebacks

Der dritte Preisträger im Waschsalon-Multiversums-Bunde ist - und das stand im Grunde schon vor der Verleihung fest - Ke Huy Quan. Thank you so much for welcoming me back, sagt Quan, der als Kind in „The Goonies“ und „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ zu sehen war - nur, dann blieben die großen Rollen aus. Ke Huy Quan ist die wahr gewordene Showbusiness-Geschichte vom Comeback, vom „nicht Aufgeben“, vom „an den Träumen Festhalten“. Gleiches gilt für Brendan Fraser, den 1990er-Jahre-Hübschling und Disney-Helden, der mit einem recht tranigen Film von Darren Aronofsky - der sich mit „The Whale“ wieder mal an einem Körper abarbeitet - ein Comeback feiert und eine Schauspielleistung abliefert, die eine große Transformation beinhaltet, auch das ist bei der Academy gerne gesehen.

Auffällig ist, dass zwei Männer abwesend waren, deren Filme im letzten Jahr für unglaubliche Box-Office-Erfolge verantwortlich waren. Weder James Cameron noch Tom Cruise waren bei der Oscarverleihung anwesend, immerhin mit einem Oscar wurden beide Filme ausgezeichnet, „Avatar - The Way of the Water“ für „Best Visual Effects“ und „Top Gun: Maverick“ für „Best Sound“.

Jungle Cruise statt Tom Cruise

In der Eröffnungsmontage war Tom Cruise - für Steven Spielberg ja der Retter des Kinos - immerhin anwesend, Jimmy Kimmel betätigte den Schleudersitz in einem Jet und landete mit Fallschirm auf der Bühne des Dolby Theatre. Nach einem recht handzahmen Eröffnungsmonolog wurde Host Kimmel von Tänzern von der Bühne getanzt (ge-naatu-naatut, genaugenommen), und statt Tom Cruise kamen dann „Jungle Cruise“-DarstellerInnen Emily Blunt und Dwayne Johnson, und Guilhermo del Toros düsterer „Pinocchio“ wird als „Best Animated Feature“ ausgezeichnet. (Samtsakkos sind übrigens auch zurück). Del Toro meint, keep animation in the conversation (kann man jetzt auch gleich mal ein paar Sticker drucken lassen) und er ist der erste Regisseur, der als Regisseur eines Animationsfilms und eines „Live-Action“-Films mit einem Oscar ausgezeichnet worden ist.

David Byrne hat sich die Hot-Dog-Hände zur weißen Panier angelegt und bringt gemeinsam mit Stephanie Hsu und Son Lux „This is a life“ aus „EEAAO“ auf die Oscar-Bühne, im Hintergrund rotiert der Nihilismus-Bagel, eine der greislicheren Metaphernwatschen aus dem vergangenen Filmjahr. Wie war es musikalisch sonst so? Lady Gaga hat sich den grellroten Lippenstift, den sie im Saal noch getragen hat, abgeschminkt und in distressed Jeans und auf einem „Wetten dass..?“-Gedächtnis-Barhocker „Hold my Hand“ gesungen, Rihanna stand auf einem Podest und hat „Lift me Up“ gesungen, und die Performance von „Applause“ sollte man am besten gleich wieder vergessen. Als „Best Song“ wurde wie erwartet „Naatu Naatu“ ausgezeichnet, ein Song, als hätte man den Ketchup-Song, Macarena und Gangnam Style einmal in den Mixer geworfen. Ein Sommerhit, also inklusive Bollywood-meets-Riverdance-Choreografie unter besonderer Verwendung von Hosenträgern.

Die Reden waren eher kurz und reich an Tränen, niemand hat so wie früher Gott oder Steven Spielberg gedankt, dafür wurde umso öfter an Mütter und Väter gedacht - Daniel Scheinert bedankte sich bei seinen Lieblingslehrern. Niemand hat the magic of the movies gesagt, und es gab auch weniger mit Pathos angereicherte Montagen als in früheren Jahren. Selbst der „In Memoriam“-Teil - mit sonnenbebrilltem Lenny Kravitz am Klavier und anmoderiert von John Travolta, der für seine verstorbene „Grease“-Partnerin Olivia Newton John eine Grease-Zeile aus dem Hut zauberte (hopelessly devoted to you) - war zurückhaltend inszeniert, alle Verstorbenen waren mit einem S/W-Foto vertreten, nur für drei gab es eine Ausnahme und man sah einen Ausschnitt aus einem Film (James Caan, Ray Liotta und Irene Cara). Tom Sizemore, Anne Heche, Charlbi Dean und Robert Blake waren nicht im „In Memoriam“-Teil vertreten.

Schon letzte Woche wurde bekannt, dass Wolodymyr Selenski nicht zugeschaltet wird und nicht nur mit dieser Entscheidung wurde Politik so gut wie ganz aus der Verleihung ausgeschlassen. Außer im Falle der Doku „Nawalny“ kam Politik nie ins Spiel. Als „Nawalny“ als „Best Documentary Feature“ ausgezeichnet wird, ist Julia Nawalny mit auf der Bühne und bittet ihren Mann im Gefängnis durchzuhalten.

Dankenswerterweise hat man sich zu keinem Oscar Slap Sketch oder Ähnlichem hinreißen lassen, die Anspielungen auf den letztjährigen Skandal halten sich in Grenzen. Ein Esel - den uns Kimmel als Jenny aus "The Banshees of Inisherin verkaufen will - hat einen Kurzauftritt, Andrew Garfield liefert, als der Abend noch sehr jung ist, erstes Meme-Material. Dass die Producer der Show nichts draus gemacht haben, dass sie hier ein Orchester im Saal haben und einen nominierten Film, in dem Cate Blanchett eine Dirigentin spielt, lässt einen wundern. Andererseits, nach der Idee, den Cocaine Bear mal auf Malala losstürzen zu lassen, vielleicht auch besser so.

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Was bleibt also übrig? Michelle Yeoh ist die erste Asian American Schauspielerin, die mit einem Oscar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet worden ist, „EEAAO“ ist in Sachen Repräsentation und Weirdness ein großer Einschnitt bei den Oscars. Es ist auch die erste Oscarverleihung, die - außer in einem Segment über das Academy Museum - nicht die goldene Vergangenheit Hollywoods vor den Vorhang bringt. Weder wurden betagte SchauspielerInnen auf die Bühne geholt noch gab es die üblichen Montagen über den Zauber der Filme, es gab im Grunde keinen Blick zurück auf die Filmgeschichte. Mir hat ein bisschen Pomp dann ja tatsächlich gefehlt.

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