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Fever Ray Radical Romantics Artwork

Nina Andersson

Wer hat Angst vor Fever Ray?

Karin Dreijer veröffentlicht mit „Radical Romantics“ das dritte Album des Soloprojekts Fever Ray - poppiger als zuletzt, raffiniert und radikal wie eh und je. Ein frühes Album des Jahres.

Von Katharina Seidler

„Für mich geht es in der Musik um Fantasien und Träume. Ich denke, das sollte man nicht dadurch ruinieren, gewöhnliche, normal gekleidete Leute auf die Bühne zu stellen.“

Soweit eine der Lebensweisheiten von Karin Dreijer (seit einiger Zeit minus das -Andersson) über Kraft und Potentiale von Popmusik. Gemeinsam mit Bruder Olof in der kongenialen Duo-Konstellation The Knife als auch solo in der düsteren, konzeptuell klar definierten Fever Ray-Inkarnation schraubt Dreijer seit über zwanzig Jahren an der Ausweitung der Kampfzone Körper im Pop.

Fever Ray unterspült und unterläuft dabei ein ums andere Mal binäre Kategorien wie männlich/weiblich, sperrig/tanzbar oder dunkel/hell. Auf der Bühne sieht man Dreijer in wechselnden Masken, im Muskelanzug, mit künstlicher Glatze oder extrem blutunterlaufenen Augen. Wie im echten Leben, wo Karin Dreijer das Pronomen they/them verwendet, bewegt sich auch das Alter Ego Fever Ray alienhaft jenseits von Zuordenbarkeiten. Es geht nicht nur um das Zertrümmern von Schönheitsidealen, sondern um den radikalen Neuentwurf einer ganzen Welt.

Fever Ray Radical Romantics Artwork

Nina Andersson

„Radical Romantics“ von Fever Ray ist am 10.3.2023 beim eigenen Label Rabid Records erschienen.

„Radical Romantics“ ist, wie der Titel schon sagt, vor allem ein Album über die Liebe in ihren verschiedensten Ausformungen. Zum Einen meint Liebe bei Fever Ray immer auch Sinnlichkeit und sexuelle Freiheit, wovon etwa verführerische Slow-Burner wie „Kandy“ und „Shiver“ zeugen. Dass Liebe aber auch rachsüchtige Seiten hat, wird in dem ebenso verstörenden wie faszinierenden Track „Even it out“ hörbar, dessen metallische Industrial-Beats von den beiden Nine Inch Nails Atticus Ross und Trent Reznor mitgezimmert wurden: „We know where you live, one day we might come after you, taking back what’s ours“: Diese Drohung wird ganz direkt ausgesprochen, und zwar, und das ist wirklich ungewöhnlich, von einem Erwachsenen an ein Kind.

„Even it out“ widmet Fever Ray einem gewissen Zacharias, dem Klassen-Bully der jüngsten Tochter. Der Track ist aber nicht nur eine Rachefantasie gegen eine Einzelperson, sondern ist auch als Anklage gegen das garstige, politische Klima in der aktuellen schwedischen Politik zu verstehen, die queer- und allgemein menschenfeindliches Verhalten ermögliche und bestärke.

Aber auch für zärtliche Lippenbekenntnisse ist auf „Radical Romantics“ Platz. Über einen steppigen Batida-Rhythmus, produziert von der Lissaboner Príncipe-Discos-Protagonistin Nídia singt und sägt Fever Ray in „Looking for a ghost“ schüchterne Sehnsüchte in der Welt des queeren Datings: „Asking for a friend who’s kind of shy, can it be just something, can you just let me be“. Später wird Liebe in der ravigsten Nummer des Albums, entstanden unter Mithilfe des Bristoler Beatjongleurs Vessel, zur rein chemischen Reaktion: „Sucking on what’s mine, love’s carbon dioxide“.

Dass Fever Ray für dieses Album zum ersten Mal seit acht Jahren auch wieder mit Bruder Olof an der Produktion gearbeitet, hört man in vielen Momenten deutlich, etwa wenn zu Beginn von „Kandy“ tropische, digitale Steeldrums an die pophit-mäßigsten Momente von The Knife erinnern. Zu den soundtechnischen Parallelen zuckt Karin Dreijer bloß die Schultern: „Natürlich klingen viele Stücke nach The Knife, denn ich war eine Hälfte davon, und alles, was man macht, beeinflusst einander gegenseitig. Mit Fever Ray bin ich unter meiner eigenen Regie auf der Suche nach meinem eigenen Tempo.“

„It’s a common misperception
this is not a band
ready for a dissection
now mommy’s gotta work, see the land“

So heißt es im Album-Opener „What they call us“, und Fever Ray macht diese Arbeit eigensinnig und konsequent wie eh und je, ein wenig poppiger als zuletzt aus alleinigem Wunsch der Regisseur*in heraus. Am Ende steht die Liebe als safe space im Privaten oder gleich auf dem Grund des Ozeans. Sieben Minuten lang schwebt Fever Rays Stimme im Abschlüssstück „Bottom of the ocean“ zwischen zarten Drones und ätherischen Echokammern, ein Schlaflied aus „oh-oh-ohs“, ein Ankommen zuhause, wer immer dann dort wartet. Ein frühes Album des Jahres.

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