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Tanzen gegen den Gottesstaat

Austro-Iranerin Shoura Hashemi im Interview über die Freiheitsbewegung im Iran ein halbes Jahr nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini. Ein Gespräch über Protesttänze, Giftgasanschläge und die Gen Z im Gottesstaat.

Von Barbara Koeppel

Die Iranproteste sind auch Thema in FM4 Auf Laut

Zu Gast sind die Journalistin Laila Docekal und Andere aus der austro-iranischen Community.

Los geht’s am 14.3., um 21 Uhr.

Vor fast genau einem halben Jahr, am 16. September 2022, stirbt Jina Mahsa Amini an den Folgen von Kopfverletzungen, die ihr in Polizeigewahrsam in Teheran zugefügt wurden. Drei Tage zuvor war sie von der Sittenpolizei festgenommen worden, weil unter ihrem Kopftuch ein paar Haarsträhnen hervorgeschaut hatten.

Jina Mahsa Aminis Tod löste die größte Protestwelle im Iran seit 1979 aus. Bilder von Massenprotesten gingen um die Welt, bekannte Iranerinnen und Frauen in der Diaspora schnitten sich aus Solidarität die Haare ab. Ein Sturz des autoritären islamischen Regimes schien kurzfristig im Bereich des Möglichen. Sechs Monate später ist es mit seinem obersten Führer Ali Chamenei noch immer an der Macht. Doch die Menschen protestieren weiter, für Frauenrechte und einen neuen, demokratischen Iran.

Wir haben mit der Austro-Iranerin Shoura Hashemi über die aktuelle Lage im Iran besprochen:

Shoura Hashemi wurde 1982 im Iran geboren und ist als Fünfjährige mit ihren Eltern nach Wien geflüchtet. Sie ist Juristin im diplomatischen Dienst im österreichischen Außenministerium.

Seit Herbst 2022 twittert sie täglich die neuesten Informationen über die iranische Revolution.

Shoura, das Internet und soziale Medien sind im Iran streng überwacht und werden zensiert. Du postest trotzdem täglich Videos und Infos aus dem Iran auf Twitter. Woher bekommst du deine Informationen?

Ich bekomme meine Informationen von Privatpersonen, die ich zum Teil kenne oder die mir vermittelt werden. Dann natürlich auch ganz oft aus den iranischen Messenger-Kanälen - vor allem über Telegram - die von Oppositionsgruppen betrieben werden und von Aktivist*innen vor Ort.

Was musst du beachten, dass du diese Personen und auch dich selbst nicht gefährdest?

Wir versuchen einander so wenig wie möglich direkt zu schreiben. Wenn, dann verwenden wir Codes, um keine Namen oder konkrete Ortschaften zu nennen, damit nichts zurückverfolgbar ist. Wir passen auch auf, dass wir bestimmte Begriffe nicht nennen, nach denen das Netz im Iran gescannt wird. Wir würden zum Beispiel nie den Namen des Revolutionsführers ausschreiben. Ansonsten verifiziere ich alles mit meinen Kontakten. Das funktioniert gut, weil ich mittlerweile ein recht dichtes Netz vor Ort habe.

Im Herbst haben wir noch Massendemonstrationen im Iran gesehen. Frauen haben sich die Haare abgeschnitten, auch im Ausland, um sich zu solidarisieren. Wie haben sich die Proteste seither verändert?

Mit Ende des Jahres etwa haben sich diese Massenproteste auf den Straßen, mit Ausnahme der Provinz Belutschistan, gelegt. Einfach, weil die Niederschlagung so brutal war. Es wurden Zehntausende verhaftet, dann haben auch Hinrichtungen stattgefunden. Wegen dieser Einschüchterungen haben sich die Proteste ins Kreative, Künstlerische verlagert. Teilweise wird natürlich noch immer auf der Straße demonstriert. Dieser Tage findet etwa das altiranische Feuerfest statt. Das wird auch als Zeichen des Widerstands genutzt.

Kannst du mir ein paar Beispiele für diese alternativen Protestformen geben?

Am Weltfrauentag haben fünf junge Frauen aus Ekbatan ein Tanzvideo gepostet. Das ist eine Wohnsiedlung in Teheran, in der die Proteste in den letzten Monaten sehr stark waren. Sie tanzen ohne Hidschab und leichter bekleidet, als es eigentlich erlaubt ist. Frauen dürfen ja auch nicht in der Öffentlichkeit tanzen im Iran. Also alles, was sie da getan haben, ist eigentlich verboten. Sie wollten damit ein Zeichen setzen für den Internationalen Frauentag. In den Tagen danach kamen aus verschiedenen Landesteilen Solidaritätsvideos mit derselben Choreographie. Als Solidaritätsgeste, aber auch für die Weltöffentlichkeit, damit die sieht, wir lassen uns nicht unterkriegen.

Gab es Konsequenzen?

Die Frauen mussten 48 Stunden in Haft und ein Geständnis ablegen. Es wurde ja gleich nach ihnen gesucht. Man hat aus Ekbatan gehört, dass Leute vom Regime die Überwachungskameras, die ja überall im Iran installiert sind, eingefordert haben, inklusive Daten. Offensichtlich wurden sie fündig.

Viele erinnern sich auch an das Paar, das vor dem Freiheitsturm in Teheran getanzt hat. Das war ein sehr ikonisches Bild und ging schnell viral. Es heißt, die beiden müssen mehrere Jahre ins Gefängnis. Stimmt das?

Ja, aber soweit ich weiß, ist das Paar mittlerweile auf Kaution freigelassen worden. Es ist aber noch offen, wie es weitergeht, ob ein Verfahren stattfindet oder nicht.

Kannst du uns die Lebenswelt beschreiben, in der die jungen Iraner*innen leben?

Für die junge Generation im Iran, die Gen Z, die jetzt auf die Straße geht, ist die Situation völlig bizarr. Die leben hinter verschlossenen Türen, zu Hause, bei ihren Freunden, teilweise auch in der Schule ein relativ freies Leben. Machen, was sie wollen, sagen, was sie wollen, kleiden sich zu Hause wie sie wollen, schminken sich, haben alle ihre TikTok- und Instagram-Accounts, posten Videos. Dann gehen sie raus auf die Straße, und da ist dann dieser Gottesstaat, wo sie verschleiert sein müssen und sich anders geben müssen, wo sie anders sprechen müssen, wo sie einander nicht berühren dürfen. Diese Ambivalenz macht die Leute natürlich wütend, weil sie das nicht mehr wollen und gerade durch die digitale Medien auch sehen, wie Menschen ihres Alters überall anders leben können. Und sie können das eben nicht.

Wir haben auf der einen Seite diese totale Resilienz der iranischen Bevölkerung, auf der anderen Seite hat man in den letzten Wochen viel über Giftgasanschläge auf Mädchenschulen und Studentinnenheime gehört. Es sollen etwa 5000 Personen betroffen sein. Was weißt du darüber?

Diese Giftgasanschläge sind nicht neu. Wir haben die ersten Videos schon im November 2022 bekommen. Am Anfang hat sich das auf die Stadt Qom konzentriert. Das ist die heilige Stadt im Iran. Das waren eben auch Giftgasangriffe ausschließlich auf Mädchenschulen. Es wurde immer ein Gas verwendet, das die Mädchen zwar nicht umgebracht hat, aber es wurde ihnen schlecht, sie haben sich übergeben, manche hatten Kopfweh. Viele mussten ins Krankenhaus und haben Infusionen bekommen. Das ist dann so weitergegangen die nächsten Monate, ist aber nicht weiter aufgefallen, weil so viel anderes passiert ist. Jetzt in den letzten zwei Wochen war das aber wirklich ein koordinierter Angriff, der auch landesweit stattgefunden, vorwiegend auf Mädchenschulen. Es gab allerdings auch einige Berichte über Bubenschulen und Studentinnenwohnheime. Der Verdacht ist, dass das radikale geistliche Kreise sind, denen es einerseits um Rache an den Mädchen geht, die sich im Herbst 2022 in den Schulen sehr aktiv an der Protestbewegung beteiligt haben, und andererseits um den Faktor Bildung von Mädchen.

Offiziell werden diese Vergiftungen ja verurteilt, richtig?

Richtig. Ich würde auch persönlich gar nicht ausschließen, dass es nur Teile des Regimes sind, also dass da nicht jeder Bescheid weiß und dass da auch hinter den Kulissen vielleicht gegeneinander gearbeitet wird. Aber ganz ohne Wissen und ohne Segen, zumindest eines Teils des Regimes, kann so ein koordinierter Angriff gar nicht erfolgen.

Kannst du für uns zusammenfassen, aus welchen verschiedenen Gründen die Menschen im Iran auf die Straße gehen? Es geht ja über eine feministische Revolution hinaus.

Genau. Also ich würde sagen, es hat begonnen als feministische Revolution. Es haben sich aber sofort auch die Männer angeschlossen und es geht um einen kompletten Systemwandel. Die Leute wollen dieses Regime nicht mehr. Das hat auch wirtschaftliche Gründe. Der Iran steht vor dem Staatsbankrott. Die Menschen können sich das Leben nicht mehr leisten. Die Inflation liegt bei 40 Prozent. Die junge Generation hat überhaupt keine Perspektiven. Das heißt, es braucht die Abhaltung von freien Wahlen, die Bildung einer Parteienlandschaft, die es ja im Iran nicht gibt, die Abschaffung der iranischen Revolutionsgarde, die das ganze Land beherrscht. [Die Revolutionsgarde ist eine militärische Eliteeinheit und große Wirtschaftsmacht im Iran. Anm. d. Red.]

Welche Rolle spielen internationale Reaktionen, vor allem seitens der EU? Stichwort Sanktionen, Atomabkommen und Terrorliste?

Eine sehr große. Es ist natürlich klar, dass die Menschen im Iran diese Revolution selbst vorantreiben müssen. Es braucht keine militärischen Interventionen von außen. Aber was es braucht, ist Druck von vonseiten der EU und der USA: Eine Isolation des iranischen Regimes. Man muss wirklich klarmachen, wir brechen mit euch, ihr seid keine Verhandlungspartner für uns. Die Sanktionen bisher waren sehr gezielt. Es wurde in keinster Weise die Bevölkerung getroffen, sondern wirklich nur Mitglieder des Unterdrückungsapparats. Ein ganz wichtiger Schritt wäre noch die Listung der Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste. Dann darf man aber etwa das Atomabkommen nicht mehr hinter den Kulissen weiter verhandeln, das wäre unglaubwürdig.

Es gibt viele Menschen wie dich, Exil-Iraner*innen, die die Proteste an die Weltöffentlichkeit bringen. Wie wichtig ist das für die Menschen im Land?

Mir wird vermittelt, dass das sehr wichtig ist. Einerseits, weil wir damit die Weltöffentlichkeit informieren. Im Iran gibt es ja keine freie Presse. Es gibt auch nicht die Möglichkeit für westliche Journalisten, hinzufahren und zu recherchieren. Das heißt, das ist die einzige Möglichkeit, wie wir eine Art Berichterstattung aus dem Iran vorantreiben können. Außerdem stärkt es die Moral der Menschen im Land. Wir feuern nicht die Proteste an, wir steuern auch nicht diese Revolution, aber wir geben ihnen das Gefühl, wir auf der anderen Seite, quasi in der freien Welt, wir unterstützen euch, wir sind für euch da und wir tragen das hinaus.

Wie wird es deiner Einschätzung nach weitergehen? Geht es jetzt eher Richtung Unterdrückung oder Erfolg der Proteste?

Ich glaube, es ist der Anfang vom Ende. Ich glaube aber auch, dass dieser Prozess noch eine Weile dauern wird. Es ist auf jeden Fall eine Pattsituation. Das Regime bewegt sich im Moment nicht. Aber die Proteste hören auch nicht auf. Es wird jede Gelegenheit, jedes Fest, das sich nur irgendwie anbietet, genutzt, um Zeichen zu setzen. Man überlegt sich ständig neue kreative Protestformen. Es wird weitergehen. Und ein wesentlicher Punkt, auf den alle so ein bisschen warten, auch im Iran, ist das Ableben des Revolutionsführers Ali Chamenei. Er ist jetzt 83 Jahre alt und sehr krank. Das heißt, wenn er irgendwann nicht mehr ist, dann könnten sich die Karten komplett neu mischen. Dann wird sich die Frage stellen: Auf welche Seite stellt sich die Revolutionsgarde? Wer wird der Nachfolger? Wie wird dieses Land dann geführt werden? Da könnte sich Einiges neu ergeben.

Die Iranproteste sind auch Thema heute Abend in FM4 Auf Laut

Zu Gast sind die Journalistin Laila Docekal und Andere aus der austro-iranischen Community.

Los geht’s heute, 14.3., um 21 Uhr.

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