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Unknown Mortal Orchestra

Unknown Mortal Orchestra

Unknown Mortal Orchestra und „V“

Ruban Nielson und sein Projekt Unknown Mortal Orchestra stehen für die Erneuerung von Psychedelic Rock. Die Spuren des Albums „V“ führen nun zurück zum Familienursprung auf Hawaii.

Von Christian Lehner

Wenn man möchte, kann man Popmusik grob in zwei Bereiche aufteilen: Da ist jene Neigungsgruppe, die über das Leben in all seinen Facetten erzählt: die Liebe, das Leiden, die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt. Folk-, Soul- und HipHop-Musik tun das häufig. Und dann gibt es den Pop, der vom Leben wegführen will: den ganzen Scheiß einmal vergessen, sich in andere Welten träumen, solche Sachen. Auf diesen Eskapismus trifft man bei fast allen Dance-Genres, im Psychedelic-Rock oder im Dream-Pop.

Das Unknown Mortal Orchestra ist das Musikprojekt des Neuseeländers Ruban Nielson. Es zählte bisher zur zweiten Kategorie. Nielson entwickelte über vier Alben einen zuckersüßen und mit dutzenden Soundschichten wattierten Psychedelic-Sound - ideal für gedankliche Fernreisen Richtung Strand oder Mars. Sein stimmbegleitendes, melodisches Gitarrenspiel brachte ihm Gigs und Aufnahme-Sessions u.a. mit dem R&B-Enigma Frank Ocean ein. Bevor Nielson nach Portland, Oregon zog, führte er in Neuseeland gemeinsam mit seinem Bruder Kody die Punk-Band The Mint Chicks an und sammelte dort Publikums- und Kritikerpreise.

Zwischen Neuseeland und Hawaii

Jetzt liegt mit „V“ das neue Album vom Unknown Mortal Orchestra vor und es ist ein gemischter Satz geworden, um es mit einer heimischen Weinsorte auszudrücken.

„Eigentlich wollte ich ein käsiges Rockalbum machen“, erzählt Ruban Nielson in einem von der Plattenfirma zur Verfügung gestelltem Interview „so etwas wie Toto oder Supertramp, wo man bei den Texten nie weiß, um was es eigentlich geht, aber dann ist aus dem ursprünglichen Konzept etwas viel Nachdenklicheres geworden“.

Unknown Mortal Orchestra neues Album "V"

UMO

Das neue Unknown Mortal Orchestra Album „V“ ist via Domino Records erschienen.

Schuld am Richtungswechsel waren äußere Umstände. Ruban passierte, was allen passierte. Die Pandemie schlug zu und Rubans Familienzweig auf Hawaii traf es besonders hart. Anstatt sich an Power-Akkorden ala Foreigner abzuarbeiten, pflegte Ruban Angehörige. Die Perspektive verschob sich von der Musik und den süßen Träumen zu Themen wie Tod und Identität.

Ruban ist der Spross einer Musiker- und Entertainment-Familie. Geboren in Australien verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Neuseeland. Sein Vater ist Maori, seine Mutter stammt aus Hawaii. „Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte ich nicht an Musik“, erzählt Ruban Nielson. „Der Fokus lag bei der Familie und der erweiterten Verwandtschaft und so begann ich mich für unser kulturelles Erbe zu interessieren.“

Der Höhepunkt des Albums ist der leiseste Song des Albums. In „I Killed Captain Cook“ stirbt der Kolonialismus einen künstlerischen Tod. James Cook war Entdecker. Für die britische Krone erschloss und kartographierte der Seefahrer Ende des 18. Jahrhunderts gleich mehrere polynesische Inseln. Auf Hawaii gelandet, wurde Cook der Legende nach zunächst für einen Gott gehalten und freundlich aufgenommen. Doch die Briten „overstayed their welcome“. Die Stimmung verschlechterte sich. Nach einer Reihe von Missachtungen und Missverständnissen wurde Cook von einem lokalen Stamm getötet. Die von seiner Crew eingeschleppten Geschlechtskrankheiten dezimierten in den folgenden Jahren die Bevölkerung der Inselgruppe.

Im Video zum Song „I Killed Capatain Cook“ sieht man die Mutter von Ruban einen polynesischen Tanz aufführen. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1973. Deedee Aipolani Nielson trat beim „Miss Aloha Hula”-Wettbewerb an und gewann. Sie wurde zur Tanzkönigin des Archipels gekrönt. Diese Tänze sind bis heute eine große Touristenattraktion. In der Montage von „I Killed Captain Cook“ steht der Hula gleichermaßen für Tradition, Ausverkauf und Selbstbestimmung.

“Along the shores of the pathway to the gods I sent him along on his way / Bringer of death and disgrace To the ancestral place– I Killed Captain Cook”

Aufgenommen hat Ruban Nielson das neue Album mit Hilfe seines Vaters, seines Bruders und dem Langzeit-UMO-Bandmitglied Jake Portrait in Palm Springs, Kalifornien. Dort schätzt er die Mischung aus Palmen und ausgestelltem Luxus der Reichen auf der einen Seite und die stillen und unheimlichen Nächte auf der anderen.

„Ich liebe den pazifischen Nordwesten der USA und den Blick, den David Lynch in „Twin Peaks“ darauf wirft.“, erzählt Nielson. „Es ist ein Abgesang auf den „American Way of Life“. Deshalb lebe ich in Oregon. Dieselbe Qualität habe ich aber auch in Palm Springs vorgefunden. Ich bin dort nach dem Auftritt am Coachella-Festival hängen geblieben. Diese hochpolierten Straßenzüge mit den Palmen und darunter lauert das Grauen. Sowas zieht mich an.“

Von Twin Peaks zu White Lotus

Doch es ist nicht unbedingt die filmische Welt von David Lynch, die sich beim neuen Album des Unknown Mortal Orchestra aufdrängt. In den Blick gerät die erste Staffel des HBO-Streaming-Hits „White Lotus“. Sie spielt in einem Luxusresort auf Hawaii (und verfügt eh schon über einen klasse Soundtrack). Auch in „White Lotus“ wird am Strand geträumt, getanzt und geküsst, während das Klischee vom Südseeparadies unter dem Gewicht der Kolonialgeschichte und ihrer Folgen zusammenbricht.

„V“ ist ein passender Soundtrack zu diesen Geschichten von Entdeckung, Aneignung, Liebe und Ausbeutung. Dieser Soundtrack funktioniert aber auch als Audiofutter für die Strandparty. Aus dem Bluetooth-Speaker tönt Yacht-Rock, Funk, Psych, Soul, Folk, Downtempo und Hapa-haole - die Bezeichnung für hybride Musik mit hawaiianischem Ursprung.

Man kann sich auf dem Doppelalbum durch Soundschichten wühlen, sich unter ihnen verstecken oder zwischen ihnen verloren gehen. Man kann sie begutachten und studieren, Mut schöpfen, alle Hoffnungen fahren lasssen, oder dazu mit dem Kopf nicken, während ein kühler Drink durch den Bambusstrohhalm fließt.

Diese teils gegeneinander wirkenden Kräfte produzieren seltsam schöne und schön seltsame Stimmungen. Das war immer schon die Stärke von Ruban Nielson und seinem Unknown Mortal Orchestra. Mit „V“ ist er nun an seine Ursprünge zurückgekehrt. Man folgt ihm gerne dorthin.

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