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Der Flyer der ersten HipHop-Party mit Kool DJ Herc

Cindy Campbell

fm4 tribe vibes

Bescheidene Anfänge und erste Welt-Hits, 1973-1983

Neue Serie in FM4 Tribe Vibes: Anlässlich des runden Geburtstags widmen wir uns in fünf Spezialsendungen jeweils einer Dekade der HipHop-Musik. Im ersten Teil geht es um die Entstehung der Kultur.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Nicht jeder historische Moment ist aus der Nähe als solcher erkennbar. Das dürfte auch auch für den Back To School Jam im Sommer 1973 im Partyraum eines Wohnblocks in der südlichen Bronx in New York gelten. Dass sie hier den Beginn einer revolutionären neuen Kunstform erlebten, war wohl den wenigsten Besucher*innen bewusst. Der große Bruder von Gastgeberin Cindy Campbell, war unter seinem DJ-Namen Kool Herc für die Musik zuständig. Und an diesem Abend probierte er etwas Neues aus: Er reihte von seinen Funk-Platten nur die rhythmischen Soli, die sogenannten Breaks aneinander, und verlängerte sie mit zwei Plattenspielern.

Die Tänzer*innen waren begeistert und das Konzept verbreitete sich schnell. Mit seinem legendären großen Soundsystem stellte sich Kool Herc auch in Parks, sein Kollege Coke La Rock machte gereimte Party-Ansagen und dazu wurde eifrig gebreakdanced. Es entbrannte ein Wettkampf unter den Soundsystemen und Crews, der weitere Innovationen hervorbrachte: Der technisch versierte Kollege Grandmaster Flash baute seinen Mixer so um, dass er die Übergänge noch sauberer gestalten konnte - und ein ehemaliger Gangleader namens Afrika Bambaataa spezialisierte sich auf besonders obskure Platten, die auch im Kontext dieser Parties funktionierten, etwa von einer elektronischen Band aus Düsseldorf (seine Verdienste wurden leider nachträglich durch seinen sexuellen Missbrauch Minderjähriger in den Schatten gestellt).

In den ersten Jahren konnte man diese Parties nur in der Bronx und anderen Teilen New Yorks erleben. Mitschnitte auf Kassette ließen die Musik, in der auch Gruppen von Rappern eine immer größere Rolle spielten, weiter leben und reisen. Von der Pioniergeneration dachte trotzdem niemand daran, den revolutionären Sound etwa auf Platten festzuhalten. Diese Idee kam zuerst Menschen von außerhalb, etwa der New Yorker Funkgruppe The Fatback Band oder einer ehemaligen Soul-Sängerin namens Sylvia Robinson.

Die hatte neben ihrer eigenen Karriere mit ihrem Mann Joe zahlreiche kleine Soul-Labels betrieben. Als sie Ende der 70er Jahre auf einer Party zum ersten Mal Rap hörte, kribbelte ihr Geschäftssinn. Sie castete ein Trio und ließ sie vierzehn Minuten lang über den von einer Studioband nachgespielten Groove des Disco-Hits Good Times von Chic rappen. Die Sugarhill Gang und das neu gegründete Label Sugarhill Records hatten plötzlich einen weltweiten Hit.

Die New Yorker HipHop-Pioniere erwischte das am falschen Fuß: Nicht nur kam die Sugarhill Gang von der anderen Seite des Hudson River und hatte mit der bestehenden Szene nichts zu tun - sie hatten sogar Teile eines Textes von Grandmaster Caz von den Cold Crush Brothers ausgeborgt. Trotzdem oder gerade deshalb wollten jetzt alle ihren Teil vom guten Geschäft. Afrika Bambaataa veröffentlichte ein paar Platten mit Paul Winley, die Treacherous Three, die Funky Four Plus One More und Grandmaster Flash and the Furious Five waren anfangs bei Enjoy Records, wobei letztere beide schnell auch zu Sugarhill wechselten.

Das Label hatte also fast ein Monopol auf die frühen HipHop-Hits, mit der Ausnahme von The Breaks was schon auf einem Majorlabel erschien. Leider nahm es Sugarhill Records mit der Buchhaltung nicht so genau, einige Künstler*innen bekamen erst nach mehr als 40 Jahren die ihnen zustehenden Tantiemen. Aber auch bei einem wichtigen nächsten Schritt spielte das Label eine Rolle: Die Rap-Texte vom reinen Hedonismus wegzubringen. Wegen der Wurzeln als Party-Kultur handelten die Reime von fiktiven Reichtümern oder den realen Skills, während die Kultur in der echten Welt von Armut, Rassismus und Verfall umgeben war.

Die Bronx sah in den 70er Jahren an vielen Ecken aus wie eine zerbombte Stadt. Spekulanten brannten ihre eigenen Häuser ab, weil die Versicherungserlöse lukrativer waren als die Mieten. Sugarhill-Sessionmusiker Duke Bootee schrieb und nahm seine Beobachtungen im Song „The Message“ auf. Grandmaster Flash & The Furious Five wollten mit dem Song eigentlich nichts zu tun haben, schließlich rappte Melle Mel unwillig den dritten Vers ein. Der sonst sehr verdienstvolle Grandmaster hat zu seinem größten Hit, der HipHop zu einer Kunstform mit gesellschaftspolitischen Bezügen erhob, also eigentlich gar nichts beigetragen.

Trotz all dieser Verwirrungen war der HipHop-Zug nicht aufzuhalten, die Kunstform inspirierte weltweit jugendliche Nachahmer - dank Filmen wie dem, vom ZDF koproduzierten, Wild Style bald auch auf visueller Ebene mit Graffiti. Im nächsten Jahrzehnt würde HipHop sowohl ästhetisch als auch inhaltlich und geschäftlich viele weitere Quantensprünge machen.

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