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Precious Nnebedum: „Ich will mir selbst eine Stimme geben“

Schreiben ist für Precious Nnebedum Ventil und Mutmacher. Die Grazer Lyrikerin ist mit ihren politischen und ehrlichen Texten schon lange bekannt auf diversen Poetry-Slam-Bühnen. Jetzt hat sie mit „Birthmarks“ ihren ersten Gedichtband veröffentlicht. Wir haben sie zum Interview getroffen.

Von Diana Köhler

Precious Chiebonam Nnebedum hat ihre literarischen Wurzeln in der Grazer Poetry-Slam Szene. Mit ihrer rhythmischen Lyrik auf Deutsch, Englisch und Igbo hat sie sich zur zweifachen Vizemeisterin bei den österreichweiten U20 Poetry-Slam Meisterschaften geslamt. 2020 bekommt sie den Exil-Literaturpreis und ist 2020 eine der Hauptorganisator*innen des Black Lives Matter Protests in Graz, zu dem 10.000 Menschen gekommen sind. Aus der Vernetzung und dem Engagement für den Protest ist der Verein „Tanaka Graz“ hervorgegangen. Tanaka soll ein Raum für junge People of Colour für gegenseitiges Empowerment, Vernetzung und Vermittlung sein.

In Precious Nnebedums erstem Buch, „Birthmarks“ gibt uns die Autorin wie schon auf der Poetry-Slam-Bühne einen tiefen Einblick in ihre Gefühlswelt: Sie selbst nennt es ihre „Therapie-Notizen“: Precious will, dass die Leser*innen die Welt durch ihre Augen sehen und fragt herausfordernd „What do you see?“. Sie erzählt in lyrischen Texten von ihren Erfahrungen als Schwarze Person in Österreich, wie es war mit 11 Jahren von Nigeria nach Graz zu ziehen, die einzige PoC in der Schulklasse zu sein. Sie beschreibt den Umgang mit Rassismus und Diskriminierung mal aus heutiger Perspektive, mal aus der ihres jüngeren Ichs. Sie schreibt über Liebe und Solidarität, Wurzeln und Heimat; mal zärtlich, mal anklagend aber immer mit einer kraftvollen Bestimmtheit.

Ein Gespräch über Kopf- und Herzsprachen, schreiben als Ermächtigung, das Finden der eigenen Stimme und Gehört-werden.

FM4: Dein erstes Buch, ein Lyrikband, heißt „Birthmarks“. Worum geht es da?

Precious Chiebonam Nnebedum: In Birthmarks versuche ich ein paar Erfahrungen, aber auch Gedanken und Träume aufzuarbeiten. Vor allem schwere Erfahrungen. Bei manchen Gedichten habe ich aus der Perspektive eines Kindes geschrieben über die Erfahrungen, die ich als Kind teilweise machen musste: Diskriminierung, Rassismus, das habe ich schon früh erlebt, aber wusste natürlich nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich bin mit elf nach Österreich gezogen und habe mich wirklich davor null damit beschäftigt, wie es überhaupt sein wird, in Europa zu leben. Meine Eltern auch nicht. Die haben nur gesagt, es wird besser, es wird schöner, du hast dort eine bessere Zukunft. Und als Kind wusste ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Meine Eltern wussten es auch nicht, zu wem gehe ich dann? Also habe ich angefangen Gedichte zu schreiben, über die Sachen, die mir damals passiert sind und auch heute als 25-Jährige noch passieren.

FM4: Also das Schreiben bedeutet für dich vor allem Nachdenken und das Eröffnen von Räumen? Könnte man es so zusammenfassen?

Precious Chiebonam Nnebedum: Ja, genau. Ich versuche mit dem Schreiben mir selbst eine Stimme zu verleihen. Als ich aufgewachsen bin wurde mir immer gesagt „Sei still, bis man dir sagt, dass du sprechen darfst“. Und natürlich war ich dann zu oft still und zu lange still. Durch das Schreiben habe ich versucht, das, was ich gerne sagen würde, auszudrücken. Deswegen ist das Buch auch sowas besonderes für mich. Weil alles Geschriebene ist nicht nur für mich, es lesen auch andere Leute und die werden da auch meine Stimme hören. Oder auch beim Auftreten auf der Bühne. Da weiß ich, diese Zeit habe ich und ihr müsst mir zuhören. In diesem Zeitraum werde ich reden. In diesem Zeitraum werde ich da sein. Es geht darum diesen Raum und Platz einfach zu nehmen, wenn er dir nicht gegeben wird.

Cover

Haymon Verlag

FM4: Wie hast du angefangen zu schreiben? Woher kam das Interesse an Literatur und Lyrik?

Precious Chiebonam Nnebedum: Das habe ich eigentlich meiner Mama verdanken. Meine Mutter war Lehrerin in Nigeria und hat schnell mitbekommen, dass ich sehr, sehr gerne gelesen habe. Aus der Schulbibliothek hat sie mir dann immer neue Bücher mitgebracht, die ich schon in zwei Tagen ausgelesen habe. Irgendwann habe ich dann mit zwei, drei Freundinnen zusammen mit Kurzgeschichten angefangen. Wir waren in unserem eigenen Buchclub und haben unsere selbstgeschriebenen Geschichten untereinander ausgetauscht. Und dann bin ich über Spoken Word bzw. Slam Poetry gestolpert und habe mich auch in diesen Bereich sehr verliebt.

FM4: Wie geht es dir in der sehr weißen Literaturszene in Österreich? Kriegst du da den Raum, den du brauchst?

Precious Chiebonam Nnebedum: Ich würde sagen, dass ich sehr sanft eingeführt worden bin. Ich werde natürlich noch immer in diese exotische Ecke hinein gepusht, aber merke trotzdem, dass die Szene nicht mehr so eurozentristisch ist. Und ich denke mir, zumindest gibt es die exotische Ecke und es liegt dann an mir, zu bestimmen, was ich damit mache und wie ich den Weg weitergehe. Ich hatte nie eine Person, die ich mal schnell anrufen und über den Literaturbetrieb ausfragen konnte. Natürlich hatte ich meine Mentoren und Mentorinnen, aber meinen Weg habe ich für mich selber finden müssen und ich hoffe, dass ich meine Erfahrungen anderen weitergeben kann.

FM4: Du bist ja auch politische Aktivistin und hast die Black Lives Matter Demos in Graz mitorganisiert. Wie ist das damals entstanden?

Precious Chiebonam Nnebedum: Eigentlich wollte ich mich damit gar nicht befassen. Eigentlich habe ich gedacht, okay, ich habe schon von genug Leid gehört und will damit gar nichts mehr zu tun haben. Irgendwann sind die Nachrichten einfach zu viel geworden und ich dachte mir einfach nur „Wann organisiert jemand etwas hier in Graz?“ So lange ist nichts passiert und da habe ich gedacht: Okay, vielleicht fange ich einfach mal damit an. Es war so schön zu sehen, wie viele Menschen sich gemeldet und mitgearbeitet haben. Es muss nur irgendwer den ersten Schritt wagen. Die Demo war wirklich sehr, sehr besonders für mich, weil wir nur mit 200 Leuten gerechnet haben. Aber aus 200 Leuten sind dann fast 10.000 geworden!

FM4: Gerade für so eine kleine Stadt wie Graz ist 10.000 ja wirklich viel!

Precious Chiebonam Nnebedum: Das hätte ich wirklich nicht gedacht, vor allem in einer Pandemie. Da habe ich gemerkt, wie viel Zusammenhalt auch in Graz steckt. Besonders war auch, was danach gekommen ist. Durch diese Vorbereitungszeit für die Demo haben wir haben uns so gut connected, vor allem in der Jugendszene. Das hatte ich davor einfach nicht, ich hatte keine Community. Ich weiß jetzt, die kann ich immer anrufen. Und das ist einfach das Schöne daran. Ich bin zwar noch in der Minderheit, aber ich weiß, ich habe zumindest eine Community jetzt.

FM4: Du schreibst in „Birthmarks“ auf Englisch und Deutsch. Englisch ist deine Erstsprache. Wie war es für dich, auf Deutsch zu schreiben?

Precious Chiebonam Nnebedum: Ich habe einmal den schönen Satz gehört: Bei Menschen die mehrsprachig aufgewachsen sind, gibt es immer eine Herz-Sprache und eine Kopf-Sprache. Und für mich ist Englisch natürlich die Herz-Sprache. Ich brauche gar nicht drüber nachdenken, es kommt einfach. Und Deutsch ist dann so die Kopfsprache. Immer wenn ich auf Deutsch schreibe, auch wenn ich Emails schreibe, habe ich diese Hemmungen, dann schaue ich die ganze Zeit auf Grammatik, Beistriche, Rechtschreibung. Aber zum Glück habe ich bei „Birthmarks“ dann noch andere gehabt die mit übersetzt haben, weil die meisten Texte sind tatsächlich im Original auf Englisch entstanden.

FM4: Wer sind deine literarischen Vorbilder?

Precious Chiebonam Nnebedum: Auf jeden Fall meine Schwester Chimamanda Ngozi Adichi. Ich sage immer, dass sie meine Schwester ist, weil ich sie einfach liebe! Sie ist ein Riesenvorbild, weil sie so politisch aktiv ist und nicht nur einfach schreibt und sich hinter ihren Büchern versteckt. Sondern sie zeigt sich und nimmt Raum und Platz ein. Ich liebe alles, was sie bis jetzt geschrieben hat. Aber auch die älteren, die Legenden sind Vorbilder für mich: James Baldwin oder Maya Angelou zum Beispiel. Das sind Leute, die mir beigebracht haben, stolz zu sein auf meine Herkunft, auf meine Gegenwart. Also wo ich gerade bin, egal wo es ist, ich kann und darf stolz drauf sein, dass ich hier bin, dass ich es so weit geschafft habe. Sie geben mir einfach die Hoffnung, dass es weiter geht.

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