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„Rassismus beeinträchtigt die körperliche sowie mentale Gesundheit“

Amani Abuzahras betrachtet in ihrem Buch „Ein Ort namens Wut“ Emotionen im Kontext von Rassismus ordnet diese ein. Wer darf wütend sein? Wessen Gefühle werden in einer patriachalen, von Weißen dominierten Gesellschaft anerkannt? Es ist ein Plädoyer, Wut ernst zu nehmen, so auch Schmerz, Enttäuschungen, Trauer oder Erschöpfung.

Von Alina Schaller

Amani Abuzahra zeichnet in „Ein Ort namens Wut“ eine emotionale Landkarte von von Rassismus betroffenen Personen. Sie erzählt von persönlich Erlebtem und von rassistischen Erlebnissen anderer. Was solche Erfahrungen in Betroffenen auslösen, nimmt sie genauer unter die Lupe und versucht wissenschaftlich einzuordnen, was die Prozesse dahinter sind. Mehr dazu erzählt sie im Interview mit FM4.

„Wut hat viele Gründe: Ungerechtigkeit, Rassismus, Sexismus. Das Ausleben dieser Emotion allerdings ist nicht allen gleichermaßen möglich."

FM4: Im Kern deiner Arbeit geht es darum, Vorurteile zu dekonstruieren und Menschen zu empowern. Dein letztes Buch „Mehr Kopf als Tuch“ hat hohe Wellen geschlagen und du kommst gerade aus Berlin, wo du dein neues Buch „Ein Ort namens Wut“ vorgestellt hast. Warum hast du dich dem Thema Wut zugewandt?

Amani Abuzahra: Nachdem ich mich ein bisschen auf das Thema der Emotionen in Bezug auf Rassismus eingelassen habe, stößt man sehr schnell auf die Emotion Wut. Viele Menschen, die Ungerechtigkeiten erfahren in Form von Rassismus, Diskriminierung, in einer Gesellschaft aufwachsen, die vom Patriarchat geprägt ist, erleben oft Situationen, wo Grenzen überschritten werden - und da ist die erste Reaktion Wut. Das, was mich vor allem interessiert, ist: Wie gehen wir mit der Wut von marginalisierten Menschen um? Und, dass nicht allen diese Wut zugestanden wird.

Im Untertitel heißt es auch „Was Rassismus mit Gefühlen macht“ und du schreibst im Buch, dass „nicht Wut das Problem ist, sondern die Ursache, nämlich der Rassismus ist das Problem“. Was macht Rassismus meist mit den Gefühlen Betroffener?

Mag.a Dr.in Amani Abuzahra, M.A.

Elodie Grethen

Amani Abuzahra

ist promovierte Philosophin, Autorin und Public Speakerin. Sie ist eine der bekanntesten Referent:innen zum Thema antimuslimischer Rassismus, Islam und Interkulturalität in Österreich. Aktuell forscht sie als postdoctoral researcher an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien. 2019 wurde sie mit dem „25 Frauen Award“ (Edition F/Die Zeit) in der Kategorie Frauen, die mit ihrer Stimme die Gesellschaft verändern ausgezeichnet.

Amani Abuzahra: Ich glaube, in erster Linie Menschen reduzieren, Menschen einschränken. Weil wenn mir etwas widerfährt, was mir nicht passt, bin ich wütend. Aber wenn es mir nicht erlaubt wird, wütend zu sein, dann ist das ein Problem. Eine Gesellschaft, die rassistisch strukturiert ist, hat oft bestimmte Vorgaben, wie man zu sein hat. Das heißt, wenn ich wütend bin als wütende Muslimin oder als „Angry Black Woman“, dann ist das gleich mal bedrohlich, gefährlich. Das heißt, wenn man schon reingeht mit: „Naja, das ist die Aggressive, das sind die Wütenden, bei denen ist es halt dann mal so.“ - dann macht Rassismus mit uns, dass wir unseren Gefühlen gar nicht den Raum geben können. Wobei Wut ja eigentlich ein unheimliches Potenzial für Veränderung hat. Ich gehe in meinem Buch auch darauf ein, dass es nicht nur bei der Wut bleibt. Es gibt ja noch die Trauer, die Erschöpfung. Ich gehe auch darauf ein wie anstrengend es ist, wenn wir immer wieder in Kasten, Schubladen geschoben werden, wo wir dementsprechend auch nicht unsere Gefühle zeigen können.

Sogenannte „besorgte Bürger:innen“ bzw. „Wutbürger:innen“ kommen oft ganz selbstverständlich zu Wort. Wenn aber von Rassismus betroffene Menschen wütend werden, werden sie schnell nicht ernst genommen und sogar als Gefahr wahrgenommen bzw. dargestellt. Was ist da der Mechanismus dahinter?

Amani Abuzahra: Die Wissenschaftlerin Bowler beschreibt das als die emotionale Norm. Also wenn weiße Menschen weinen, dann sind es ernst zu nehmende Tränen. Aber wenn Marginalisierte, schwarze Menschen, Muslim:innen, die fremd markiert werden, ihre Gefühle zeigen, dann heißt es oft: „Sei nicht so sensibel. Das war ja nicht so gemeint.“ Das heißt in einer Dominanzgesellschaft gibt es auch einen gewissen Vorrang wer Emotionen zeigen darf und kann; wie etwa in der privilegierten Position, wo man wütend sein darf und wo man auch ernst genommen wird. Das Problem dahinter ist, dass es in einem rassistischen System auch bestimmte Bilder gibt, wer welchen Platz einzunehmen hat. Ganz oft ist es ja auch so, dass es heißt: „Na sei doch froh, dass es dir so gut geht, dass du in einem demokratischen System leben kannst. Sei doch dankbar und vielleicht sogar demütig.“ Aber wütend zu sein auf Ungerechtigkeiten ist alles andere als demütig, ruhig und geduldig, sondern fordernd, einfordernd. Ich glaube, das macht mit vielen Menschen etwas, wenn man sieht, wie selbstverständlich Menschen nicht nur ihre Rechte einfordern sondern auch das Recht, ihre Emotionen, ihre Wut zu zeigen.

Du gibst auch Workshops von denen du in deinem Buch erzählst. Da hörst du von Lehrenden häufig, dass muslimische Mädchen „zu schüchtern“ sind und „zu wenig sagen“. Wenn sie aber was sagen, wird das schnell abgetan, als sie sind „zu laut, zu empfindlich, zu hysterisch,“. Wie könnten Betroffene auf solche Aussagen reagieren?

Amani Abuzahra: Ja, wenn man diese verschiedenen Adjektive und Zuschreibungen wegstreicht, dann bleibt nur: „Sei nicht!“ Wie man darauf reagieren kann ist, sich zum einen Mal einen kurzen Moment zu nehmen und überlegen, was da passiert. Was passiert mit mir und wie werde ich von außen eingeschränkt? Da wirklich gut in sich hineinspüren und sehr oft kommt dann die Emotion Wut. Ich habe mit vielen Betroffenen gesprochen, die sagen; das macht sie wütend, das macht sie traurig. Wütend Sein bringt uns in einen Zustand, wo man etwas machen will. Man hat einen gewissen Energieschub. Das gilt es zu kanalisieren, zu überlegen, was kann ich damit machen, wo kann ich mich beschweren, wo kann ich das vielleicht auch zurückweisen und gewisse Machtdynamiken nicht einfach hinnehmen. Als Nichtbetroffene kann ich mich fragen, wie ich mich solidarisieren kann. Wenn meiner Freundin etwa was passiert, dass ich sage: „Das ist nicht in Ordnung.“ Das gibt dann der betroffenen Person auch wieder Kraft zu sehen, dass man das nicht als einzige so sieht.

"Ein Ort namens Wut" von Amani Abuzahra

Kremyr & Scheriau Verlag / Amani Abuzahra

„Ein Ort namens Wut“ von Amani Abuzahra ist bei Kriemayr&Scheriau erschienen. Die erste Lesung in Österreich findet am Donnerstag, den 13. April in der Hauptbücherei am Wiener Gürtel statt. Weitere Termine hier!

In deinem Buch geht es auch um Wut als mögliches Kraftzentrum. Wie kann Wut zu Mut werden und helfen, gesellschaftliche Strukturen zum besseren zu verändern?

Amani Abuzahra: Ich glaube, das Erste ist mal gut in sich hinein zu spüren. Ich schreibe in dem Buch, dass man sehr schnell von der Wut in eine Emotion der Trauer kommt. Unter der Wut liegt die Trauer, die Enttäuschung und die unglaubliche Erschöpfung. Dieser Zustand der Erschöpfung bringt uns ein bisschen runter. Wenn man in solchen Momenten gut in sich hineinhört, ist oft der Wunsch danach da, dass es anders wird. Weil Wut ist eine Emotion, die uns ganz klar aufzeigt, dass eine Grenze überschritten wurde. Auf der Landkarte ist da ein ganz klarer Marker: An diesem Ort möchte ich nicht sein, ich möchte, dass sich etwas verändert. Und sich dann zu solidarisieren, zu schauen, wer empfindet es noch so, wie ich?

Wut hat eine unglaublich reinigende Kraft. Sie klärt, wer auf wessen Seite steht und wer auch so empfindet wie man selbst. Dass man diese Ungerechtigkeiten nicht so stehen lassen kann, bedeutet auch, dass es einen gewissen Mut braucht, Dinge anders zu machen. Je mehr Menschen sich anschließen, umso mehr Kraft gibt es auch für ein anderes individuelles, sowie kollektives Leben. Wut wird zum Versprechen für eine andere Gesellschaft, für eine Gesellschaft, in der alle Platz haben und auch Emotionen Platz haben und nicht nur die von Privilegierten, sondern auch von Marginalisierten.

FM4: Und wie kann man sicher gehen, dass diese Veränderung nicht nur von Betroffenen ausgeht?

Amani Abuzahra: Ich glaube, dass die Betroffenen nicht die Hauptlast tragen sollten. Diesen Anstoß zu geben, diese Impulse zu setzen, kann von unterschiedlichen Richtungen kommen. Es ist unheimlich anstrengend, wenn es nur von den Betroffenen getragen wird. Deswegen ist es so wichtig zu sehen, dass es Menschen gibt, die sich solidarisieren. Es ist wichtig, dass die Menschen, die sich solidarisieren, das ganz klar und deutlich machen, sich nicht verstecken. Kein „Ich war mir da jetzt nicht sicher“, sondern wenn sie merken, da läuft was falsch, aufzustehen. Viele Menschen sehen ja, dass vieles falsch oder schief läuft. Am Ende leben wir gemeinsam in diesem Land. Wir leben gemeinsam in dieser Gesellschaft und es soll auch für alle ein gutes und lebenswertes, friedliches Leben sein.

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