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Sebastian Hotz "El Hotzo"

Max Sand

Männlichkeit, Mindset und andere Mythen im ersten Buch von El Hotzo

Sebastian Hotz alias El Hotzo trifft auf Social Media jeden Tag aufs Neue zielsicher den Ton seiner Generation. Mit „Mindset“ veröffentlicht er seinen ersten Roman. Wird er den hohen Erwartungen gerecht?

Von Alica Ouschan

Millennial’sche Resignation, relatable Takes zur ausbleibenden Krisenbewältigung - kurzum, Humor als Coping-Strategie. Mit seinen Gags in Tweet-Länge, die El Hotzo täglich rausschießt und mit denen er immer genau ins Schwarze (nämlich in die blutenden Herzen und von Lohnarbeit geschundenen Seelen der Mittzwanziger) trifft, ist er nicht nur zu einer Art Sprachrohr der Generation Social Media geworden, sondern erreicht damit mittlerweile täglich über 1,5 Millionen Follower auf Twitter und Instagram.

Generation Resignation

Meinen ersten Screenshot eines El-Hotzo-Tweets habe ich 2018 verschickt. Man könnte also sagen, ich bin so etwas wie ein Follower der ersten Stunde. Es vergeht keine Woche, in der ich nicht einen seiner Posts in meiner Story teile oder an meine Friends schicke, weil es nun mal eben extrem relatable ist und El Hotzo das raustwittert, was wir uns denken.

Wir, damit meine ich die Generation, die zu jung ist, um sich den Traum vom selbstgebauten Eigenheim zu ermöglichen, und zu alt, um sich furios und hoffnungsvoll der Fridays-For-Future-Bewegung anzuschließen. Die schon Mitte 20 an Burnout leiden, weil sie erkennen, dass der Begriff „Traumjob“ eine kapitalistische Lüge ist, die rechtfertigen soll, weshalb wir den Großteil unseres Lebens mit Lohn- und Carearbeit verbringen. Die trotz super BWL-Studium keinen Job finden und sich innerlich mit der Perspektivenlosigkeit ihres Lebens abgefunden haben. Generation Resignation eben.

Buchcover "mindset"

KiWi Verlag

„Mindset“ ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Was uns bleibt, ist die zynische Betrachtung der Umstände, das Intellektualisieren von Krisenzuständen und die um uns herum untergehende Welt zu kommentieren. Am besten mit Humor. Der war schon immer eine beliebte Coping-Strategie. So hat sich das Phänomen „El Hotzo“, der als „Social Media Shootingstar“ betitelt wird, schnell erklärt. Und es ist tatsächlich beeindruckend, dass Sebastian Hotz jeden einzelnen Tag zehn Gags raushaut, einer besser als der andere.

Natürlich muss hinter dieser Art von Comedy (die er übrigens auch fürs ZDF Neo Magazin Royale schreibt) ein kluger Kopf stecken, und als dieser will Sebastian Hotz gesehen werden. „Ich meine hier alles ernst“ steht in seiner Instagram-Bio. Wie ernst er es meint, verkündete er im Oktober letzten Jahres: „Es geht um belegte Brötchen, Finanztipps, Hoffnungslosigkeit und Männer in Slim-Fit-Anzügen.“ Und: „Ich war noch nie auf etwas so stolz.“

Ein Buch, so lang wie 3.000 Tweets

Wenn man ein Anliegen hat, mit dem man es wirklich, wirklich ernst meint, nämlich so ernst, dass 280 Zeichen nicht mehr ausreichen, muss ein neues Format her. El Hotzo hat ein Buch geschrieben und es ist keine gebundene Form seiner 100 besten Tweets, sondern ein Roman mit Handlung und lebendigen Figuren. Auf El Hotzo lastet nun nicht mehr nur der Druck, jeden Tag eine Reihe an erstklassigen Tweets in gewohnter Qualität abzuliefern, sondern auch den verständlicherweise hohen Erwartungen an jeglichen Content aus seiner Feder gerecht zu werden.

Ist ihm der Sprung vom Twitter-King zum Romanautor gelungen? In „Mindset“ verfolgen wir eine stringente Handlung, die Erzählperspektive wechselt fließend zwischen den unterschiedlichen Figuren.

Es geht um den selfmade-neureichen Unternehmensberater Maximilian Krach und sein Erfolgsrezept: Mindset, Disziplin, Ego. Dieses Erfolgsrezept will er an seine kleine, aber treue Anzahl an Followern weitergeben, die alle unbedingt so werden wollen wie er: vom Schaf zum Wolf. Unter ihnen Mirko, wie Maximilian Mitte 20 und für mehr bestimmt als seinen Job in der IT-Abteilung irgendeiner großen Firma.

„‚Die Unterschiede zwischen Gewinnern und Verlierern, zwischen Schafen und Wölfen, sind hier oben zu finden.‘ Spiegelpose Nummer drei, Zeigefinger an Schläfe, gewieftes Grinsen.
‚Menschen sind keine Schafe. Menschen können sich umdrehen und vom Gejagten zum Jäger werden. Menschen können da oben‘, Maximilian nimmt Spiegelpose Nummer vier ein, ‚Menschen können ihr Mindset ändern. Was es dafür braucht, ist Durchhaltevermögen, Überzeugung, den bedingungslosen Glauben an sich selbst ... there are no shortcuts to success, aber wir bei Krach Consulting haben ein verdammt gutes Navigationssystem dorthin.‘“

The Seminarraum is the Limit

Die Seminarräume in irgendwelchen mittelschicken Businesshotels überall in Deutschland, in denen Krach sein Wissen seinen zwölf immer gleichbleibenden Jüngern preisgibt, werden alle paar Wochen zum Safe Space. Ein Safe Space für junge, privilegierte Männer, die der eigenen Mittelmäßigkeit und ihrer Unzufriedenheit entkommen wollen. Im Seminarraum sind sie unter Gleichgesinnten, in ihrem Wolfsrudel.

Die Rückfahrt ins echte Leben wird nicht im Porsche, sondern im Regionalzug genossen. Wenig überraschend bleibt kaum etwas vom Jetset-Lifestyle über, aber das ist eigentlich egal, solange man es nur schafft, den Menschen glaubhaft vorzumachen, dass man den Erfolg, den man gerne hätte, schon hat.

Sebastian Hotz’ bearbeitet trügerische Hustle Culture, fragile Männlichkeit, abhängig von Erfolg und Versagen, die kapitalistische Lüge, der so viele junge Männer aufsitzen, weil sie die Aussicht auf ein mittelständisches Leben ohne Ruhm und Reichtum verzweifeln lässt, mit der bekannten zynischen Ernsthaftigkeit.

Die Story an sich ist nicht neu. Auch bleibt die Handlung an vielen Stellen flach und vorhersehbar, die wenigen Plottwists kommen nicht überraschend. Mindblowing ist „Mindset“ also nicht. Dafür taucht Sebastian Hotz ganz tief in den Kopf seiner Protagonisten ein und ballert die Aneinanderreihung von leeren Worthülsen über Erfolg, Selbstoptimierung und Kryptowährungen mit einer gekonnt satirischen Nüchternheit hinaus. Spannend ist auch, dass seine Figuren autobiografisch inspiriert und gerade wegen ihrer Desillusioniertheit so glaubwürdig sind.

Unzufriedenheit macht sich dennoch breit, nicht etwa mit dem Buch an sich, sondern durch das Wissen, dass es unzählige Maximilian Krachs gibt, die gemeinsam mit ihren Business-Homies einen Podcast starten und der Welt predigen, dass ein Mann, der bis zu seinem Dreißiger noch keine Million gemacht hat, kein echter Mann ist.

Die Erkenntnis ist eine, mit der El Hotzos Follower schon längst durchs Leben gehen: Am Ende ist Erfolg eben meistens doch Glückssache, eine Frage des Vermögens der Eltern, der Bildung, der Ressourcen und anderer nicht beeinflussbarer Faktoren - wenn Erfolg überhaupt so definiert werden soll, wie es in der neoliberalen Leistungsgesellschaft geschieht.

Gegen die neoliberale Leistungsgesellschaft

Sebastian Hotz hat mit seinem ersten Buch eigentlich genau das gemacht, was er in seinen tausenden Tweets als El Hotzo tut: ein Plädoyer gegen die neoliberale Leistungsgesellschaft schreiben. Zynisch, satirisch und konsequent ist „Mindset“ ein solider Start in die Liga der Romanautor*innen.

Dass das Buch zum jetzigen Zeitpunkt aber das gleiche Ausmaß an Bedeutung haben kann wie die täglichen Tweets, ist unwahrscheinlich. Außer man nimmt El Hotzo, so wie es in seiner Bio steht, ganz ernst: „Ich glaube, dass es das Buch sein wird, das den Kapitalismus letztlich stürzen wird.“

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