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Taylor Swift Eras Tour Poster

Republic Records

Warum müssen sich weibliche Popstars ständig neu erfinden?

Ob Taylor Swifts „Eras“-Tour, Lady Gagas künstlerische Entwicklung oder Madonnas Facettenreichtum: Die meisten weiblichen Popstars zeigen uns immer wieder neue Narrative und Aspekte ihrer Persönlichkeit.

Eine Kolumne von Verena Bogner

Im Rahmen ihrer aktuellen „Eras“-Tour präsentiert Superstar Taylor Swift all ihre – ihr habt es erraten – Eras. Das heißt, sie nimmt ihre Fans mit auf eine Reise durch all ihre Alben und somit auch die verschiedenen Phasen ihrer Karriere. Von Songs aus ihrem Album „Red“ bis hin zu „Reputation“ ist fast jede Station ihres Werks vertreten – was zu einer Setlist mit 44 Songs führt, über die sich Besucher*innen der quasi innerhalb von Sekunden ausverkauften US-Tour freuen können. Was Taylor Swift hier auftischt, ist natürlich beachtlich, – aber hinterlässt auch einen bitteren Beigeschmack.

Verena Bogner ist freie Journalistin und Autorin und schreibt gerade an ihrem ersten Buch. Sie liebt Mainstream-Popkultur und findet, es gibt keine Guilty Pleasures.

Das Konzept der Superstar-Ära ist nämlich ein notwendiges Übel, mit dem sich weibliche Megastars allem Anschein nach arrangieren müssen, wenn sie relevant und erfolgreich bleiben wollen – vor allem im Mainstream-Pop. Auch Taylor Swift selbst prangerte in ihrer Netflix-Doku „Miss Americana“ diese Doppelmoral an: „Jede von uns ist zwei Jahre lang ein schönes, neues Spielzeug. Die weiblichen Artists haben sich selbst 20 Mal öfter neu erfunden als die männlichen. Sie müssen es tun, sonst sind sie den Job los. Sie müssen sich konstant neu erfinden und neue Facetten präsentieren, die die Menschen faszinierend finden. Erfinde dich neu, aber nur auf eine Art, die uns gefällt und die dich herausfordert. Lebe ein Narrativ, das interessant genug ist, um uns zu unterhalten, aber nicht so crazy, dass es uns unangenehm ist.“

In ihrem Podcast sprach Dua Lipa mit Rapperin Megan Thee Stallion ebenfalls über die unterschiedlichen Erwartungen, die zum Beispiel in Hinblick auf Live-Auftritte an männliche und weibliche Artists gestellt werden, und erklärte, dass sie den Eindruck habe, dass man als weibliche Performerin immer eine Show hinlegen müsse, während ein männlicher Artists lediglich erscheinen und singen müsse: „Ich glaube, wir sind daran gewöhnt, doppelt so hart arbeiten zu müssen, um ernstgenommen zu werden.“

Vom Marketing-Tool zum Symptom sexistischer Doppelstandards

Dass weibliche Popstars weitaus mehr Showwomanship und facettenreichere Erzählungen für einerseits die Vermarktungszyklen ihrer Alben und andererseits ihre Live-Shows an den Tag legen müssen als ihre männlichen Genre-Kollegen, lässt sich relativ leicht feststellen. Wann habt ihr Justin Bieber zuletzt so spektakulär wie Beyoncé performen sehen?

Wann hat sich Ed Sheeran das letzte Mal neu erfunden und die Welt mit neuem Sound, Look und Narrativ überrascht?

Und wo bleibt das nächste Kapitel von Harry Styles’ künstlerischer Entwicklung? Eben. Und ja, bevor ihr direkt beginnt, einen wütenden Kommentar zu schreiben: Ausnahmen wie Lana Del Rey bestätigen auch hier die Regel – vielleicht, weil ihre öffentliche Persona an sich schon ein in sich geschlossenes Konzept darstellt, das nicht mehr viel Spielraum für große Veränderung lässt.

Endless Summer Vacation

Sony Music

Sieht man sich an, woher das Vermarktungskonzept der „Eras“ kommt, landet man natürlich schnell bei Madonna, der Urmutter der stetigen Verwandlung. Mit jedem Album erfand sie sich neu, im Zuge von „Erotica“ lernten wir sie als Mistress Dita kennen, mit „Confessions on a Dance Floor“ präsentierte sie sich zum Beispiel als Disco-Queen mit Föhnwelle. Damit hat sie nicht nur einen unerschöpflichen Quell an Identifikationspotenzial und vor allem Einnahmen geschaffen, sondern auch einen Standard gesetzt, der die Karrieren von weiblichen Popstars seit Jahrzehnten bestimmt, egal, ob wir hier über Miley Cyrus oder Lady Gaga sprechen.

Für die Fans dieser Popstars ist das natürlich toll – denn sie wissen, dass sie niemals eine Lady-Gaga-Show erdulden müssen, bei der sie regungslos auf einer rotierenden Bühne steht, oder ein Album droppt, das kaum Unterschiede zum Vorgänger aufweist. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass das Konzept der Ära zwar unterhaltsam ist, aber die Doppelstandards unserer Gesellschaft und insbesondere der Musikindustrie auf die Spitze treibt.

Wir beurteilen weibliche Stars immer noch viel eher nach ihrem Erscheinungsbild, ihren Looks, ihrem Image – anstatt unseren Fokus voll und ganz auf ihre Musik zu legen. Während männliche Stars, die sich soundtechnisch minimal weiterentwickeln, oftmals dafür gelobt werden, „ihrem Sound treu zu bleiben“, heißt es bei weiblichen Artists schnell, dass sie wohl einfach zu unkreativ seien und nichts mehr zu sagen hätten. Würde Taylor Swift ihren Fans eine Tour bieten, bei der sie ohne Choreos, verschiedenste ausgeklügelte Outfits und sogar einen Tauchgang UNTER die Bühne(!) auftreten würde, würden sich die Reviews wohl nicht vor Begeisterung überschlagen, sondern die Show möglicherweise als langweilig betiteln.

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