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Olli Schulz und Jan Böhmermann

Joseph Strauch

interview

„Der Eurovision Song Contest ist ja famously unpolitisch“

Jan Böhmermann und Olli Schulz sind bereits jetzt extrem gut auf den ESC vorbereitet, dessen Finale sie am 13.5.2023 für FM4 live aus Liverpool kommentieren werden. Im Interview beweisen sie ordentlich Spezialwissen.

Von Lena Raffetseder und Alex Wagner

Wie politisch ist denn der Eurovision Song Contest in euren Augen und Ohren?

Jan Böhmermann: Der Eurovision Song Contest ist ja famously unpolitisch. Also damit bei dieser großen Musikveranstaltung hinterher nicht ein Bürgerkrieg ausbricht, ist die wichtigste Regel pro Song nicht über drei Minuten und ganz wichtig: keine politischen Botschaften. Und wenn doch, so, dass nicht mal die Künstler, die es performen, mitbekommen, dass eine politische Botschaft im Song drin ist. Das werden wir natürlich umgehen, indem wir das gnadenlos politisch an jeder Ecke aufladen (lacht).

Das Finale des Eurovision Song Contest mit Jan Böhmermann und Olli Schulz

Live aus Liverpool. Am 13. Mai ab 20.45 Uhr auf Radio FM4 und im Videostream auf fm4.ORF.at.

Alle Infos dazu und den Stream gibt’s hier.

Wie kann man sich denn 2023 noch über den Eurovision Song Contest lustig machen?

Jan Böhmermann: Nee, eben gar nicht mehr. Wir begeben uns nicht mehr hinein in den Song Contest, sondern wir befinden uns bereits in einer Besprechung der medialen Aufbereitung des Eurovision Song Contests. Also wenn es darum gehen würde, den Contest zu crashen, das ist, glaube ich, alles durchgespielt. Da wurde alles gemacht von ironische Lieder auf die Bühne bringen, sich irgendwelche Horror-Masken aufsetzen, jede gesellschaftliche Minderheit darf einmal auf der großen Bühne repräsentieren.

Jetzt geht es darum, wir müssen glaube ich die Medienwirklichkeit so ein kleines bisschen bearbeiten und auf der Medienebene den Eurovision Song Contest angehen. Der Grund, warum wir das jetzt für Österreich machen, natürlich komplett ohne Rachegedanken oder so was, ist natürlich, weil wir jahrelang hier mit dem deutschen Mediensystem zu tun hatten, das nicht erkannt hat, welches Glitzern in unseren Augen ist, wenn wir über den Eurovision Song Contest sprechen. Was für eine Begeisterung, was für ein Enthusiasmus, was für ein Wille zum Aufbau, zum Neuanfang in uns schlummert. Das ist jetzt wichtig, darum geht’s jetzt. Wir müssen den Eurovision Song Contest medial retten.

Was sind denn ein paar Dos und Don’ts beim Kommentieren des Eurovision Song Contests 2023?

Olli Schulz: Nicht, während die Songs laufen, schon moderieren. Das ist eine Unart, die Peter Urban eingeführt hat. Das Lied war noch gar nicht richtig zu Ende und er hat schon drüber gesprochen. Wir werden die Lieder ganz ausklingen lassen, richtig alte Schule, wie im Radio auch, und werden natürlich mit scharfen Analysen dem sag ich mal nicht so geneigten Musikfan, der da vorm Fernseher sitzt, versuchen zu erklären, was für eine Musikrichtung das ist, wo die Kostüme herkommen und ähnliche Sachen. Ich werde mich akribisch darauf vorbereiten auf diese ganze Veranstaltung und will mit einem Hintergrundwissen glänzen, dass es wirklich vielen Leuten die Atem rauben wird. Und neue Maßstäbe wollen wir natürlich auch setzen, Jan!

Freut ihr euch auf das Kommentieren des ESC-Finales?

„Wir möchten Österreich Danke sagen“ - Warum Jan Böhmermann und Olli Schulz für uns den ESC kommentieren: Hier gehts zum ersten Teil dieses Interviews.

Jan Böhmermann: Wir freuen uns mega!

Olli Schulz: Jetzt ohne Flachs: Ihr erfüllt uns tatsächlich wirklich einen Lebenstraum damit, dass wir da das moderieren dürfen. Und ich muss ja sagen, dass ich für Teya & Salena auch gute Gefühle habe. Also ich glaube, das ist wirklich ein origineller Song. Ich meine, was an diesem Song ist Österreich? Fast gar nichts! Das alleine gibt einem die Möglichkeit, dass der Song ganz, ganz nach vorne kommen kann.

Jan Böhmermann: Der Song und der Act von Österreich sind wie so eine weiße Leinwand. Und wer weiß: vielleicht ist nächstes Jahr der Eurovision Song Contest, das Finale dann in Wien. Würd mich freuen, wenn ich dann auch dabei bin, wenn ich dann noch ins Land gelassen werde. Und der Olli auch.

Fest & Flauschig Hörer*innen wissen: Ihr habt in der Vergangenheit sehr viel darüber geredet, wie gern ihr den ESC kommentieren wollt. Aber warum wollt ihr das dann überhaupt?

Olli Schulz: Na weil das eine internationale Geschichte ist, es ist der größte Song Contest der Welt. Es ist eine Sache, mit der man aufgewachsen ist. In den zehn Jahren, die wir jetzt zusammenarbeiten, ist kein Jahr vergangen, in dem wir nicht über den ESC geredet haben. Und es ist natürlich eine Veranstaltung, die durch viele Instanzen gegangen ist. Es gab eine Zeit, da war er sehr verpönt. Vor allem nachdem wir (Anmerkung: Deutschland) 1982, glaube ich war das, mit Nicole „Ein bisschen Frieden“ gewonnen haben. Und danach waren wir uns so ein bisschen siegessicher.

Jan Böhmermann unterbricht: Ganz kurz: Wer ist wir? Man muss ja nicht wir sagen, sondern die. Nachdem die gewonnen haben, mit Nicole „Ein bisschen Frieden“. Wir sind jetzt die österreichische Perspektive. Da müssen wir uns jetzt dran gewöhnen.

Olli Schulz: Also wir haben mit Conchita Wurst das letzte Mal gewonnen und das ist jetzt auch schon wieder ein paar Jahre her. Und ich muss sagen, dass ich auch glaube, dass wir dieses Jahr, wir Österreicher, endlich mal wieder die Chance haben, mit einem originellen Song, der Edgar Allan Poe so ein bisschen beschreibt, der feministisch ist, der stark ist, der tanzbar ist, dass wir die Möglichkeit haben, als Österreicher ganz nach vorne zu kommen.

Jan Böhmermann: Vom bescheidenen, die Erwartungen niedrig haltenden Piefke innerhalb von 30 Minuten zu einem größenwahnsinnigen Österreicher, der den Mund gar nicht voll genug bekommt. Aber ganz ehrlich, warum wir diesen Eurovision Song Contest immer schon gerne machen wollen: Der vereint eigentlich alles, was wir lieben. Wir sind beide unterschiedlich musikalisch affin. Wir interessieren uns wahnsinnig für Entertainment. Unsere cis Heterosexualität.

Olli Schulz unterbricht: Ist nicht gefestigt!

Jan Böhmermann: Ist nicht gefestigt. Trotz fortgeschrittenen Alters - wir sind beide jetzt Ende 30 - sind wir weiterhin glaube ich noch andockbar für die Queer Community, genau wie der Eurovision Song Contest. Wir sind aber auch jederzeit bereit, wieder im closet zu verschwinden, je nachdem, wie sich der politische Wind ändert. Auch da haben wir viel mit dem Eurovision Song Contest gemein.

Und ganz ehrlich: Olli hat Conchita Wurst als letzte Gewinner*in genannt. Man darf nicht vergessen, dass die Geschichte des Eurovision Song Contest und die Geschichte Österreichs so eng miteinander verwoben ist! Udo Jürgens, im Grunde genommen einer der bekanntesten Deutschen, aber was viele nicht wissen: natürlich Österreicher. „Merci, Chérie“, 1966 in Luxemburg im Finale Platz eins, damals noch mit 31 Punkten, mittlerweile ja über 250 Punkte oder so. Udo Jürgens ist dreimal angetreten. Und wir wollen eigentlich mit dem Beginn der Kommentierung des Finales in diesem Jahr eine Serie starten, die länger geht als die Teilnahmeserie am ESC von Udo Jürgens. Also wir machen es ab jetzt jedes Jahr, egal wie es wird. Mehr als Udo Jürgens. Viermal müssen wir es machen, und dann hören wir auf.

Welche Kompetenzen bringt ihr denn mit, den Song Contest zu kommentieren? Habt ihr da eine Rollenverteilung? Ist Olli mehr für die Musik da und Jan mehr für die Performance?

Jan Böhmermann: Ich interessiere mich für Tanz, Gesang und für Outfits und Olli hat einen Pyroschein wie Till Lindemann von Rammstein. Der kann die Pyro-Show und die Bühnentechnik analysieren. Olli ist ein alter Rigger, er weiß, wie man Kabel aufrollt und so was.

Olli Schulz: Ich werd euch auch erzählen, was das für ein Aufwand ist. So eine Bühne, so viele Traversen, da überhaupt an die Decke zu hängen, die ganzen Lichter. Ich habe ja jahrelang, bevor ich auf der Bühne stand, hinter der Bühne bzw. unter der Bühne gearbeitet. Ich glaube, das wird auch viele Leute während der Show interessieren, wie lange man so als Techniker braucht, um diese Lampen da oben in die Decke zu hängen.

Es geht ja auch immer ewig lange. Alleine schon zwischen dem letzten Song und der Punktevergabe, da kommt noch mal der Gewinner oder die Gewinnerin vom letzten Jahr. Da wird nochmal alles aufgearbeitet und da schalten dann viele ab oder fallen in einen Dämmerschlaf. Und da sind wir dann beide gefragt, dass wir da dann noch mal die Zügel anziehen. Weil es soll ja nicht ausplätschern, sondern es soll zum Ende ein Feuerwerk werden, das mit einem riesigen Knall endet.

Jan Böhmermann: Genau. Und ich könnte mir vorstellen, dass wir zum Beispiel für jeden Punkt, der für Österreich abgegeben wird, - keine Ahnung - eine Flasche Jägermeister trinken in der Sendung. Um einen Anreiz zu schaffen für die Leute, einfach abzustimmen.

Und wie gesagt, unsere Beteiligung und unser Engagement für Österreich beim Eurovision Song Contest - und das machen wir natürlich auch ganz bewusst, damit die Leute in Deutschland mal sehen, diese Arschlöcher aus diesem großen, arroganten Land im Herzen Europas, die immer glauben, sie sind was besseres, nur weil sie ein bisschen besser sind als alle anderen - dass die mal sehen, was für eine Power denen hier durch die Lappen gegangen ist.

Wir werden nämlich nicht nur kommentieren, wir werden da rumlaufen, wir werden im Vorhinein Promo machen, wir machen eine große Europatournee, wir werden versuchen auf diplomatischer Ebene zu lobbyieren - ich habe ja viele politische Kontakte. Ganz viel. Olli ist in der Künstlerszene. Olli kennt jeden. Ich kenn niemand in der Künstlerszene, aber politisch bin ich super vernetzt. Und dass wir über diesem Weg versuchen, sneakymäßig, so wie die Weltmeisterschaften immer in irgendwelche Dritt-Welt-Staaten, korrupte Öl-Autokratien geholt werden mit Wurstkörben und Bestechungsgeldern. Das werden wir auf menschlicher Ebene machen im Vorhinein.

We are not in it for the money! Es geht nicht um Geld. Es geht hier um die Ehre Österreichs. Und es geht darum, alle anderen Nationen Europas standesgemäß zu düpieren. Deswegen treten wir an!

Wie bereitet ihr euch auf das Kommentieren vor? Ich hör raus, ihr habt bereits viel ESC-Wissen.

Jan Böhmermann: Ich lerne alle Wörter, die es gibt, auswendig. Alle Wörter, alle Buchstaben. Und ich nehme einen Sack Scrabble-Buchstaben mit. Olli, du wirst Sachen hören, die wirst du noch nie von mir gehört haben.

Olli Schulz: Außerdem muss man dazu sagen, wir haben uns natürlich auch für Österreich entschieden bzw. fühlen uns in Österreich wohl, weil Österreich auch ein unbequemes Land ist. Ich erinnere daran 1969, als Österreich nicht teilgenommen hat am ESC. Ich glaube es war 69 in Spanien aufgrund der damals herrschenden Franco-Diktatur. Da wurde dann einfach mal für ein zwei Jahre mal ausgesetzt.

Jan Böhmermann: Wir sind quasi zwei blockfreie Moderatoren, wir sind neutral wie Österreich auch. Und wir sind durch und durch korrupt natürlich, wahnsinnig unseriös und essen gerne schwer (lacht). Also im Grunde genommen sind wir Österreich - immer schon.

Olli Schulz: Und falls jemand doch uns noch mit Geld locken will, dann wären wir natürlich auch noch bereit, kurzfristig doch noch für ein ganz anderes Land zu moderieren (lacht). Bis jetzt haben wir uns für Österreich entschieden, weil es die einzige Möglichkeit ist. Wenn jetzt noch einer mit Geld kommen würde, dann kann auch sein, dass dieses Interview in ein paar Minuten komplett hinfällig ist (lacht).

Jan Böhmermann: Hört genau hin, Serbien und Montenegro!

Ihr seid zwei alte weiße cis Dudes: Wie wollt ihr denn das queere Publikum abholen?

Jan Böhmermann: Die Behauptung, dass wir beides cis sind, ist was, was Spotify uns aufgezwungen hat, damit wir nicht zu sehr polarisieren in der werberelevanten Zielgruppe. Wie es tatsächlich in unseren Herzen, unseren Seelen aussieht, mit unserer sexuellen Orientierung, unserer Gender Identity und wie wir uns fühlen, wird unser Geheimnis bleiben. Ich sage nur so viel: Wir sind nach wie vor nicht festgelegt, und zwar alle beide nicht. Es ist nur nicht der richtige Mensch, die richtige Situation, das richtige Event vorbei gekommen, damit wir einfach so sind, wie wir sein wollen und können.

Olli Schulz: Das kann ich hier ruhig mal verraten. Das wollten wir eigentlich nicht jetzt so in einem Interview raushauen. Jan und ich haben uns ja 2009 kennengelernt, bei einer Radiosendung, die ich moderiert habe, und er war da als junger Satiriker zu Gast. Danach habe ich ihn noch nach Hause gefahren bzw. ins Hotel und es war im Winter. Es war sehr kalt und unsere Zusammenarbeit begann - das kann ich jetzt hier ruhig mal erzählen - mit einem kleinen Kuss auf den Mund. Das ist eine 14 Jahre lange andauernde Zusammenarbeit und Freundschaft, die mit einem Kuss begonnen hat und vielleicht auch mit einem Kuss irgendwann enden wird.

Jan Böhmermann: Ja genau. Und um es jetzt mal ganz ernst zu sagen: es ist am Ende diese halb durchsichtige Offenheit, die es uns möglich macht, glaube ich, da auch akzeptiert zu werden. Und ich finde sowieso, das ist ein Event für alle. Das jetzt so zu segmentieren und zu sagen, das ist jetzt primär ein queeres Event, das riecht schon vielleicht auch ein bisschen nach Tokenism, also man kriegt es halt nur verkauft, wenn man da einen Queer-Stempel draufhaut. Nein, ich glaube...

Olli Schulz unterbricht: Es war immer, wie Arnold Schwarzenegger sagt: It’s an action movie for the whole family. Und so ist der ESC auch ein Event für alle, eine Möglichkeit haben, sich da unterhalten zu lassen und eine Möglichkeit, dich frei zu entfalten. Und das war beim ESC ja schon immer der Fall. Der ESC ist immer schon ein sehr freies Event gewesen, wo alles geht und wie du dich auf der Bühne präsentieren kannst. Natürlich war das in den 50er, 60er, 70er Jahren alles etwas biederer. Aber schon damals: Abba mit „Waterloo“, wenn sich jemand noch an den legendären Auftritt erinnert von 1974, das war ja auch alles viel Glitzer, Glitzer, schon sehr bunt. Und da würde ich mal sagen, hat der ESC vielleicht sogar einen kleinen Grundstein gelegt für diese wirklich freie Art von Show.

Jan Böhmermann: Ja, und ich meine alle Zuhörer*innen, die jetzt befürchten, dass obwohl wir da so offen sind, jetzt ihr Hass auf Menschen, die nicht so sind wie sie selbst, ihre Intoleranz und ihre Antipathie gegen Dinge wie Gender oder Wokeness, dass das nicht berücksichtigt wird: Natürlich sind wir nach wie vor die impulsgesteuerten Arschlöcher, die immer wieder auch aus Dummheit und Naivität Grenzen überschreiten und deswegen auch diese menschenfeindliche Zielgruppe punktuell an diesem Abend ansprechen werden. Also auch Rechts-Libertäre müssen keine Angst haben, dass zu viel gegendert wird, einfach weil wir zu dumm sind, das jedes Mal zu machen.

Jan Böhmermann und Olli Schulz im Interview:

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Das Finale des Eurovision Song Contest mit Jan Böhmermann und Olli Schulz

Live aus Liverpool. Am 13. Mai ab 21.00 Uhr auf Radio FM4 und im Videostream auf fm4.ORF.at.

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