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Buch

„Schrödingers Grrl“ lässt die Katze aus der Kiste

Hochstaplerei, Social Media, Mental Health und Systemkritik an der Literaturwelt - all das verhandelt Marlen Hobrack in ihrem Buch „Schrödingers Grrl“. Eine mitreißende Story mit Anti-Hero in der Hauptrolle.

Von Alica Ouschan

Es ist gar nicht so leicht, den Plot von Marlen Hobracks erstem Roman zusammenzufassen. Wir erleben den Alltag der dreiundzwanzigjährigen Mara, Schulabbrecherin und arbeitslose Hartz IV-Empfängerin. Ihr Leben spielt sich zwischen Bett, Couch, auf Social Media und dem Arbeitsamt ab. Soziale Kontakte, die sie offline pflegt, sind Maras kleiner Freundeskreis, ihre psychisch kranke Mutter und ihre Sachbearbeiterin. Letztere sieht sie übrigens am regelmäßigsten.

Buchcover

Verbrecher Verlag

Schrödingers Grrrl hat 300 Seiten und ist beim Verbrecher Verlag erschienen.

Trotz fehlender Perspektiven und instabilem Umfeld hat Mara große Ambitionen: Sie möchte als Beauty- und Modeinfluencerin durchstarten, das Problem dabei: Mara ist schwer depressiv und hochverschuldet. Ihr Lebensmotto ist nicht nur titelgebend für das Buch, sondern auch ihr Username auf Instagram: „Solange ich meinen Briefkasten mit den ganzen Mahnungen nicht öffne, bin ich auch nicht pleite.“

Gefühlslage irgendwo zwischen tot und lebendig

Ähnlich schaut Maras Verhältnis mit ihrer eigenen mentalen Gesundheit aus. Wer sich nicht diagnostizieren lässt, bleibt unbehandelt und alles bleibt wie es ist: „Ich weiß nicht. Ich fand immer, dass es meine Depressionen sind, warum sollte ich sie mir wegnehmen lassen? Vielleicht habe ich Angst, dass dann gar nicht mehr von mir übrig bleibt?“

Schrödingers Grrrl ist also mitten in einer nie enden wollenden Selbstfindungsphase. Was zuerst wie ein klassischer Entwicklungsroman wirkt, entpuppt sich auf halber Strecke zur messerscharfen, satirischen Kritik an der Literaturwelt und deren Obsession mit Authentizität. Als Mara nämlich unverhofft einen PR-Agenten aus Berlin kennenlernt wird sie schlussendlich doch noch über Nacht zum Star - allerdings ganz anders als von ihr geplant.

„Wer liest schon Bücher?“

Mara lässt sich als Autorin eines Buches vermarkten, das ein „alter, weißer Mann“ geschrieben hat. In Zeiten des Feminismus haben junge weibliche Autorinnen es ja ohnehin viel einfacher, was die zu sagen haben, das will die Welt hören. Aber nicht, wenn es aus der Feder des Feindbilds stammt.

„Wer liest schon Bücher?“, Mara jedenfalls bestimmt nicht. Nicht einmal das, auf dem ihr Name steht und mit dem sie plötzlich in diversen Talkshows auftritt und im Netz Werbung macht. Die arme Hartz IV-Empfängerin, die aus ihrem Elend heraus einen Bestseller schreibt - das ist eine Marketingstrategie, die sich bezahlt macht.

Die Überfliegerin aus dem Plattenbau: Kapitalisierung von Herkunft und Klasse

Dass Marlen Hobrack diese Thematik in „Schrödingers Grrrl“ aufgreift, kommt nicht überraschend. Die Journalistin hat sich sowohl in ihren Arbeiten für diverse große Zeitungen und Magazine, als auch in ihrem vorheriges Jahr erschienenen Sachbuch „Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet“ mit Artverwandtem auseinandergesetzt. Außerdem hieß sie früher auf Instagram selbst mal @schroedingersgrrrl.

In Prosa-Form gelingt ihr dies ebenso ausgezeichnet, obwohl die Handlung, die sich außerhalb des großen Coups abspielt teilweise etwas langatmig wirkt und an Spannung einbüßt. Gleichzeitig verwebt Marlen Hobrack ein ganzes Netz aus Themenkomplexen miteinander, ohne dass es zu gedrungen oder gewollt wirkt. Im Gegenteil zeigt sie auf, wie mentale Gesundheit, sozialer Status (on- und offline) und damit verbundene Vorurteile, so wie die sehr spezifischen Eigenheiten des Autor*innen Business zusammenhängen.

„Um möglichst wenig sprechen zu müssen - Sprechen barg die Gefahr, etwas auszusagen, und Aussagen ließen sich dokumentieren, und dokumentierte Aussagen ließen sich als Lügen entlarven -, ließ Mara ihre Wunden für sich sprechen.“

Sie findet sogar noch Platz für eine tragisch-schöne Liebesgeschichte, wie sie nur das frühe Erwachsenenalter schreibt. Von der rasanten Handlung, die in einer sehr klaren Sprache erzählt wird, wird man sofort eingenommen. Die Figuren sind trotz teils oberflächlicher Beschreibung überraschend tief und kontrovers. Keine einzige handelnde Person in „Schrödingers Grrrl“ ist nur gut oder nur böse. Es ist ein Buch zum Mitfühlen, mit einer Anti-Heldin, deren Verhalten man verurteilt und mit der man trotzdem bis zum Ende hin mitfiebert.

„Mara hatte sich kaum auf den grünen Samt gebettet, da öffneten sich die Schleusen, sie weinte und weinte. Sie würde sieben Jahre lang weinen, danach nie wieder weinen können, es würde wie im Märchen sein, vielleicht würde sie wie Alice in ihren Träumen zu ertrinken drohen.“

Es ist kein Buch zum wohlfühlen, weil es stellenweise ganz schön wehtut. Die Stellen sind der Herzschmerz, sich bewahrheitende Klischees und der Moment als die große Lüge entlarvt wird und man erkennt, dass es eben doch nicht jede*r vom Bottom to the top schaffen kann. Wäre die Katze doch nur in der Kiste geblieben.

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