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Szenenbild aus der Serie "Poker Face"

Peacock/Sky

Mord ist ihr Hobby

„Poker Face“ ist eine brilliante Serie, die das Krimiserien-Format nicht nur entstaubt, sondern durchkärchert. Natasha Lyonne als eine Frau, die erkennt, wenn jemand lügt, ist der Columbo des 21. Jahrhunderts.

Von Pia Reiser

Krimiserien waren lange Zeit die Definition von ödem Pensionistenfernsehen, nicht zu aufregend, nicht zu brutal und am Ende fährt Harry den Wagen vor. Dann begann Anfang der Nullerjahre die Hochblüte des Serienformats, das damals als der neue Roman angenommen wurde und als Prestige Televisionabgefeiert wurde. Klassische Krimiserien - ein aufgeklärter Mord per Episode und ein leichter roter Faden durch alle Staffeln - gab es natürlich immer noch, aber popkulturell wurde ihnen nicht wenig Beachtung geschenkt.

Von „Mad Men“ bis „Lost“

Herausgestochen aus dem Krimi-Allerlei sind dann ein paar Serien, die ihre männlichen Ermittler als sozial schwierige Genies bzw. als high functioning sociopaths inszeniert haben - auch das auf verschiedenen Stufen der dramaturgischen Exzellenz, aber mit Monk, House (ich weiß, hier geht es nicht um Morde, trotzdem war „House MD“ ja eher eine Krimi- als eine Krankenhausserie) und dem sensationellen „Sherlock“ konnte man als Freund:in des Krimi-Genres schon ganz gut Zeit verbringen.

Die Krimiserie mit dem case per week-Format ist natürlich auch das ideale Gegengewicht zu den epischen, staffellangen Serien, wo man jede Folge gesehen haben muss, wo man sich manchmal auch jahrelang mit einer Serie beschäftigt, die manchmal grandios zu Ende geführt werden („Mad Men“, „The Americans“) und manchmal fühlt sich alles an, wie eine Strafhausübung („Lost“). Die ganz große Ära der epischen Serien, des gefeierten Prestige Television, das zum internationalen Phänomen wird, vom Feuilleton geliebt und analysiert wird - aber auch Meme-Material abwirft, scheint langsam zu Ende zu gehen, die meiner Ansicht nach sensationellste Serie der letzten Jahre ist „Succession“ und auch die endet dieses Jahr und liebäugelt dankenswerterweise nicht mit einem Spin-off-ex-machina.

Rian Johnson ist das Mastermind

Die Serie „Poker Face“ kommt also genau im richtigen Moment. Eine Krimiserie, eine erste Staffel mit 10 Episoden (eine zweite wurde bereits bestätigt), die das als schnarchig angesehen Krimi-Fernseh-Format ins Jetzt holt. Rian Johnson ist das Mastermind hinter „poker face“, er hat mit „Knives Out“ und „Glass Onion“ bereits den whodunnit für das Kino revitalisiert und sich dann die Feelgood-Mordermittlung in Serienform vorgenommen. Natasha Lyonne („Russian Doll“) spielt Charlie Gale, eine Frau, die hört, wenn jemand lügt. Bullshit murmelt sie dann und weil es Lyonne ist, ist dieses Murmeln so herrlich reibeisig, dass man gar nicht genug davon kriegen kann. Charlie ist keine Ermittlerin, auch keine - wie die Kollegen Monk, der „Elementary“-Sherlock oder der „Mentalist“ - Expertin, die bei Mordfällen hinzugezogen wird. Es passiert ihr einfach, dass quasi überall, wo sie auftaucht, früher oder später jemand umgebracht wird (klassisches Jessica-Fletcher-Syndrom!). Als wir sie kennenlernen, arbeitet sie in einem Casino und lebt in einem Wohnwagen, ab Ende der ersten Episode fährt sie durch die USA.

Szenenbild aus der Serie "Poker Face"

Peacock/Sky

„Poker Face“ ist eine ganz große Liebeserklärung an die Serie „Columbo“. Von 1968 bis 2003 werden 69 Episoden in Spielfilmlänge mit dem großartigen Peter Falk als Lieutenant Columbo gedreht, jahrzehntelang läuft eine „Columbo“-Folge Sonntag Nacht im ORF. „Poker Face“ übernimmt nicht nur den Font und dessen Farbe von „Columbo“, sondern auch die Struktur. Wer den Mord begangen hat, sieht man in beiden Serien zu Beginn jeder Episode, dann füttert sich die Spannung (und schon auch: der Schmäh) daraus, wie der Mord aufgeklärt wird. Columbo und Charlie haben außerdem gemeinsam, dass sie von den meisten Leuten, denen sie begegnen, nicht für voll genommen werden. Der Ermittler im zerknautschen Trenchcoat mit dem zerknautschen (europäischen!) Autor und dem zerknautschen Hund stellt für sein Gegenüber nie eine Bedrohung dar, Mörder:innen wiegen sich in Sicherheit, wenn er wieder mal ein Auge zukneift und auf den Teppich ascht. Charlie mit Truckerkäppi und verspiegelter Sonnenbrille, die all ihr Hab und Gut in einem Auto durch die USA fährt und von Gelegenheitsjobs lebt, wird auch permanent unterschätzt - und sie ist - wie Columbo - und das unterscheidet die beiden von den doch recht von Süffisanz angenagten Mentalisten, Houses und Sherlocks grundsätzlich mal: freundlich und empathisch.

Peter Falk als "Columbo"

NBC

Peter Falk als „Columbo“

Dass Charlie in Bewegung ist, gibt der Serie großartige Freiheiten, was die Schauplätze angeht. Eine Tankstelle, ein Altersheim, ein Theater, ein BBQ-Restaurant (mit eigener Radiosendung), überall schlägt Charlie auf und kann wegen ihrer Fähigkeit, Lügen sogleich als solche zu erkennen, gar nicht anders, als sich permanent der Aufklärung von Morden zu widmen. Und auch wenn die Serie im Jetzt spielt, so zieht sich referenz- und manchmal auch stylemäßig eine Große Liebe zu den 1970er Jahren durch. Es ist nicht die technische, kühle Brillianz à la „CSI“, die hier zu, Einsatz kommt, um Fälle zu lösen. Es ist das wirklich gute, alte „zuhören, hinschauen, Schlüsse ziehen, helfen“. Wie auch in „Columbo“ zieht sich durch, dass der Glaube an die Technik Mörder:innen zu Fall bringt.

„Poker Face“ wird in Österreich via Sky ausgestrahlt

Ruf der Krimiserie ist gerettet

Ebenfalls wie schon „Columbo“ setzt auch „Poker Face“ auf Gaststars, Adrien Brody, Ellen Barkin, Simon Helberg, Chloe Sevigny, Hong Chau und Joseph-Gordon Levitt tauchen für einzelne Episoden auf. Rian Johnson ist ein Virtuose auf der Klaviatur der Popkultur, Metal-One-Hit-Wonder werden für „Poker Face“ ebenso aus dem Ärmel geschüttelt wie an Tennessee Williams angelehnte Theaterstücke, Referenzen an „This is Spinal Tap“, „The Conversation“, „Murder she wrote“ sind wohl platziert und es verwundert auch gar nicht, dass Charlie DVDs von „Babe“ und „Okja“ in ihrem Kofferraum hat (die einen Mann zu einem Vegetarier machen werden, Wie gesagt Rian Johnson weiß um die Macht der Popkultur).

Szenenbild aus der Serie "Poker Face"

Peacock/Sky

Chloe Sevigny als Ruby Ruin

„Poker Face“ ist exzellent choreographiertes everything old is new again, der Ruf der Krimiserie ist gerettet, die Wohlfühl-Mordermittlung mit Schmäh und Verve ist zurück und ich hab endlich einen aktuellen Anlass, um Leute wieder in Gespräche über „Columbo“ zu verwickeln.

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