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Jan Böhmermann und Olli Schulz

Joseph Strauch

eurovision song contest

„So war Kunst vor 1989“

Jan Böhmermann und Olli Schulz moderieren für Radio FM4 das Finale des Eurovision Song Contest. Live aus Liverpool am 13. Mai.

Das Interview führten Lena Raffetseder und Alex Wagner.

Wie geht es euch jetzt damit, wo ihr wisst, dass ihr für FM4 den Eurovision Song Contest moderieren könnt?

Olli Schulz: Jetzt mal ohne Flachs: Ihr erfüllt uns tatsächlich wirklich einen Lebenstraum damit, dass wir das moderieren dürfen. Und ich muss ja sagen, dass ich für Teya & Salena auch gute Gefühle habe. Also ich glaube, das ist wirklich ein origineller Song. Ich meine, was an diesem Song ist Österreich? Fast gar nichts! Das alleine gibt einem die Möglichkeit, dass der Song ganz, ganz nach vorne kommen kann.

Jan Böhmermann: Der Song ist wie so eine weiße Leinwand. Österreich hat vielleicht die Möglichkeit, in diesem Jahr bei diesem Eurovision Song Contest, sich in Europa ganz neu zu erfinden. Und wer weiß, vielleicht ist der Eurovision Song Contest nächstes Jahr, das Finale, in der Jörg-Haider-Arena in Wien - nächstes Jahr dann benannt nach Jörg Haider, weil die Regierung sich geändert haben wird. Würd mich freuen, würd ich auch dabei sein, wenn ich dann noch ins Land gelassen werde. Und der Olli auch (lacht).

Wie werdet ihr den ESC denn moderieren?

Das Finale des Eurovision Song Contest mit Jan Böhmermann und Olli Schulz

Live aus Liverpool. Am 13. Mai ab 20.45 Uhr auf Radio FM4 und im Videostream auf fm4.ORF.at.

Alle Infos dazu und den Stream gibt’s hier.

Jan Böhmermann: Wir sind zwei neutrale Moderatoren, neutral wie Österreich auch. Schlagen uns keiner Seite zu, weder politisch noch künstlerisch. Und wir sind durch und durch korrupt natürlich, wahnsinnig unseriös und essen gerne schwer. Also im Grunde sind wir Österreich, immer schon.

Olli Schulz: Und falls uns jemand doch noch mit Geld locken will, dann wären wir natürlich auch noch bereit, kurzfristig doch noch für ein ganz anderes Land zu moderieren. Also bis jetzt haben wir uns für Österreich entschieden, weil es die einzige Möglichkeit ist. Wenn jetzt einer mit Geld kommen würde, dann kann es auch sein, dass dieses Interview in ein paar Minuten komplett hinfällig ist.

Jan Böhmermann: Hört genau hin, Serbien und Montenegro!

Nehmt ihr den Song Contest eigentlich als Musikveranstaltung ernst?

Olli Schulz: Ja klar, nehmen wir den ernst. Überall, wo wir die Möglichkeit haben zu gewinnen, als Österreicher oder irgendeine andere Nation, da ist es natürlich so, dass wir da irgendwie auch unseren gebrochenen Nationalstolz wieder zusammenflicken können - und wenn es nur für zehn Minuten ist, zur Siegerehrung! Oder auch nur wieder mit dem altbekannten Gefühl des Verlierers nach Hause zu gehen. Ich glaube, es gibt immer noch die Möglichkeit, da was rauszuholen, und das ist ja das Tolle am ESC. Jedes Jahr werden die Karten neu gemischt und es ist 2023. Wer hätte gedacht, dass wir jemals so weit vorankommen als Menschheit? Und wenn man so weit als Menschheit vorankommt, dann ist auch für Österreich noch was drin.

Jan Böhmermann: Ja, und mal ganz ehrlich: Ist nicht Kunst und besonders Musik nicht erst dann richtig gut, wenn man einzelne Kunstwerke oder Musikstücke im Rahmen eines subjektiven Wettbewerbs nach Qualität ordnet? Ist das nicht toll, wenn Kunst nicht einfach nebeneinander steht, sondern hierarchisch organisiert wird? Dass der Künstler genau weiß, dass er der Beste ist oder der Schlechteste? So muss Kunst sein! Kunst muss den Regeln der Marktwirtschaft folgen. Auch da sind wir super nah an Österreich dran. Und weil Olli das gerade ansprach, Stichwort Nationalstolz und sowieso Stolz, das ist der Grund, warum es keinen Spaß macht, für Deutschland das zu machen. Weil in Deutschland muss man wirklich so viel kompensieren. Da wird so viel Druck auf den Eurovision Song Contest gelegt. Österreich ist ja komplett frei, anders als Deutschland, von historischer Schuld an den größten Verbrechen der Menschheit beispielsweise. Da hat Österreich ja nichts mit zu tun gehabt, anders als Deutschland. Und deswegen, das ist das Schöne, kann man da viel befreiter und leichter aufspielen und auch sich seines Lebens mehr freuen. Wenn man dann, keine Ahnung, auf Platz 16 landet, hinter der Delegation aus Island oder so was, das ist das Schöne in Österreich. Man kann feiern, Party machen ohne schlechtes Gewissen, weil man hat natürlich keine Schuld.

Der ESC sieht sich ja als eine Art unpolitische Veranstaltung. Aber wir wissen alle, im letzten Jahr hat die Ukraine gewonnen, gegen die gerade Krieg geführt wird. Viele Songs haben eine politische Botschaft. Wie politisch ist der ESC in euren Augen und Ohren?

Jan Böhmermann: Ich finde, der Eurovision Song Contest ist besonders dann gut, wenn ein politisches Lied versucht wird, das aber gerade so formuliert werden muss, dass es noch zu den Regularien passt, sodass es eigentlich auch ein unpolitisches Lied ist. Da werden viele Leute, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind oder in den Staaten des Ostblocks, immer ganz hellhörig und ganz sentimental, weil so war Kunst halt vor 1989. Und der politische Faktor, ich meine, das ist ja auch das Tolle für Österreich, das spielt ja absolut keine Rolle. Am Ende zählt es, was für Österreich am allerbesten ist, und man muss sich ja mit keiner Seite gemein machen. Entsprechende, ganz komfortable Position, in der einfach alles möglich ist. Man kann sowohl mit Wladimir Putin Kaffeetrinken gehen und Kohle machen mit Erdöl und Gas aus Russland. Auf der anderen Seite kann man sich aber auch noch nach Westen orientieren und gerne mal in Washington abhängen. Das ist Österreich und das sind im Grunde genommen auch wir. Also dass das zu politisch oder zu unpolitisch wird, da mach ich mir gar keine Sorgen, da sind wir in Österreich bestens aufgehoben meiner Meinung nach.

Olli Schulz: Es hängt auch immer mit dem Song zusammen. Die Message muss stimmen, aber auch der Song muss stimmen. Ich glaube, eine rein politische Botschaft bringt nichts, wenn der Song schwächelt. Das muss alles zusammenfließen und da bin ich mal gespannt, was uns dieses Jahr erwartet. Ich bin wirklich gespannt auf die Beiträge. Wir leben in einer sehr politischen Zeit und ich glaube schon, dass da einige Statements auf der Bühne passieren werden.

Jan Böhmermann: Ich hoffe, dass es nicht so politisch wird wie damals, als die Olsen Brothers mit „Fly on the Wings of Love“ gewonnen haben. Das fand ich eine Spur zu viel und alles, was darunter ist, bin ich gerne bereit zu akzeptieren.

Würdet ihr zwei dann gemeinsam musikalisch auch mal antreten beim Song Contest mit einem gemeinsamen Projekt?

Jan Böhmermann: Auf keinen Fall!

Olli Schulz: Wenn ich abends auf dem Sofa sitze und die Gitarre in den Händen halte, bin ich immer noch dabei zu träumen und zu überlegen: Welche Melodie würde ich denn mal einreichen, welchen Song? Ich bin jetzt in dem Alter, ich geh jetzt auf die 50 zu, wo man so langsam mal anfangen kann, auch auf die großen Contests zuzugehen. Vielleicht ist das für mich persönlich als Moderator nur erst mal die Froschperspektive und irgendwann werde ich selber auf der Bühne stehen und mir dann später das alles aus der Vogelperspektive noch mal angucken.

Jan Böhmermann: Da kann ich ein kleines Geheimnis verraten. Wir haben natürlich schon darüber nachgedacht, ob wir gemeinsam eines Tages auch als aktive Künstler auf die Bühne treten und bei Ollies musikalischen Ambitionen, das war mir immer klar, dass da natürlich mehr drin ist als quasi die Singer/Songwriter-Karriere, sondern eigentlich die große Bühne ruft. Es ist bislang daran gescheitert, dass Olli sich geweigert hat, die von mir selbst geschneiderten Spandex-Anzüge und die Bühnenchoreografie zu akzeptieren. Weil das gehört natürlich mit dazu. Du kannst dich da eben nicht hinsetzen auf einem Barhocker und einen auf sentimentaler Hamburger Junge, dem man irgendwann mal 1981 das Herz gebrochen hat, machen. Sondern da muss Show kommen, da muss sexuelle Indifferenz kommen.

Olli Schulz unterbricht: Aber genauso hat Nicole 1982 gewonnen, Jan.

Jan Böhmermann: Ja, das war 1982, wir haben inzwischen 2023. Die Welt hat sich geändert, Olli! Wo ist die Message? Wo sind denn die Oculus-Rift-Brillen? Wo ist denn VR? Wo ist denn all das? Na mal ganz ehrlich.

Olli Schulz: Gute Frage!

Jan Böhmermann: Ja und dass du da nicht bereit warst, da mal ein bisschen aus dir heraus zu gehen. Wir hätten es machen können, zwei, drei Jahre. Ich bin doch damals mit Thomas Schreiber beim NDR zusammengesessen, wo er gesagt hat: „Mein Gott, das wird wieder Scheiße dieses Jahr hier bei uns beim Norddeutschen Rundfunk, macht doch was. Kriegst du nicht Olli irgendwie ein bisschen auf mainstreamig gedreht?“ Und du dann so: „Nee, ich will irgendwie nicht. Hör auf, ich will da einen einfühlsamen Song!“ und so. Man muss Musik und Performance mischen. Das ist ganz wichtig. Und daran arbeiten wir noch. Vielleicht ist das dieses Jahr wirklich der erste Schritt dahin, wie die Olsen Brothers. „Fly on the Wings of Love 2.0“!

Was macht denn einen guten ESC-Auftritt aus? Also welches Outfit, welche Visuals oder Gimmicks müssen die Leute dabeihaben?

Olli Schulz: Pyroshow!

Jan Böhmermann: Richtig. Pyroshow. Ganz enge Anzüge, wenn es ein romantischer Song ist, von einem Mann gesungen, damit man den Cringe aushält. Eine riesengroße LED-Leinwand, wo ganz viele Dinge passieren. Je dünner der Song, desto größer die Show. Manchmal zählt das aber auch nicht. Es ist ganz wichtig, dass es immer so ein bisschen aussieht, als würde die Veranstaltung, selbst wenn sie aus dem tiefsten Großbritannien kommt, von einer estnischen Amateurband kommen. Das muss immer so ein bisschen durchscheinen. Und bei deutschsprachigen Acts muss man den Kirchentag raus schmecken. Das ist auch ganz wichtig.

Olli Schulz: Ich würde mich immer an so einer osteuropäischen Performance orientieren, egal, wo du herkommst. Weil das sind die großen Bühnenshows, die liefern uns jedes Jahr wirklich imposante Bilder und das gehört auch dazu. Wahrscheinlich hast du recht. Ich glaube, Barhocker, Akustikgitarre und Singen, das bringt nichts mehr. Ich glaube aber auch, dass Duette nicht so gut ankommen. Ich habe mich mal so ein bisschen in die Geschichte des ESC eingelesen und habe gesehen, dass es meistens immer eine starke Person ist. So wie Johnny Logan, der zum Beispiel als einer der wenigen zweimal den Grand Prix in den 70er und 80er Jahren mit „Hold Me Now“ gewonnen hat. Das war eine einzelne Person, der auch, sage ich mal, die Trauer der ganzen Welt auf seinen Schultern getragen hat. Das hat man gesehen, wenn er gesungen hat.

Jan Böhmermann: Jetzt muss er leider einen Podcast bei Spotify moderieren. Schade, dass eine vielversprechende ESC-Karriere dann so zu Ende geht.

Olli Schulz: So schnell kann es zu Ende gehen. Aber nichtsdestotrotz, es muss eine starke Person sein und man muss der Person das abnehmen, dass dieser Song wirklich gerade aus dem Herzen gesungen wird.

Jan Böhmermann: Das habe ich bei Lena, die die letzte deutsche Gewinnerin war, auch immer gedacht. Wie die „Like a Satellite“ gesungen hat. Da habe ich gespürt, das kommt aus dem Herzen (lacht).

Olli Schulz: Damit hat sie einfach, sage ich mal, unsere deutsche Kultur widergespiegelt und gezeigt auf der Bühne. So ähnlich ist es ja mit „Who the Hell is Edgar?“ auch. Das ist so österreichisch, finde ich.

Jan Böhmermann lacht.

Olli Schulz: Da steckt so viel Käsekrainer drin in dem Song. Ich finde, mehr Österreich als in diesem modernen Popsong kann man kaum unterbringen. Da muss man sagen: Respekt an die Produzenten und Produzentinnen.

Jan Böhmermann: Und wer hätte gedacht, dass diese sehr intensive Verbindung, die gerade Edgar Allan Poe mit Österreich hat, dass das jetzt beim Eurovision Song Contest endlich mal auch einer breiten Bühne gezeigt wird.

Olli Schulz: Dass da noch keiner vorher drauf gekommen ist. Ganz ehrlich, Edgar Allan Poe und Österreich, das gehört so zusammen, wie Schokoladenpulver und Milch. Dass das so lange gedauert hat. Ich glaube, dieses Jahr platzt der Knoten. Das wird der dritte Titel für Österreich!

Jan Böhmermann: Glaube ich auch.

Jan Böhmermann und Olli Schulz im Interview:

Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Das Finale des Eurovision Song Contest mit Jan Böhmermann und Olli Schulz

Live aus Liverpool. Am 13. Mai ab 21.00 Uhr auf Radio FM4 und im Videostream auf fm4.ORF.at.

Alle Infos dazu gibt es hier.

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