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Zebra Katz beim Donaufestival

David Višnjić

It’s my party and I cry if I want to

Koenig mit seinem Mammutprojekt „One Above Minus Underground“, Zebra Katz, die Performance „Aphasia“, Radian und James Holden: Ein paar Highlights des ersten Donaufestival-Wochenendes.

Von Katharina Seidler

Was wollen wir von einem Festivalbesuch? Eine Pause vom deprimierenden Alltag oder neue Erkenntnisse über drängende Problematiken der Gegenwart, aufwühlende Denkanstöße und künstlerische Horizonterweiterung oder einfach Eskapismus und Spaß? Am besten alles auf einmal. Bei einem besonders fordernden ersten Wochenende konnte man diesmal in Krems aus dem Vollen schöpfen; die intensiven Stoffe konnten im Lauf der ersten drei Festivaltage aber auch an die Substanz gehen.

Hier gibt es einen Rückblick auf Tag 1 des Donaufestivals.

Die Klimakatastrophe schlägt sich etwa in den Werken von Oliver Ressler in der Kunsthalle Krems oder bei Toxic Temple nieder, ein „Bestiarium des Anthropozäns“ präsentiert menschgemachte, bleibende Veränderungen natürlicher Stoffe und Landschaften (radioaktive Pflanzen, veränderte Physiognomie von Zuchttieren, dem Bergbau zuliebe gekappte Bergspitzen, usw.) und die serbischstämmige Regisseurin Jelena Jureša verarbeitet in einer brillanten Performance ein ungesühntes Kriegsverbrechen aus dem Jugoslawienkrieg.

Aphasia

David Višnjić

Aphasia

„Aphasia“, so der Titel, dreht sich um ein berühmtes Foto, aufgenommen im April 1992 in Bijeljina im nördlichen Bosnien. Ein junger Soldat, ein Mitglied der Serbischen Freiwilligengarde "Arkans Tigers“ holt mit dem Fuß aus und wird im nächsten Moment eine auf dem Boden liegende Frau mit dem Stiefel am Kopf treffen. Rechts hält der junge Mann eine Kalaschnikow, in der linken Hand lässig eine Zigarette.

Aphasia

David Višnjić

Aphasia

Wie der Rolling Stone in einer aufwändigen Recherche herausgefunden hat, zeigt das Foto den Belgrader Star-DJ Max, der nach dem Massaker unbehelligt seine Karriere in den Clubs und Festivals seiner Heimat fortführen konnte bis in die Jetztzeit. Jene Finger, die die Zigarette im Moment des Todeskicks halten, sind dieselben, die am DJ-Mixer die Knöpfchen und Schieber bearbeiten und damit tausende Menschen in Extase versetzen. Die kriegsverbrecherische Vergangenheit von DJ Max ist in der Szene offenbar hinlänglich bekannt, die schalen Entschuldigungen der Mitwisser hallen während der Performance immer und immer wieder durch den Raum: „You can’t be sure it was him“. „He was checking for a bomb under the body.“ „He is a victim of war.“ Eindringliches, durch-rhythmisiertes Performancetheater, das das Publikum bis ins Innerste aufwühlt. „Dieses Foto zeigt alles, was man über Krieg wissen muss“, heißt es an einer Stelle, eine dunkle Ahnung bestätigt diesen Satz.

Aphasia

David Višnjić

Aphasia

Unter diesen Umständen ist es nicht immer einfach, sich nach dem Erlebten wieder auf die andere Seite der Nacht einzulassen. Locker-flockig geht es aber bei vielen Konzerten des Auftaktwochenendes sowieso nicht zu; umso schöner ist es, wenn musikalische Virtuosität, Form und Inhalt so ideale Allianzen eingehen wie etwa Samstag Nacht bei Lukas König und seinem Mammutprojekt „One Above Minus Underground“, einem erwarteten und eingetretenen Highlight des gesamten Festivals.

Nicht weniger als sieben Livegäste hat der Wiener Schlagwerk-Weiterdenker im Stadtsaal mit auf der Bühne. Koenig selbst, Nik Hummer und Victoria Shen bringen die freigeistigen, noisigen, hochkomplexen Rhythmuskonstrukte des soeben erschienenen Koenig-Albums mit ebenjenem Titel „One Above Minus Underground“ in mitreißende Liveform; dazu betreten die Vokalist*innen-Stars Elvin Brandhi, Dälek, Guilty Simpson, Nappy Nina und Rojin Sharafi die Bühne und rappen, schreien, fauchen ihre jeweiligen Gastparts plus zwei Handvoll eigene Songs ins Mikrophon.

Besonders eindringlich ist an diesem Abend Rojin Sharafis „War is the unveiling of the truth“, in dem die iranischstämmige Künstlerin die brutalen Niederschlagungen der Proteste in ihrem Heimatland in dunkle Gedichtstrophen packt: „In war, curtains lift and truth appears as it is, In war, truth cannot be remedied, In war, there is no acting.“ Erschütternd, sehr gut.

Zebra Katz

David Višnjić

Zebra Katz

Nach dem Ensemblewerk zeigt der New Yorker Rapper Zebra Katz, wie man auch beinahe im Alleingang, lediglich mit einer DJ am Bühnenhintergrund, den Stadtsaal in eine tobende Tanzfläche verwandeln kann. Außer seiner unverwechselbaren Bassstimme und den düster pumpenden minimalistischen Beats seiner zahlreichen Hits - „Ima Read“, „Last Name Katz“, „Tear the house up“ usw. - braucht es nicht viel. In hautengem Lederoutfit durchmisst er die Bühne und aufgetane Gassen im Publikum: Extase.

Radian

David Višnjić

Radian

Am nächsten Tag, Sonntagnachmittag, setzt das heimische Trio Radian in der Minoritenkirche eher auf Konzentration als Überwältigungsstrategie. In ihren unglaublich verdichteten, straffen Stop-and-Go-Rhythmusstudien zeigen sich John Norman, Martin Brandlmayr und Martin Siewert als Meister der Details. In akribischer Feinarbeit schnitzen sie Gitarrenminiaturen aus einem Grundbrummen heraus, durchsetzten sie mit kurzen Noise-Spritzern und legen einen ganz eigenen Groove aus Glimmerpartikeln mit Pinzette und Pinsel frei. Minimalistischer Postrock, der beinahe ohne Hall auskommt, wodurch seine Virtuosität umso mehr zu Tage tritt.

Radian

David Višnjić

Radian

Das Motto des diesjährigen Donaufestivals „Beyond Human“ ist genau offen und aktuell genug, um zahlreiche Anknüpfungspunkte sowohl im Kunst- als auch im Musikprogramm zu bieten. Neben eher dystopischen Auslegungsweisen (eine Welt nach dem Ende der Menschheit) freut man sich auch über optimistische Interpretationen, wenn etwa am Sonntagabend der britische Musiker und Modularsynthesizer-Enthusiast James Holden nach Transzendenz der irdischen Existenz strebt. Glücklicherweise ohne Räucherstäbchen, aber im Mittelteil mit leider doch recht hippiesker Schlagseite, schickt er den Raum gemeinsam mit dem Percussionisten Camilo Tirado und dem Saxophonisten Chris Duffin, wahlweise auch an Blockflöte, Shakern und Triangel zugange, auf ausgedehnte psychedelische Trips.

Holden

David Višnjić

James Holden

Vor gut zwanzig Jahren stand James Holden mit Hits wie diesem hier (sehr gut gealtert) an der Schwelle zum großen DJ-Stardom, entschied sich aber aus purem Idealismus dagegen, weil er am Rücksitz von Limousinen und in Räumen voll koksender Möchtegerns nicht das Gemeinschaftsgefühl der Warehouse Raves seiner Jugend fand. Nach Ausflügen in Richtung Spiritual-Jazz und marokkanische Gnawa-Musik hat Holden auf seinem kürzlich erschienenen Album „Imagine This Is A High Dimensional Space Of All Possibilities“ seinen Frieden mit dem Club-Dancefloor geschlossen, weil er ihn nicht mehr als etwas ansieht, dem man dienen muss, sondern weil er ihn als Möglichkeitsraum für Begegnungen und Horizonterweiterungen begreift.

Holden

David Višnjić

James Holden

Dementsprechend sind die pumpendsten Momente in seinem Set, in denen die pastellfarbenen Trance-Harmonien seiner frühen Tage auf die Erleuchtung durch gemeinsames Musikmachen mit Gleichgesinnten treffen, die Besten. Im besten Fall erlebt man an diesem Wochenende wirklich kurze Momente eines Jenseits der Gegenwart, bis die Realität einem wieder ins Gesicht fährt. Nächstes Wochenende geht es weiter.

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