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Depression, Therapie und Tteokbokki

In ihrem Buch „Ich will sterben, aber Tteokbokki essen will ich auch“ hat die Autorin Baek Sehee die Gespräche mit ihrem Therapeuten veröffentlicht und damit einen Nerv getroffen, denn ihr Buch wurde in kürzester Zeit zum Bestseller.

Von Conny Lee

Als Baek Sehee die Diagnose „Dysthymie“ bekam, konnte sie nichts mit dem Begriff anfangen. Dysthymie wird auch als „persistierende depressive Störung“ beschrieben, ein Zustand anhaltend bedrückter Stimmung.

„Ich frage mich, wie andere das machen, die wie ich nach außen hin ganz normal wirken, innerlich aber verfaulen, wobei ich mit Fäulnis diesen vagen Zustand meine, in dem es einem nicht gut geht, aber auch nicht richtig schlecht. Die Welt neigt dazu, sich zu sehr auf Schwarz oder Weiß einzuschießen; viele meiner Freund:innen verstehen meine Form der Depression deshalb nicht recht. Aber was ist eine ‚akzeptable‘ Depression?“

Baek Sehee mit einem Buch in der Hand

Hanjungku-Studio

Baek Sehee

In ihrem Blog schrieb Baek Sehee über die Diagnose und erhielt Zuspruch von Leser*innen, die erleichtert waren, dass es nicht nur ihnen so geht und dass es für ihren Zustand einen Begriff gibt. Baek Sehee beschloss daraufhin, ein Buch über ihre Erfahrungen zu schreiben.

„Ich hatte das dringende Bedürfnis nach Menschen, die sich so fühlen wie ich. Anstatt auf der Suche nach ihnen ziellos umherzuirren, entschied ich, diejenige zu sein, nach der sie Ausschau halten konnten. Ich wollte meine Hand hoch in die Luft recken und rufen: ‚Hier bin ich!‘, in der Hoffnung, dass mich jemand winken sehen, sich in mir wiedererkennen und auf mich zukommen würde, damit wir einander trösten könnten.“

Im Buch „Ich will sterben, aber Tteokbokki essen will ich auch“ veröffentlicht Baek Sehee die Gespräche mit ihrem Therapeuten, die sie auf Tonband aufgenommen hat. Das macht sie häufiger, auch mit Gesprächen im Büro, wo sie arbeitet, oder im Filmclub, dem sie angehört. Solche Gespräche hört sie sich dann daheim noch einmal an und analysiert, wie sie sich verhalten hat. Ist das Gespräch nicht gut verlaufen oder hat sie zu wenig geredet, quält sie sich und es geht ihr schlecht.

Im Lauf der Gespräche wird uns dargelegt, dass die Autorin ein geringes Selbstwertgefühl hat, an sozialen Ängsten und auch an Schlafstörungen leidet. Der Therapeut verschreibt ihr Medikamente, die wiederum Nebenwirkungen mit sich bringen. Baek Sehee nimmt uns mit bei 12 Wochen Therapiesitzungen und öffnet sich immer weiter. Dabei wird aus ihren Schilderungen auch klar, dass sie sich in ihrem alltäglichen Umfeld bisher immer zufrieden und gut gelaunt gegeben und ihre Probleme und ihr Leiden im Heimlichen verborgen hat.

"Ich: Ich denke immer, dass ich schwach bin und alle das auch merken; dass - egal wie souverän ich auftrete - sie mich durchschauen. Ich befürchte, dass die Leute mich erbärmlich finden.

Therapeut: Das ist eine Folge ihrer Ängste. Sobald sie etwas sagen, denken sie automatisch: ‚Was hält mein Gegenüber jetzt von mir? Was, wenn er oder sie mich verlässt?‘ Diese Gedanken sind lähmend. Das anzusprechen könnte Ihnen helfen, aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass jeder Mensch anders darauf reagiert. Akzeptieren Sie, dass verschiedene Menschen auf ein und dasselbe Gesprächsangebot unterschiedlich reagieren."

Ein Teller mit Tteokbokki

CC0 | Pixabay

Tteokbokki sind so etwas wie dicke, zylindrische Nudeln aus Reismehl, entfernt vergleichbar mit Gnocchi. Sie sind das populärste Streetood in Korea und werden meistens mit einer sehr scharfen Sauce gegessen, getoppt mit einem hart gekochten Ei und Sesam.

An manchen Stellen kann man sich vielleicht mit der Autorin identifizieren und findet auch die Ratschläge des Therapeuten nachvollziehbar. An anderen Stellen - und die sind sicher für jede*n unterschiedlich - sind die Aussagen der Autorin und des Therapeuten vielleicht befremdlich.

Mit dem Ende der Sitzungen ist die Autorin nicht einfach „geheilt“. Der zweite Teil des Buches besteht aus kurzen Texten, in denen sie über ein Leben nach der Therapie nachdenkt. Sie schildert, wie sich ihre Probleme in mancher Hinsicht verbessert haben, dafür jedoch andere, neue aufgetaucht sind. Leider verliert das Buch in diesem zweiten Teil stark an Stringenz und die Texte wirken teilweise beliebig, wie zusammengeklaubte Blogeinträge. Plötzlich geht es da um ihre Hunde, um ihre Tante oder um einen Traum, den sie hatte.

Das Buch kann Menschen, denen es ähnlich wie der Autorin geht, zeigen, dass sie nicht allein sind und wie eine mögliche Behandlung aussieht, es kann aber auch Leuten, denen dieser Zustand fremd ist, einen Einblick geben, was in den Gedanken einer an Dysthymie erkrankten Person vorgeht, um sie besser zu verstehen. Es macht deutlich: Theoretisch könnte es jeder Person in meinem Umfeld so gehen, von der man keine Ahnung hat, dass sie leidet.

Dass Baek Sehee mit ihren sehr intimen Texten einen Nerv getroffen hat, steht außer Frage. Erst veröffentlichte die Autorin das Buch im Eigenverlag, doch schon bald griff ein Independent Verlag es auf und es wurde binnen kürzester Zeit zum Bestseller. Mittlerweile ist es in diverse Sprachen übersetzt worden. In Korea wurde der Text sogar fürs Theater adaptiert und K-Pop Superstar RM von der Band BTS hat das Buch öffentlich empfohlen, was in Korea eine wirklich große Sache ist.

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