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Eine junge Inderin im Zug, Szene aus der Doku "Ladies Only".

Milann Tress John

5 Empfehlungen für das Ethnocineca Doku-Filmfestival

Heute beginnt das Ethnocineca Filmfestival in Wien: Insgesamt gibt es 48 internationale Dokus, die „state of the art“ und super unterhaltsam sind, bis 11. Mai zu sehen.

Von Maria Motter

Dabei sein, wo man sonst vielleicht nicht selber immer hinkommt - das kann Dokumentarfilm bieten, sagt die Wiener Filmemacherin Samira Ghahremani. Am internationalen Dokumentarfilmfestival Ethnocineca ist ihr Regiedebüt „Good Life Deal“ zu sehen, und diese Gelegenheit sollte man unbedingt wahrnehmen.

Das Festival richtet seinen Fokus diesmal auf Übergangsphasen. Über die Betrachtung persönlicher Biografien wird der Wandel der Gesellschaft als Ganzes erkennbar. „Good Life Deal“ ist einer der 48 Filme, dank deren man in Länder nah und fern schauen kann. Die Festivalkinos der Ethnocineca sind das Votiv Kino und das Kino de France. Wir haben fünf herzliche Empfehlungen. Und bei vier dieser fünf Filme werden die Regisseur*innen für Publikumsgespräche da sein.

„Good Life Deal“ - Anders als gedacht

Ein Österreicher zieht nach Thailand zu einer Taxifahrerin: „Good Life Deal“ von Samira Gharemani ist ein halber Thriller und eine Geistergeschichte der Gegenwart. Der Auswanderer Gerhard hat eine Krankheit, die seine Motorik sehr beeinträchtigt und das erhoffte Paradies in Chiang Mai, mit frisch gekauftem Haus, erweist sich als Albtraum. Die neue thailändische Familie feiert Gerhard erst fröhlich, aber bald verschwinden zusehends erst die Möbel und dann die Menschen. „Good Life Deal“ ist super spannend. Es geht um Abhängigkeiten und Beziehungen, die mit wirtschaftlichem Interesse verknüpft sind. Samira Ghahremani wird beim Screening anwesend sein. Derzeit ist noch ein Film im Kino, den sie miteditiert hat: Nikolaus Geyrhalters „Matter out of Place“

Ein Österreicher steht in Chiang Mai vor einem Garten. Szene aus "Good Life Deal".

Samira Ghahremani

„Good Life Deal“ ist eine Geistergeschichte der Gegenwart.

„Lombard“ - Willkommen im Pfandleihhaus

Der nächste Doku-Hit auf der Ethnocineca ist „Lombard – The Pawnshop“: Regisseur Łukasz Kowalski nennt seinen Film eine Doku-Komödie und das trifft es auch. „Lombard“ porträtiert einen Second-Hand-Laden, der zugleich das größte Pfandleihhaus Polens ist.

Ausgerechnet in der „Straße der Beharrlichen“ in Bobrek, einem Teil der Stadt Bytom, hat der Pfandleiher Wiesiek sein neues Ladenlokal gefunden. Er musste umziehen, weil das vorige Haus eingestürzt war. Mit großen und kleinen Katastrophen im Leben der Menschen weiß der Film geschickt umzugehen und das inmitten einer Kulisse mit großem Schauwert: Wiesiek hat eine große Liebe für alle Dinge, auch für einen Mammutzahn, den er gar nicht verkaufen darf. Regisseur Łukasz Kowalski kommt zur Ethnocineca nach Wien.

„Pele“ - Brasilien an der Wand

Eine Stadt, ja sogar ein ganzes Land, wird erzählt über Street Art: Marcos Pimentels Doku „Pele“ zeigt die Graffiti der Stadt Belo Horizonte leinwandfüllend. Es sieht so aus, als wären die Menschen in diesen Gemälden unterwegs und die Slogans und Sprüche kommentierten das Geschehen.

Graffito einer Frau mit Dutt, Szene aus der Doku "Pele".

Marcos Pimentel

„Pele“

Die Wände sprechen ohne Dialoge, und sie erzählen von Polizeigewalt und Rassismus, Obdachlosigkeit und finanzieller Armut, Hunger und der Sehnsucht nach Bohnen, auch von Emanzipationsbewegungen und dem Ringen um ein Leben in Frieden für Frauen, frei von männlicher Gewalt. „Ni una menos“ - „Nicht eine weniger“ ist einer der Slogans. Der Protestruf hatte eine feministische Bewegung in lateinamerikanischen Städten begründet und wurde in vielen weiteren Ländern, auch in Europa, aufgegriffen. „Pele“ ist ein schneller, leuchtender Städtetrip.

„Ladies Only“ - Mumbai im Nahverkehr

Mit „Ladies Only“ ist auf der Ethnocineca eine ganz großartige Auseinandersetzung zu sehen: In den Damenabteilen von Nahverkehrszügen in und um Mumbai interviewt Rebana Liz John Pendlerinnen. „Was macht Sie wütend?“, ist die zentrale Frage, während der Fahrtwind in die Haare saust, Verkäuferinnen ihre Ware sortieren und Kinder sich im Gedränge einen Platz erobern.

Eine junge Inderin im Zug, Szene aus der Doku "Ladies Only".

Milann Tress John

„Ladies Only“

„Ladies Only“ verhandelt die Institution Ehe, das Leben, die Liebe zu Cricket und die Wiedergeburt, auch den tatsächlichen Geburtsprozess hier, in dieser Welt. „Ladies Only“ ist ein feministisches Herzstück - so aufrichtig und amüsant gemacht, dass man ganz vergisst, dass der Film in Schwarzweiß ist. Auch Rebana Liz John kommt zum Publikumsgespräch.

„When Spring Came to Bucha“

Butscha ist 2022 einige Wochen in allen Weltnachrichten der Inbegriff der Hölle auf Erden: 33 Tage belagern Russen diesen Ort bei Kiew, und als ukrainische Truppen Butscha zurückerobern, finden sie tote Zivilisten, auch in den Straßen. Über 400 Menschen wurden ermordet, manche Tote weisen Spuren von Folter und Vergewaltigung auf. Dieses Frühjahr gedachte die EU-Kommission des Massakers von Butscha. „When Spring Came to Bucha“ zeigt, was in den Tagen nach der Katastrophe zu tun war.

Die Filmemacherin Mila Teshaeva hat unmittelbar nach dem Rückzug der russischen Truppen aus Butscha mit dem Kameramann und Co-Regisseur Marcus Lenz festgehalten, wie Menschen nach dieser Tragödie ihr Leben wieder aufnehmen. Von den Lebenden und den Toten erzählt dieser Film mit größtmöglicher Würde.

Ein russischer Befehlshaber hat eine Villa zugemüllt. Eine Ukrainerin zeigt das Erdloch, das sie unter Schock und in größter Not für ihren von Russen hingerichteten Ehemann im Garten gegraben hat. Ein Mädchen sitzt allein in ihrer Schulklasse und sagt über alle Distanz hinweg ihrer Lehrerin und ihren Schulfreunden, wie sie sich freut, dass alle in der Familie da sind. Ein kleiner Bub schreit herzzerreißend, als er in einen Bus des Roten Kreuzes einsteigen soll. Später videotelefoniert er mit einem Angehörigen. In der Schule geben Zeugen ihr Erleben zu Protokoll, die Ermittlungen zu Kriegsverbrechen sind aufgenommen.

Ethnocineca, von 4. bis 11. Mai in Wien.

„Es ist ein zärtlicher Film, es ist absolut tragisch, aber der Film zeigt, wie stark Menschen sein können, wenn sie die gemeinsame Aufgabe haben, wieder zurück ins Leben zu finden“, sagt Mila Teshaeva über „When Spring Came to Bucha“. In diesen Film, der wie alle Empfehlungen hier wenig mehr als eine Stunde kurz ist, kann und sollte man sich absolut wagen. Mila Teshaeva wird auch da sein, auf dieser großartigen Ethnocineca.

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