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RAF Camora

Pascal Kerouche | CC BY 4.0

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Von Wien Fünfhaus an die Spitze der Charts: Die Geschichte von RAF Camora in einer exklusiven Radio-Doku

RAF Camora ist einer der erfolgreichsten Künstler des deutschsprachigen Raums. Von Wien Fünfhaus hat er via Berlin den Pop-Olymp erreicht, Milliarden an Streams generiert und ausverkaufte Shows in den größten Konzerthallen gespielt. Seine Songs landen regelmäßig auf Platz 1 der Charts. Vor ein paar Tagen hat er seinen siebten Amadeus Award bekommen. Am 23. Juni ist er der Headliner auf der FM4 Bühne am Donauinselfest. Wie wurde er so erfolgreich?

Von Alex „DJ Phekt“ Hertel

Save the date: 23. Juni 2023

Beim 40. Wiener Donauinselfest tritt RAF Camora auf der FM4 Bühne auf. Das weitere Line-Up wird demnächst bekannt gegeben.

Freitag vor knapp zwei Wochen. Mein Telefon klingelt. RAF Camora ist wie vereinbart am anderen Ende der Leitung. Er sitzt in seinem Studio in Berlin und ruft überpünktlich an. Das geplante Face-2-Face-Interview in Wien mussten wir kurzfristig verschieben, es geht grad drunter und drüber in seinem Leben. RAF ist mitten in der Release-Planung seines neuen Albums „XV“.

Die Platte erscheint am 23. Juni 2023, gleichzeitig mit seinem Auftritt beim diesjährigen Wiener Donauinselfest, wo er der Headliner auf der von FM4 gehosteten großen Festbühne sein wird. Er freut sich sehr drauf.

Von Wien Fünfhaus an die Spitze der Charts - die Geschichte von RAF Camora

Es ist nicht unser erstes Interview. RAF war früher immer wieder einmal zu Gast im FM4 Studio. Meist in unserer wöchentlichen Hip-Hop-Sendung „FM4 Tribe Vibes“, anlässlich von Releases wie „Raf 3.0“ (2012), „Hoch 2“ (2013) oder „Ghost“ (2016). Vor etwas mehr als fünf Jahren haben wir uns zum letzten Mal persönlich (für ein Radio-Portrait über österreichische Hip-Hop-Künstler in Berlin) getroffen und sind stundenlang mit seinem Auto durch die deutsche Hauptstadt gefahren, um über seinen langen und durchaus mühsamen Weg zum Erfolg zu sprechen. Seitdem ist viel passiert in seinem Leben.

RAF Camora ist jetzt Popstar.

Tribute für den Erfolg

Dass wir 2023 über neue Musik reden, ist keine Selbstverständlichkeit. 2019 hat RAF Camora am Gipfel seines Erfolgs die Notbremse gezogen und mit einer aufsehenerregenden Aktion in Wien anlässlich seines Albums „Zenit“ überraschend sein Karriereende bekannt gegeben.

In seiner während der Pandemie entstandenen Autobiografie „Der Pakt“ (als Hörbuch bei Spotify verfügbar) beschreibt er detailliert die Schattenseiten des Erfolgs: Angstzustände, Depressionen, unfassbarer Erfolgsdruck, Verlust der Privatsphäre, falsche Freunde, zerbrochene Beziehungen... Während rund um ihn alle Party gemacht haben, lag er nach ausverkauften Shows oft krank und erschöpft im verdunkelten Tourbus.

„2019 hab ich einfach das Schachbrett umgekippt und gesagt: OK, ich bin jetzt raus aus dem Spiel, weil dann kann ich nicht mehr verlieren. Was ich dann in Folge gemacht habe, ist, dass ich mich sehr, sehr, sehr krass mit mir selbst beschäftigt habe und ganz viele Bücher gelesen habe und dann mein Comeback, Gott sei Dank, auch geschafft hab 2021, seitdem aber anders an die Dinge herangehe. Ich will nicht sagen, ich hab die Erleuchtung gefunden und bin jetzt voll entspannt wie ein Buddha-Mönch. Aber es ist so, dass ich ein bisschen gelernt habe, mit eventuellen Niederlagen besser umzugehen. Ich bin ein bisschen entspannter geworden, sagen wir so.“ (RAF Camora im FM4 Interview)

Schon 2010 hat er, lange vor dem großen Durchbruch, im Song „Schwarzer Rabe“ prophetisch seine eigene Zukunft inklusive aller Schattenseiten vorhergesagt. „Das macht mir immer noch Gänsehaut, wenn ich das höre, und es hört sich vollkommen verrückt an! Es ist komplett verrückt.“

Graffitti "RAF Camora" im Dadlerpark

Phekt

Gespraytes Graffitti im Wiener Dadlerpark, wo RAF Camora ein local hero ist.

Langer Weg nach oben

RAF ist ein akribisch arbeitender und perfektionistischer Mensch, der von Wegbegleitern als Workaholic bezeichnet wird. Sein Erfolg war kein Zufall, sondern ist das Ergebnis von vielen Jahren harter Arbeit. Er hat lange gebraucht, um seine künstlerische Identität zu finden. Am Anfang seiner Karriere hat RAF noch in seiner Muttersprache auf Französisch performt, Reggae- und Dancehall-Songs aufgenommen, war Teil von Bands wie „Balkan Express“ oder „Family Bizz“ und hat früh mit seinen Freunden aus dem 15. Wiener Bezirk mit Straßenrap experimentiert.

„Rap war damals eine lustige Musik mit viel ‚Yoyoyo‘. Mein Freund Emirez, der vom Balkan geflüchtet war, und ich haben früh die Vision gehabt, dass es auch andere Seiten in unserer Stadt gibt, die im Rap abgebildet werden müssen. Menschen, die ein anderes Leben haben.“ (RAF Camora im FM4 Interview)

Viele Kids aus seinem Umfeld waren Jahre zuvor mit ihren Familien dem Krieg in Ex-Jugoslawien entflohen und teilweise schwer traumatisiert. Der Balkan war allgegenwärtig und hat den jungen Raphael Ragucci (so sein bürgerlicher Name) geprägt.

Kleinkriminalität, Drogen, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit waren in den 90er Jahren alltäglich in Rudolfsheim-Fünfhaus. Die österreichische Mehrheitsgesellschaft hatte keinen Bock auf die „Ausländer-Kids“. Das hat zur Entstehung einer Parallelgesellschaft beigetragen und die Fronten verhärtet. Diese frühen Erfahrungen ziehen sich inhaltlich durch sein gesamtes Werk und waren durchaus traumatisch.

Dazu die Journalistin und Moderatorin Ana Ryue, die sich seit vielen Jahren mit Rap-Musik beschäftigt:

„Ob migrantisch oder nicht. Wenn du aufwächst mit sehr wenig und immer gesagt bekommst, dass du nichts wert bist, wenn du nichts hast, dann macht es auf einmal viel mehr Sinn, warum so viele Artists davon träumen, viel zu erreichen in Form von Materiellem. Und es macht dann auch Sinn, wieso das so viele Jugendliche catcht, wenn sie einen Künstler sehen, der es geschafft hat und der von dort kommt, wo sie selbst herkommen. Das schafft Identifikationsfläche und Hoffnung, weil man hören will, wie er es geschafft hat. Natürlich ist das faszinierend.“ (Ana Ryue im FM4 Interview)

Straßenrap zum Tanzen

RAF Camora versteht, wie die Musikindustrie tickt, er hat ein unheimliches Gespür für Marketing und für seine Fans. Er plant seine Moves wie ein Schachspieler und exerziert sie dann nahezu perfekt. Zwischen 2009 und 2016 probiert er viel aus, verpasst sich als Raf 3.0 ein Alter Ego und landet mit dem Album „Hoch 2“ tatsächlich auf Platz 1 der deutschen Charts. Wobei er diese Platte rückblickend nicht so mag, er habe sich damals nach eigener Einschätzung zu sehr an ein Soundbild angebiedert, das nicht authentisch seiner Persönlichkeit entsprochen habe.

Der einschneidende Moment, als sich das Blatt in Richtung Superstar-Karriere gewendet hat, war der Song „Geschichte“ auf seinem 2016 erschienenen Album „Ghost“. Darauf hört man ihn zum ersten Mal an der Seite von Bonez MC, einem Rapper aus Hamburg, der als Teil der 187 Straßenbande zu der Zeit schon einen ziemlichen Hype erlebte. Der in Wien lebende Produzent Syrix von Irievibrations Entertainment hat mit RAF Camora seit 2005 immer wieder zusammengearbeitet. Er erinnert sich:

„Die haben mit dem Song auf jeden Fall self-fulfilling prophecy betrieben. Als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, war mir klar, dass die beiden zusammen eine explosive Mischung ergeben und dass da was Größeres passieren könnte.“ (Syrix im FM4 Interview)

Und so ist es dann auch. Die Mischung aus Straßenrap mit expliziten Texten, tanzbaren Beats/Riddims und Einflüssen jamaikanischer Reggae-Dancehall-Sounds trifft den Zeitgeist. RAF Camora und Bonez MC veröffentlichen mit „Ohne mein Team“ eine von Afrotrap beeinflusste Single, die zum Mega-Hit wird. Jetzt sind sie Superstars. Es folgt das erste gemeinsame Album „Palmen aus Plastik“, das kommerziell unfassbar erfolgreich wird. Die Jungs von der Straße werden tatsächlich Millionäre.

„Bonez ist ein unglaublich krasser Rapper. Der hat aber absichtlich manche Texte einfach simpler gemacht, damit sie besser ins Ohr gehen, dass man es leichter mitsingen kann. Und dass es nicht so schwer wird, weißt du. Das hat mir Bonez wirklich beigebracht. Er hat mir gezeigt: Setz dich. Hör auf. Wenn der Song passt, dann lass ihn so. Schick ihn in den Mix, lass ihn mischen und das war’s. Hör auf, 5000-mal die Drums auszutauschen, das macht es nicht besser. Die Energie im Song ist besser, wenn man nicht alles fünfmal auseinandernimmt. Es fließt einfach mehr, wenn man es so lässt, wie’s ist.“ (RAF Camora im FM4 Interview)

Frequency

Patrick Wally

RAF Camora und Bonez MC beim Frequency Festival 2018

Explizite Texte & Kritik

Texte über den Konsum und/oder den Verkauf von Drogen, das Abfeiern von Statussymbolen, Geld, der eigenen Stärke und Männlichkeit wie auch durchaus sexistische Textzeilen gehören zum lyrischen Standardrepertoire vieler Straßenrapper. Versteht RAF Camora, dass sich manche Eltern Sorgen machen, wenn ihre Kinder seine Musik hören?

„Ja, klar. Natürlich kann ich es nachvollziehen. Ich will auf keinen Fall da stehen und sagen: Nee, nee, was wir machen, ist alles voll gut für die Jugend. Überhaupt nicht. Gar nicht. Ich verstehe die Sorge zu 100 Prozent. Aber wir machen keine Musik für Kinder, wir machen Musik für Erwachsene. Ich finde, es liegt in der Verantwortung der Eltern, wie sie mit ihren Kindern umgehen und das thematisieren.“ (RAF Camora im FM4 Interview)

Der deutsche Hip-Hop-Experte und Journalist Falk Schacht findet ebenfalls, dass mehr innerfamiliärer Dialog wichtig wäre. Er stellt die berechtigte Frage:

„Würde man RAF Camora moralisch korrekte Musik abkaufen? Wäre der dann Millionär? Kann man Geld verdienen mit moralisch korrekter Musik in unserer Gesellschaft? Nein. Warum nicht? Weil unsere Gesellschaft ein Problem hat. Hat RAF Camora das Problem verursacht? Nein. Eigentlich will ich ihn gar nicht verteidigen, aber ich sag mal, die Verantwortung bei den Empfängern da draußen, über die redet nie jemand. Der Fingerzeig ist immer auf die Person, die die Scheiße redet. Aber die Scheiße, die gefressen wird, diese Personen sind das Problem. Der Markt regelt. Wir haben ein Marktproblem.“ (Falk Schacht im FM4 Interview)

Müssen sich Künstler*innen, die sich in erster Linie als Entertainer begreifen, überhaupt moralisch oder politisch korrekt positionieren? Dazu Ana Ryue:

„Ein Artist muss erstmal überhaupt nichts. Ich verstehe, dass es für Künstler*innen eine schwierige Entscheidung ist und manche sich vielleicht politisch gar nicht so sehr interessieren, wie es von ihnen erwartet wird. Ich hab zum Beispiel keine Ahnung, wie politisch ein RAF Camora privat ist. Deswegen wüsste ich jetzt gar nicht, was ich an politischen Positionen einfordern könnte von ihm. Ich kenne seine Einstellung zu ganz vielen Themen nicht. Ich erwarte von einer Person nicht automatisch, dass sie politisch sein muss. Ich erwarte es von privilegierten Menschen mehr als von weniger privilegierten und fände es schön, wenn sich mehr Menschen positionieren. Aber mir ist wichtiger, dass einem die Verantwortung bewusster wird für die Dinge, die man sagt.“ (Ana Ryue im FM4 Interview)

RAF Camora ist sich seiner Verantwortung durchaus bewusst und er versucht dieser Rolle regelmäßig gerecht zu werden. So hat er zum Beispiel 150.000 Euro von seinem privaten Geld zur Verfügung gestellt, um in seinem Heimatbezirk Rudolfsheim-Fünfhaus wohltätige Projekte zu unterstützen. Er will etwas zurückgeben und hat dafür den „Fünfhaus-Fonds“ gemeinsam mit seinen Freunden Emirez und Pireli gegründet.

„Ich will mir damit kein Wohlwollen von irgendeiner Partei kaufen. Das ist mir ganz, ganz wichtig. Wir wollen was zurückgeben und entscheiden mit dem Fünfhaus-Fonds selbst, welche Projekte mit dem Geld unterstützt werden.“ (RAF Camora im FM4 Interview)

Fast die Hälfte der Fans, die zu den großen Live-Shows von RAF Camora kommen, sind übrigens weiblich. Warum spricht härterer Straßenrap so viele Frauen an? Einer von vielen weiteren Aspekten, die in der FM4 Doku „Von Wien Fünfhaus an die Spitze der Charts - Die Geschichte von RAF Camora“ mit Ana Ryue, Falk Schacht, Syrix und RAF Camora behandelt werden. In FM4 Sound und im FM4 Musikpodcast.

RAF Camora ist der Headliner der FM4 Bühne am Donauinselfest 2023

Diesen Sommer feiert Europas größtes Open-Air-Festival bei freiem Eintritt ein Jubiläum: Bei der 40. Ausgabe des Donauinselfests in Wien hostet Radio FM4 die große Festbühne am Freitag, 23. Juni 2023. Headliner ist der erfolgreichste Deutsch-Rap-Musiker des Landes: RAF Camora!

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