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Filmstill Guardians of the Galaxy

Marvel Studios

“Guardians of the Galaxy, Vol. 3”: Jetzt schon der Comicfilm des Jahres

Erneut zeigt der ambitionierte US-Regisseur James Gunn was im Blockbuster-Bereich alles möglich ist. Das Finale seiner Weltraum-Antihelden-Saga überwältigt visuell, inhaltlich, vor allem aber emotional. Eine persönliche Huldigung.

Von Christian Fuchs

Eigentlich wollte ich mir endlich Urlaub vom Marvel Cinematic Universe nehmen. Als einstiger Fan empfinde ich die kalkulierten Reißbrett-Plots, die ausgesprochen hässlichen GCI-Welten und den nervigen Humor mitterweile als quälend. Es ermüdet längst, die ewigen Abspänne abzuwarten, nur um irgendeinen halblustigen Teaser serviert zu bekommen.

Und es tut vor allem auch weh zu sehen, wie tolle Regisseur*innen von der Marvel-Maschinerie verschluckt werden. Neben dem besonders schockierenden Fall der Autorenfilmerin und Oscar-Gewinnerin Chloe Zhao (sie drehte das esoterische Kitschepos „The Eternals“) wirkte „Dr. Strange in the Multiverse of Madness“ auch wie eine Selbstparodie von Sam Raimi.

Einer, der sich den Auftraggebern nicht beugt, ist James Gunn. Der US-Regisseur mit einer Vergangenheit im Troma-Trash und wildem Genrekino drückt schon seit längerer Zeit dem Eventkino seinen eigenen Stempel auf. Mit der exzentrischen und knallbunten Weltraum-Pop-Saga rund um die Guardians oft the Galaxy erweiterte er das Marvel Cinematic Universe gewaltig – und verschaffte dem Comickonzern spektakuläre Gewinne. Mit „The Suicide Squad“, seinen Abstecher in den DC-Kosmos, ist ihm 2021 der anarchischste Blockbuster der Gegenwart gelungen, ein Monstrum von Superhelden-Film-Abgesang.

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Ein Waschbär mit „Creep“ im Ohr

Bevor James Gunn in Zukunft als Co-Chef beim DC-Imperium die Fäden zieht, kehrte er nochmal zu Marvel zurück. Es gäbe noch Geschichten rund um die Guardians zu erzählen, verkündete der Regisseur vorab. Vor allem der Handlungsstrang rund um eine vernachlässigte Figur, den verbitterten Waschbär-Krieger Rocket, sei essentiell für die Saga, meinte Gunn.

Wachgekitzelt aus meiner Marvel-Lethargie hat mich der Regisseur dann schon um die Weihnachtszeit. Mit dem unglaublich charmanten „The Guardians of the Galaxy Holiday Special” entlockte er sogar einem Christbaum-Skeptiker wie mir eine kleine Träne. Mit mal ganz feinem, dann extrem derbem Humor erzählt James Gunn darin eine berührende weihnachtliche Geschichte, in der tolle Songs und sogar Kevin Bacon himself Platz haben. Der Hollywoodstar wird von den Guardians auf patscherte Weise entführt, um dem depressiv gewordenen Peter Quill eine Freude zu machen.

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Guardians of the Galaxy, Vol. 3“ schließt nun storytechnisch direct an. Wir befinden uns noch in der Space-Favela (© Natalie Brunner) namens Knowhere, wo sich die erschöpften Weltraum-Piraten nach dem Kampf gegen Thanos zurückgezogen haben. Bevor die Ereignisse sich bald dramatisch zuspitzen, dürfen wir einen irre schönen Vorspann genießen, der Rocket beim Spaziergehen zeigt, mit Radioheads Hymne „Creep“ im Ohr. Und eine der umwerfendsten neuen Figuren im MCU, der lakonische Astronautenhund Cosmo, macht seine Vorstellung.

Die Leichtigkeit dieser Szene lässt uns nach einer dramastischen Eröffnungseinstellung aufatmen. Ein kleiner Waschbär wird aus einem Käfig geholt, wir ahnen, das ist Baby Rocket, seiner Familie entrissen und auf dem Weg zu einer Transformation, die das niedliche Tier in einen zynischen Space-Ganoven verwandelt.

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Brachialer Gefühlsregisseur und Punk-Humanist

Als Rocket in der Gegenwart nach einer Auseinandersetzung mit einem goldglänzenden Bösewicht im Koma liegt, organisiert Peter alias Starlord eine rettende Mission. Die Gehirndaten des mutierten Racoons, die für dessen Heilung essentiell scheinen, befinden sich im Besitz eines klassisch verrückten Wissenschaftlers namens The High Evolutionary. Von diesem Mann, der gerne Gott wäre, führen Spuren in Rockets Vergangenheit.

Nicht das Schicksal der Erde oder gar des ganzen Kosmos steht in diesem „Guardians“ Finalteil auf dem Spiel, wie in so vielen anderen Marvelmovies. Wir fiebern um den trotzigen Waschbären, dem Bradley Cooper die unverwechselbare Stimme verleiht. Die dazugehörige Flashback-Geschichte, rund um dessen kindliche Gefangenschaft, hat wohl nicht nur dem Schreiber dieser Zeilen das Herz herausgerissen.

Alleine beim Gedanken an dieses Labor voller mutierter Tiere, an die lieblich-traumatische Stimmung zwischen „Babe 2“ und „Hostel 2“ (um zwei Meisterwerke ihres Genres zu nennen) werden meine Augen feucht. James Gunn ist für mich nach diesem Film der neue vegane Lars von Trier des Marvel-Mainstreams, ein brachialer Gefühlsregisseur und Punk-Humanist, der nur Liebe für seine Figuren verstrahlt, egal ob es sich um Menschen, Tiere oder vermeintliche Monstren handelt.

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Wahnwitzig surreale Sets, fantastische Effekte

Gehörten diese Filme früher primär dem verblödelten Weißbrot Chris Pratt, funkelt längst das ganze Ensemble in Schlüsselmomenten. Dave Bautista stielt als gutmutig-naiver Drax weiterhin viele Szenen, Quills Halbschwester Mantis (Pom Klementieff) und Karen Gillan als Nebula haben wunderbare Auftritte, das Baumwesen Groot bezaubert, Silvester Stallone schaut auch gutgelaunt auf einen Sprung vorbei. Nicht zu vergessen: In einer eiskalten Version aus einem Paralleluniversum taucht auch Gamora (Zoe Saldana) wieder auf, was Peter Quill in eine weitere Krise stürzt.

Die Bösewichte agieren mit Chukwudi Iwuji und vor allem Elizabeth Debicki und Will Poulter ausgesprochen campy, sobald es aber um die grausamen Experimente rund um Rocket geht, verdüstert sich der ironische Tonfall schnell.

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Anyway, hier ist er, möglicherweise der Comicfilm des Jahres – und das Beste von Marvel seit zirka „Avengers: Endgame“. Wahnwitzig surreale Sets, fantastische Effekte, formidable Pointen, eine fantastische Besetzung und das Maximum an Schleim, Gore und Punk-Attitude, das sich in einen Disneyfilm ab 12 packen lässt. Vor allem aber: Ausgerechnet der provokante James Gunn beschwört überzeugend die Kraft von Freundschaft und Liebe.

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