Vom Makel zu Gold: der Soul von Baby Rose

Ihr neues Album heißt „Through And Through“. Baby Rose gilt als eines der größten Talente des zeitgenössischen Soul und R’n’B. Doch wie so oft in diesem Genre war der Weg zum Licht ein steiniger.

Von Christian Lehner

Vorsicht, diese Stimme könnte euer Herz zum Schmelzen bringen! Jasmine Rose Wilson a.k.a. Baby Rose ist eine aufstrebende Soul- und R’n’B-Sängerin, die in Washington D.C. geboren wurde und derzeit in Los Angeles lebt. Stars wie SZA, J. Cole und Kehlani sind Fans ihrer dunklen, an Nina Simone erinnernden Stimme und Kollaborationspartner*innen. Auch auf dem Soundtrack zum aktuellen Creed-Movie, dem neuestem Boxer-Film aus dem Rocky-Franchise, ist sie vertreten.

Doch Baby Rose verfolgt einen sehr eigenwilligen Karriereweg. So veröffentlicht die 28-Jährige ihr neues Album auf einem kleinen Label, das sich vor allem mit Indie-Rock-Platten einen Namen gemacht hat.

Auf die Interviewfrage in einem Hotel in Berlin, was die Menschen aus ihrer Musik mitnehmen sollen, antwortet Baby Rose „die Liebe“ und meint damit auch dezidiert sich selbst. „Stop The Bleeding“ heißt einer der besten Songs auf dem neuen Album „Through And Through“.

Klingt wie aus dem Klischeebuch für Selbstliebe und Musiktherapie. Doch Baby Rose, die bürgerlich Jasmine Rose Wilson heißt, weiß aus eigener Erfahrung: Das mit der Selbstakzeptanz ist so eine Sache, wenn man zum Beispiel bereits in der Schule für die tiefe Stimme schikaniert wurde.

„Als Kind empfand ich meine Stimme als Fluch, nicht als Segen“, sagt Wilson. „Sie war schon damals sehr tief und rau. Und es war für viele ein Grund, mich aus den verschiedenen Cliquen in der Schule auszuschließen. Klar drückt das auf das Selbstwertgefühl, wenn man sieben ist.“

Große Stimme, kleines Label

Irgendwann reicht es Wilson. Nach dem Umzug nach North Carolina geht sie in die Offensive, nimmt in der High School an einem Gesangswettbewerb teil und gewinnt mit einer Eigenkomposition. Danach wird sie von ihrem Mitschüler*innen nur noch „die Sängerin“ oder „Little Alicia Keys“ genannt.

Später schleicht sich Baby Rose in eine Aufnahmesession des bekannten Rappers J.Cole für eine Compilation seines Labels Dreamville Records und erhält als Co-Sängerin prompt eine Grammy-Nominierung und später einen Plattenvertrag bei einem Major Label. Doch es ist keine Beziehung von Dauer. Das zweite Album „Through and Through“ erscheint auf dem Indie-Label Secretly Canadian.

„Ich möchte die volle Kontrolle über den kreativen Prozess und meine Musik haben und ich brauche eine Heimat, die mich nicht als Endprodukt betrachtet. Selbst beim Major Label war mir wichtig, dass ich die Masterbänder besitze, also die Rechte auf die Songaufnahmen. Ich gehe bewusst einen anderen Weg als die meisten R’n’B-Sängerinnen, auch wenn ich mir im Klaren bin, dass es nicht der einfachste ist.“

So ungewöhnlich die Karriereentscheidungen für eine aufstrebende R’n’B-Sängerin, so außergewöhnlich die Songs. Baby Rose ringt in ihren Tracks nicht nur mit den im Soul üblichen Wallungen in der Herz-, (Unter)Leibs- und Seelengegend, sondern auch mit ihrer psychischen Gesundheit – ein angesagtes Thema im Pop.

Im gleichnamigen Song fordert Baby Rose von sich selbst: „Stop The Bleeding“. In „Paranoid“ stellt sie angesichts der vielen Struggles ihre Zurechnungsfähigkeit in Frage. In „Nightcap“ singt sie gegen ihren tiefgreifenden Pessimismus an.

„Im Soul geht es darum, sich zu öffnen und loszulassen. Man möchte auf den Kern des Menschseins stoßen. Wer bin ich eigentlich, was macht mich aus? Ich freue mich, wenn ich dabei andere mitnehmen kann, aber beim Schreiben geht es in erster Linie um mich. Das ist ein egoistischer Akt.“

Die Songs hat Baby Rose in Los Angeles und Nashville aufgenommen und mit dem Producer D Phelps produziert. In L.A. haben die beiden das Revival at the Complex Studio angemietet, Heimstätte der Soul- und Funkband Earth, Wind & Fire. Gemeinsam mit Sessionmusiker*innen wurden die Stücke auf altem, analogem Equipment eingespielt, das bereits Fleetwood Mac verwendeten.

„Ich liebe echte Instrumente. Alles läuft quasi live auf ein bestimmtes Gefühl zu, auf die Intention des Songs. Ich achte akribisch darauf, dass dieser Vibe in der Postproduktion nicht verwaschen wird.“

Für Soul- und R’n’B-Verhältnisse ist der in Schichten von Echos und Reverbs getauchte Sound dunkel und sinister - fast goth-mäßig. Von der Anmutung her erinnern vor allem die langsameren Stücke an die schattige Auslegung von Trip Hop, wie er in den Neunzigern etwa auf dem Label Mo Wax oder bei Portishead und Tricky zu hören war. Der abseitige Effekt verstärkt sich in der Paarung mit der Stimme von Baby Rose – es ist Hitze und Kälte in einem Aufguss.

„Through And Through“ ist ein Soulalbum, das aktuell grassierende Stimmungen einzufangen vermag. Es ist das große Sehnen nach Mensch und Menschlichkeit, das aus der Musik von Baby Rose spricht, auch was den Umgang mit sich selbst betrifft.

Was Baby Rose aus dem Wandel in der Wahrnehmung ihrer Stimme – vom Makel zu Gold - mitgenommen hat? „Never try to change what you can’t. Use it as your weapon instead.”