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Buchcover mit vielen Frauen

Elisabeth Sandmann Verlag

Buch

Sie haben keine Angst - mutige Frauen im Iran und in der Diaspora

Das Buch „Wir haben keine Angst!“ ist ein einzigartiger Einblick in das Leben und den Kampf von Frauen im Iran und in der Diaspora. Und damit ein wichtiger Beitrag zur internationalen Solidarität mit den Frauen im Iran.

Von Gersin Livia Paya

„Wir haben in Deutschland das wunderbare Recht, sprechen zu dürfen, unsere Meinung zu sagen, laut zu sein. Wenn also nicht wir, wer dann, sollte auf das menschenverachtende Unrecht in der Islamischen Republik aufmerksam machen und den mutigen Frauen Irans eine Möglichkeit geben, dass ihre Stimmen gehört werden.“

So beginnen die Herausgeberinnen Natalie Amiri und Düzen Tekkal das Buch mit den Geschichten von Frauen im Iran, die gegen die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft kämpfen und dabei oft große persönliche Risiken eingehen. Genauer gesagt, sollten die Frauen, die in diesem Buch zu Wort kommen, wenn es nach dem Willen des Mullah-Regimes geht, tot sein.

Doch „Wir haben keine Angst!“ strahlt es vom Hardcover. Und jede Seite des Buches hat Wirkungsmacht und erweitert den Blick. Es ist genau der richtige Zeitpunkt für dieses Buch. Denn nach den jüngsten Protestwellen im Iran und der damit verbundenen Flut an Bildern und Social Media Postings, ist die zu Buchdruck gebrachte und extrem gut aufbereitete Form der Erzählungen ein wichtiger Schritt, den Menschen eine Stimme zu geben, die sich nicht im Online-Äther auflöst, sondern in unseren Händen bleibt.

Denn die Nachrichten zu den Protesten im Iran schwappen kaum mehr durch unsere Social-Media-Kanäle, auch die Bilder aus dem Land werden weniger, so auch die internationale Anteilnahme. Aber die Unterdrückung, Inhaftierung und Tötung so vieler Menschen geht weiter. Auch außerhalb des Irans ist die Bedrohung groß. Umso wichtiger sind Bücher wie diese, die nicht rauszukriegen sind, aus unseren Archiven.

Sie haben keine Angst

15 mutige Frauen erzählen von der Vielfalt der Frauenbewegungen im Iran, die es nunmehr schon seit 44 Jahren gibt und die trotz der hohen Gefahren und Risiken aktiv sind und unterschiedliche Strategien verfolgen, um ihre Ziele zu erreichen. Es handelt sich vor allem um Interviews, die die Herausgeberinnen Natalie Amiri und Düzen Tekkal geführt haben.

Buchcover mit vielen Frauen

Elisabeth Sandmann Verlag

Im Exil und im Land selbst geht der Widerstand weiter, sogar Frauen in Haft beugen sich nicht. Im Buch gibt es Texte, die aus dem Evin-Gefängnis geschmuggelt wurden. Hinter den Mauern des Gefängnisses sitzt etwa die Menschenrechtsaktivistin Narges Mohammandi, mit der Außenwelt darf sie nicht kommunizieren, doch sie geht jedes Risiko ein, um gehört zu werden.

Die Publizistin Natalie Amiri erzählt, dass „das Regime versucht, mit allen Mitteln die Menschen zu brechen. Durch Folter, Hinrichtungen, Einschüchterung, Vergewaltigung, und dennoch gibt es dieses Ziel, das über allem steht, das Regime loszuwerden“.

In „Wir haben keine Angst!“ gibt es Beispiele für den Kampf, etwa das Tragen des Hijabs, um die eigene Identität zu schützen und gleichzeitig Widerstandsfähigkeit auszudrücken. Da ist die Erzählung der Schachschiedsrichterin und Schauspielerin Shohreh Bayat, die zur Schachweltmeisterschaft der Frauen 2020 in Shanghai und Wladiwostok gereist ist und ihr Kopftuch zu locker trug. Das machte sie zur Regimegegnerin. Der Konflikt darum spitzte sich so zu, dass sie sich nicht mehr in ihre Heimat zurück wagte. Sie setzte sich auch für Mahsa Amini ein und trug Solidaritäts-T-Shirts bei den späteren Schachmeisterschaften, was sie ihre Karriere kostete.

Shohreh Bayat erzählt im Buch von dem „Gefängnis aus Stoff“ - dem Hijab: „Seit ich ein Teenager war, bin ich zu Turnieren im Ausland gefahren und habe so die Freiheit in anderen Ländern gesehen. Ich selbst musste sogar da draußen, in einem freien Land, mein Haar bedecken. Das ist sehr schmerzhaft, denn man fängt an, sich zu fragen, warum man selbst diesen Zwängen unterworfen ist, wenn alle anderen Menschen auf der Welt anziehen können, was sie wollen.“

Es sind aber mehr als die einzelnen Geschichten starker Frauen, ihre Worte stehen auch für jene von religiösen oder ethnischen Minderheiten wie den Kurden, Belutschen und der Bahá’i. Es sind die Geschichten von Menschen, die frei leben wollen, tanzen wollen, sich küssen wollen ohne Angst vor Verhaftung.

Unterstützt uns, nicht das Regime

Die Geschichten dieser Frauen schlagen so viele Brücken zu Wünschen, Hoffnungen, Erlebnissen und Kämpfen von Menschen „die lachen wollen, trotz der vielen Tränen“. Es ist ein Buch zu 44 Jahren Freiheitsberaubung, Entrechtung und Erniedrigung seit der Revolution 1979 und auch zu den aktuellen Protestbewegungen im Iran und der Diaspora.

Natalie Amiri und Düzen Tekkal

Markus C. Hurek

Die deutsch-iranische Journalistin und Autorin Natalie Amiri (links im Bild) hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es heute im deutschsprachigen Raum mehr Aufmerksamkeit und Verständnis für die Situation im Mittleren Osten und Iran gibt. Die Autorin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal ist bekannt für ihre aktivistische Arbeit, wurde mehrfach mit Medienpreisen ausgezeichnet und hielt bemerkenswerte Reden bei den United Nations. Ihr Einsatz gilt besonders der jesidischen Gemeinschaft.

Zu Beginn der 2022er Revolution führte Natalie Amiri ein Gespräch mit einer Freundin aus Teheran, das sie niederschrieb:

„Was, wenn wir es schaffen, dieses Regime zu stürzen? Dann würde es einen Iran geben, der mit Israel befreundet wäre. Dann bräuchte Israel weniger Waffen, genauso wie Saudi-Arabien, es gäbe keinen Krieg im Jemen. Irak könnte seine eigene Politik bestimmen. Die Hisbollah und die Hamas hätten keinen Finanzierer mehr. Russland würde keine Drohnen mehr geliefert bekommen, die sie im Krieg gegen die Ukraine einsetzen. Putin würde geschwächt werden, denn ihm würde ein mächtiger Verbündeter in der Region fehlen. Die Gefängnisse, in denen unsere Intellektuellen, unsere Anwältinnen und politischen Gefangenen leiden, wären leer. Man müsste sich nicht mehr fürchten vor einer Atombombe in den Händen der Mullahs. Und eine Frau wäre Präsidentin, die als ersten Amtsakt die Gewaltenteilung herstellt und Menschenrechte verankert. Utopie, nicht Dystopie! Wir sollten unser Mindset ändern. Die iranischen Frauen glauben daran.“

Die neue Dimension dieser Zeit ist, dass diese Menschen sichtbar werden und dass „sie etwas gefunden haben, was größer ist als ihre Angst - die Überzeugung, für ihre eigene Überzeugung zu sterben, wenn das nötig ist“, so die Publizistin und Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal.

Zusammenfassend hat dieses Buch eine Forderung an die Frauen im Westen: „Sie möchten nicht, dass das Regime gestürzt wird von außen, sie sagen ‚das machen wir selber‘, aber die konkrete Bitte nach außen ist: Unterstützt nicht das Regime, unterstützt uns!“, so Natalie Amiri.

Insgesamt ist es ein bemerkenswertes Buch, das die Geschichten und den Kampf der Frauen im Iran einfühlsam und kraftvoll darstellt und ein wichtiges Werkzeug für den Kampf um Frauenrechte und Freiheit in der ganzen Welt ist.

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