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Alison Goldfrapp in einem bauschigen violetten Kleid

Mat Maitland

„The Love Invention“ ist das erste Solo-Album von Alison Goldfrapp

Alison Goldfrapp hat zusammen mit dem Musiker Will Gregory unter dem Namen Goldfrapp sieben Alben veröffentlicht. Für ein Solo-Album fühlte sich die Britin nie bereit. Aber dann kam die Pandemie. Erste Gedanken, eine eigene Platte zu machen, kamen auf. Nun ist „The Love Invention“ erschienen.

von Eva Umbauer

Die gebürtige Londonerin Alison Goldfrapp ging in einer kleinen Stadt südöstlich von London in eine Klosterschule, wo sie auch im Chor sang, was ihr große Freude machte. Als Alison mit elf Jahren eine Prüfung zum weiteren Besuch der Schule nicht schaffte, ging sie in die örtliche Gesamtschule, die sie dann mit sechzehn Jahren verließ. Alison zog erst einmal in einen sogenannten Squat in London, also in eine lose Wohngemeinschaft in einem besetzten Haus.

Solche Squats waren Anfang der 1980er Jahre in Großbritannien nicht ungewöhnlich. Später ging Alison Goldfrapp kurz nach Belgien, um dort zu singen, und in England besuchte sie dann eine Kunstschule. Das Singen ging ihr aber nie aus dem Kopf.

1994 sang Alison Goldfrapp mit dem englischen Electronic-Duo Orbital, und ein Jahr später arbeitete sie mit Tricky, im Aufnahmestudio und auf Tour. Ein Typ aus der englischen Stadt Bristol namens Will Gregory - Komponist, Producer und Multiinstrumentalist - hörte den Song „The Pumpkin“, den Alison Goldfrapp zusammen mit Tricky gemacht hatte, und er fragte sie, ob sie vielleicht mit ihm Musik machen würde.

Goldfrapp

Die beiden veröffentlichten schließlich im Jahr 2000 unter dem Namen Goldfrapp ihr erstes Album, „Felt Mountain“, das den Namen Goldfrapp sogleich etablieren sollte. Es folgten sechs weitere Alben, zwei davon in den USA für Grammys nominiert. Stilistisch spannten die beiden dabei den Bogen von Trip-Hop und Ambient-Torch-Songs über Glam-Pop bis zu Folktronica.

Nach dem letzten Goldfrapp-Album, dem 2017 erschienenen „Silver Eye“, war erst einmal eine Pause angesagt, in der sich Alison etwa mit Fotografie beschäftigte. Für 2020 war eine Jubiläumstour geplant - zwanzig Jahre „Felt Mountain“, was gebührlich gefeiert werden sollen hätte. Aber die Pandemie kam dazwischen. Stattdessen richtete sich Alison Goldfrapp zuhause in London ein kleines Studio ein. Die Lockdowns verbrachte sie dort, blickte viel aus dem Fenster und erste Skizzen für ein Solo-Album entstanden.

Fenster zur Welt

Alison Goldfrapp "The Love Invention" buntes Cover

Skint Records

„The Love Invention“ von Alison Goldfrapp ist am 12.Mai 2023 beim englischen Plattenlabel Skint Records - via BMG - erschienen.

Einerseits, so Alison Goldfrapp, fühlte sich dieser Raum bei ihr zuhause wie eine Art Gefängnis an, eine Einzelzelle, andererseits war dieser kleine Ort eine Art „gateway to another world“, wie sie sagt. Außerdem wurde Alison zu dieser Zeit vom norwegischen Electronic-Duo Röyksopp um eine eine Zusammenarbeit gebeten, was sie ebenfalls bestärkte, wieder Musik zu machen und es diesmal endlich auch solo zu probieren.

Seither hat sie nicht aufgehört, an ihrem ersten Solo-Album zu arbeiten. Früher, so meint sie im FM4-Interview, hatte sie gar nicht daran gedacht, außerhalb von Goldfrapp etwas zu machen, hätte auch das Selbstvertrauen dazu gar nicht gehabt, und war ja ohnehin mit der Band beschäftigt. Aber auch auf „The Love Invention“, so der Titel von Alisons Goldfrapp später Solo-Platte, arbeitet sie mit anderen zusammen, vor allem mit Richard X, der auch schon etwa mit Roisin Murphy Musik gemacht hat, oder mit einem anderen Briten namens James Greenwood.

„I wanted to do something that had that very clubby, acid-y feeling to it. But I wanted lightness to come out of the chorus – there’s tension there, as well as euphoric freedom.“

So Hard So Hot

„So Hard, So Hot“ ist einer der Key-Tracks auf dem Alison-Goldfrapp-Album, eine Hommage an den Dancefloor, vor allem an die Musikstile Disco und House. Ein sexy Gruß von der schwitzigen Tanzfläche, zweideutig, wie das oft der Fall ist in den Texten von Alison Goldfrapp, denn dieser Track ist auch ein Umweltsong. Alison Goldfrapp schrieb ihn im Sommer letzten Jahres, als in London gerade eine Hitzewelle herrschte und es extrem heiß war in ihrem kleinen Home-Studio-Zimmer. „So Hard So Hot“ ist also auch, so Alison Goldfrapp, „an environmental alarm bell“.

„The Love Invention“ ist eine energetische Platte voller Disco-Glitzer, aber mit melancholischen Einsprengseln. Die Stimme von Alison Goldfrapp hält das Ganze wie ein roter Faden zusammen. Es ist eine elegante Stimme, wie man etwa auf dem von Italo-House inspirierten Track „Gatto Gelato“ hört. Was ist ein „gatto gelato?“. Das Wort „gatto“ bedeutet im Italienischen Katze, oder eigentlich Kater, und „gelato“ ist das Speiseeis.

Gatto Gelato

Es handelt sich bei der „frozen cat“, also „gatto gelato“, um eine Schallplatten-Weißpressung, also eine Testpressung oder Musterpressung. Sie erfolgt von den Presswerkzeugen - den Pressmatrizen - vor der eigentlichen Serienpressung, um die Qualität zu überprüfen und etwaige Fehler der Pressmatrize noch beseitigen zu können. Von einer Musterpressung werden meist nur ganz wenige Stücke angefertigt, die dann oft heiß begehrt sind und auch später noch gesucht werden.

„Fever“ hat tolle Beats und erinnert ein wenig an Roisin Murphy, der Self-Empowerment-Song „Never Stop“ ebenfalls, hat aber auch ein wenig etwas von Grace Jones, während „SloFlo“ sich mehr auf das Territorium von James Blake wagt - süß und delikat in seiner dann doch ganz eigenen Schönheit. „In Electric Blue“ ist eine Electro-Ballade über Verluste, die das Leben mit sich bringt, bei „The Beat Divine“ ist die Stimme von Alison Goldfrapp gehaucht und dennoch gebieterisch, und „Digging Deeper Now“ ist, wie Alison Goldfrapp sagt, „the soundtrack to a blissed-out dancefloor on the island of my dreams“.

Digging Deeper

In diesem melancholischen Track singt Alison „everything has changed, in my head, in my heart, and in my veins“. Das Wort „veins“ könnte man irgendwie auch als „face“ hören und dabei denken, dass es sich bei diesen Songzeilen um eine nachdenkliche Anspielung an das Älterwerden handelt.

Ja, das Älterwerden und der damit verbundene „ageism“ sind ein großes Thema in unserer Gesellschaft, sagt Alison Goldfrapp, die schon über dreißig war, als sie ihren ersten Plattenvertrag erhalten hat. „Fuck ageism!“, ruft sie am Schluß von diesem Zoom-Meeting und wünscht noch einen schönen Abend.

Am Tag nachdem ihr Solo-Album erscheint, feiert Alison Goldfrapp ihren 57. Geburtstag. „The Love Invention“ ist also gewissermaßen ein später (Solo-)Streich - ein fast schon triumphales Comeback für Alison Goldfrapp. Manchmal braucht gut Ding, wie es heißt, auch Weile, also Tolles braucht manchmal eine gewisse Zeit, bis es entsteht.

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