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“Beau Is Afraid”: Ari Aster über seine tragikomische Höllenfahrt

Der US-Regisseur, der mit „Hereditary“ und „Midsommar“ dem Horrorfilm neue Impulse verliehen hat, lässt jetzt das Genre-Kino hinter sich. „Beau Is Afraid“ zeigt die Leidensreise eines von Neurosen gequälten Mannes, gespielt von Joaquin Phoenix. Im FM4 Interview spricht Ari Aster über seine Ideen und Einflüsse.

Von Christian Fuchs

Plötzlich ist dieser Name aufgetaucht und war verschwörerisch in aller Munde: Ari Aster. Dem jungen US-Regisseur gelang 2018 etwas Erstaunliches. Mit seinem nachtschwarzen Spielfilmdebüt „Hereditary“ verschaffte Aster sogar abgebrühten Horrorfans eine Dauer-Gänsehaut. Vage auf den Spuren der abgründigen Filme von David Lynch, Roman Polanski oder Nicolas Roeg kreierte der gebürtige New Yorker eine Welt des schleichenden Wahnsinns. Die üblichen kommerziellen Jumpscare-Achterbahnfahrten wirkten gegen den künstlerisch inszenierten Schrecken von „Hereditary“ harmlos.

Das Nachfolgewerk „Midsommar“, eine zeitgenössische und sonnenverbrannte Variation auf den Folkhorror, bestätigte es dann: Dieser Shootingstar unter den Regisseuren und Vorzeigefilmer der hippen Produktionsfirma A24 ist nicht nur ein bestechender Formalist, sondern auch ein echter und ernsthafter Kenner zwischenmenschlicher Abgründe.

Ari Asters neuer Film verzichtet nun gänzlich auf die schicke Genre-Verpackung. Es gibt gruselige Szenen zuhauf, aber „Beau Is Afraid“ könnte auch Horrorfreaks verstören. Das dreistündige Epos zeigt den Schrecken der alltäglichen Existenz, die Unerträglichkeit der modernen Welt, die Familie als traumatischen Ort. Wir folgen einem angsterfüllten, alten weißen Mann auf einer Reise in die Dunkelheit.

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Monströser Albtraum-Kosmos

Das erste Drittel des Films treibt den Puls dabei noch ganz in die Höhe. Joaquin Phoenix ist als Beau Wassermann ein Nervenbündel in einem klaustrophobischen Großstadt-Appartement. Unten auf der Straße tobt die nackte Gewalt (im wortwörtlichen Sinn), die Nachbarn traktieren den gehetzten Mieter mit Psychoterror, seine Mutter wirkt eiskalt am Telefon. Selten hat ein Film die aufheizte Stimmung der urbanen Gegenwart drastischer und grotesker parodiert.

Ja, „Beau Is Afraid“ ist prinzipiell eine Komödie, allerdings erstickt das Lachen im Minutentakt. Beau Wassermann flüchtet aus der Stadt und damit beginnt eine Odysee, die die Meinungen spalten wird. Da hat eine lange verträumte Animationssequenz ebenso Platz wie schleimige Verbeugungen vor David Cronenbergs Body Horror.

Ari Aster nähert sich surreal Leben und Tod, es ist als ob Chuck Palahniuk und Ottessa Moshfegh zusammen das Drehbuch geschrieben hätten, auf den beklemmenden Spuren von Franz Kafka. Oder wie eine existentialistische Höllenfahrt, von Paul Thomas Anderson und Wes Anderson inszeniert. Die Hoffnungslosigkeit wird zum Prinzip bei diesem mäandernden, monströsen und unerhörten Film, etwas Kontroverseres hat die Hipsterfirma A24 noch nie produziert.

Im FM4 Interview erweist sich der Schöpfer dieses Albtraum-Kosmos als äußerst reflektierter, ruhiger Gesprächspartner, der lange Pausen zwischen seinen Sätzen lässt.

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Ein Produkt der Liebe: Ari Aster im Gespräch

Christian Fuchs: Das gängige Hollywood-Kino ist von der klassischen Heldenreise besessen, von „Star Wars“ über „Lord of the Rings“ bis zu den Marvelfilmen. Wir bekommen regelmäßig dreistündige Epen vorgesetzt, an deren Ende die Probleme gelöst sind – und der Held zum besseren Menschen geworden ist. Dein Film ist genau das Gegenteil. Eine totale Antihelden-Reise. Ist „Beau Is Afraid“ eine Art Antwort auf das Unterhaltungskino oder etwas ganz anderes?

Ari Aster: Es wäre gelogen zu sagen, dass ich das nicht im Kopf hatte. Oder ich nicht über die Heldenreise nachgedacht hätte. Grundsätzlich steht dieser Film aber in der Tradition der Pikareske (des historischen Schelmenromans, Anm.). Eine sehr respektlose Tradition, die dem Roadmovie ähnelt, wo es auch um den Reisebericht einer einzelnen Person geht, die von Welt zu Welt wandelt. Mir ging es wirklich um die Landschaften, die sich ständig verändern – und die das Innenleben von Beau spiegeln.

C. F.: Es ist ein brillianter Film geworden, aber gleichzeitig ein sehr riskantes Projekt, sowohl für dich als auch für die Produktionsfirma A24, oder?

Ari A.: Ja, ich denke, das Risiko war immer klar. Es ist ein sehr eigenwilliger und unkonventioneller Film geworden, ihn zu machen fühlte sich nach echter Freiheit an. Und nach wirklichem Spaß. Ich habe nie über das Risiko nachgedacht, ich dachte nur, das ist eine Geschichte in einer Welt, die ich wirklich erkunden möchte. Und am Ende hat diese sehr spezifische Odyssee auch Züge von großem Entertainment. Ich kann jedenfalls nur sagen, dass es ein Film ist, den ich machen musste. Ich liebe den Film. Und alle Leute, die an dem Projekt mitgewirkt haben, haben ihre Liebe dazu eingebracht. Der Film ist ein Produkt der Liebe, wir sind alle sehr stolz darauf.

Christian Fuchs und Ari Aster

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Eine böse Familienkomödie

C. F.: Es passiert so viel in diesem Film, sogar im Hintergrund, die ganze Zeit. Aber was war denn die Uridee, die dich dazu brachte diese Geschichte über diesen Verlierertyp zu erzählen?

Ari A.: Es ist wirklich Beaus Welt, die mich angezogen hat, mehr als alles andere. Diese Welt, die im Grunde eine Art Zerrspiegel der Welt ist, in der wir leben. Sie ist auf alle Arten schrecklich, so wie unsere Welt, nur noch überdrehter. Der Humor dieser Welt hat mich hineingezogen, er steht mir sehr nahe. Und der Film war anfangs auch ein Gefäß für eine Menge meiner verrücktesten Ideen, damit fing es an.

Filmpodcast

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Ari Aster im Interview in ganzer Länge anhören im FM4 Filmpodcast.

C. F.: Ich denke, alle deine Filme, „Hereditary”, “Midsommar” und “Beau Is Afraid” sind sehr persönlich, aber offensichtlich wurden die ersten beiden als Genrekino vermarktet. Jetzt gibt es diese kommerzielle Verpackung nicht mehr. Aber haben diese drei Werke trotzdem viel gemeinsam? Und geht es in deinen Filmen nicht immer um Angst?

Ari A.: Ja, sicher, so kann man das sehen. Alle drei Filme handeln auch von Familie, ich sehe „Beau Is Afraid“ als den dritten einer Art Trilogie. In gewisser Weise geht es um ähnliche Dinge, aber es ist, als ob ich Dynamit in meiner Vorgängerfilme gesteckt und sie in die Luft gejagt hätte. Oder vielleicht wie eine Parodie, eine Dekonstruktion meines bisherigen Schaffens.

C. F.: Du hast “Beau“ in einem Interview eine böse Komödie genannt. Wie wichtig ist der Humor in dem Film? Und welche Art von lustigen Filmen beeinflussten deinen Humor?

Ari A.: Ich würde sagen, dass verschiedene Filme verschiedene Dinge beeinflusst haben. Die Art und Weise, wie ich mit Hintergrunddarstellern umgehe, wurde von Jacques Tati inspiriert, besonders von „Playtime“. Wie viel Aufmerksamkeit er jedem Schauspieler im Bild schenkt und wie er die Distanz wahrt, toll. „Wake in Fright“ ist eine ziemlich großartige Albtraumkomödie, an die ich zwar nicht gedacht habe, als ich diesen Film gemacht habe, aber im Nachhinein wurde mir der große Einfluß klar.

Es gibt vor allem eine ganze Reihe von Büchern, die mich beeinflusst haben. Ich habe die Pikaresken bereits erwähnt, die großen Bücher, die zu dieser Tradition beigetragen haben, wie „Tristram Shandy“, natürlich „Don Quijote,“ Candide. Ich griff auch auf die griechischen Tragödien zurück, die ich in vielerlei Hinsicht sehr lustig finde. Die Götter in diesen Stücken sind so kleinlich. Und es gibt die Tradition, dass sie die Menschen bestrafen, weil sie sie nicht angemessen verehren. Und dann ist da etwas, das mir sehr jüdisch vorkommt und sehr lustig ist. Was Filmkomödien angeht, bringt mich nichts mehr zum Lachen als zum Beispiel „Die nackte Kanone“.

Beau is afraid

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C. F.: Ein Freund von mir fragte mich nach meinem ersten Eindruck von „Beau Is Afraid“, ich meinte, es fühlt sich an wie ein Anti-“Benjamin Button”, bei dem Albert Brooks und der junge Woody Allen gemeinsam Regie führen. Ich meine damit auch die jüdische Tradition, die in dem Film eingeschrieben scheint.

Ari A.: Diese Beschreibung gefällt mir (lacht), klingt großartig.

C. F.: Wer ist verantwortlich für Beau’s gescheitertes Leben? Ist es die Gesellschaft, er selbst oder doch seine Mutter? Welches Schicksal zieht hier die Fäden?

Ari A.: Gute Frage (grinst und schweigt).

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