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Christopher Moss | Universal

FILM PODCAST

Mia Goth: Königin der Verstörung

Ihre Rollenwahl ist exzentrisch, ihre Vorliebe für riskante Arthouse-Produktionen und wildes Genrekino offensichtlich. Der FM4 Film Podcast feiert die junge Schauspielerin Mia Goth und ihre aktuellen Filme.

Von Christian Fuchs

„Scream Queen“ ist ein Ausdruck der in der Gegenwart eher altmodisch anmutet. Im späten 20. Jahrhundert beschrieb man(n) damit Schauspielerinnen, die hauptsächlich im Horrorgenre Auftritte absolvierten. Weil sich ihre Figuren auf der Leinwand die meiste Zeit schreiend auf der Flucht vor Monstern und Serienkillern befanden, drückte man den Darstellerinnen diesen Stempel auf.

Dabei suggeriert der Begriff eine Angstgetriebenheit und Passivität, die zu vielen Frauen in diesen Filmen nicht passt. Jamie Lee Curtis, die wohl bekannteste Scream Queen der 80er Jahre, kämpfte in der „Halloween“-Reihe gegen ihre Nemesis Michael Myers, schreiend, aber extrem mutig. Viel passender erscheint das Wort „Final Girl“, aus der feministischen Filmkritik kommend, weil es immer Frauen sind, die in Slashermovies überleben.

Auch Mia Goth wird als moderne Scream Queen tituliert, weil der junge Star des Indiekinos eine Vorliebe für wildes und weirdes Genrekino mit Horror-Touch zu haben scheint. Aber sieht man sich all die unterschiedlich besessenen Frauenfiguren an, die Mia Goth bislang verkörperte, könnte man von ihr eher als Königin der Verstörung sprechen.

Eine Frau zielt mit einer Pistole

Filmcasino

„Infinity Pool“

Auf der Suche nach spannenden Parts

Dabei lädt alleine ihr Name schon dazu ein, die Künstlerin mit ihrer Kunst zu verwechseln. Mia Goth, genau. Auch abgebrühte Veteranen des Filmjournalismus, wie der Schreiber dieser Zeilen, neigen manchmal dazu, die Grenzen von Realperson und Leinwandcharakter etwas fließend zu betrachten.

Im Fall von Frau Goth färben Arthouse-Schocker wie „Suspiria“, „Pearl“ oder „Infinity Pool“ unweigerlich auf das Image der Darstellerin ab. Jemand, der sich solche exquisit irren Figuren aussucht, der so verrückt ist, mit dem kontroversen Heißläufer Shia LaBeouf liiert zu sein, der jetzt aus der Genre-Avantgarde mit „Blade“ demnächst in den Marvel-Mainstream springt, der muss edgy sein.

Mia Gypsy Mello Da Silva Goth, als Tochter eines Kanadiers und einer Brasilianerin in London geboren, schon in ganz jungen Jahren als Model aktiv, sieht das in Interviews entspannter. Sie sei als Schauspielerin eben immer auf der Suche nach spannenden Parts, abseits der Konventionen. Eine Vorliebe für das Abgründige will sich Goth nicht unterstellen lassen. Wer aber wie Pia Reiser, Markus Keuschnigg (SLASH-Festival) und ich im aktuellen FM4 Film Podcast ausgiebige Blicke auf ihr Filmwerk wirft, wird mit dem Dunklen, dem Obszönen und Mysteriösen konfrontiert. Mia Goth steht für das Wertvollste überhaupt: Risikobereitschaft.

Unter der Gürtellinie: „Nymphomaniac, Part 2“, 2013

Im Vorfeld als „Kunstporno“ vermarktet, entpuppt sich Lars von Triers Zweiteilerals mehrstündige Auseinandersetzung mit Sex und Sexsucht, mit Liebe, Gewalt, Depression, Lust, Laster und Leidenschaft. Ein gleichermaßen intellektuelles wie körperliches Opus Magnum mit einer wahnwitzigen Besetzung: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Shia LaBeouf, Willem Dafoe und Uma Thurman wagen sich unter die Gürtellinie. Gegen Ende taucht die damals irritierend junge Mia Goth auf, als Klischeemix aus Engel und Teufel. Man kann darüber endlos diskutieren, ihre Leinwandpräsenz wirkt gespenstisch.

Morbide Dekadenz: „A Cure for Wellness“, 2017

Der beste Film des Regisseurs Gore Verbinski, primär durch seine „Fluch der Karibik“-Filme bekannt, ist eine erstaunliche Wundertüte. „A Cure for Wellness“ knüpft an die morbide Dekadenz von Guillermo del Toro und Dario Argento an - und birgt Referenzen an Thomas Manns „Zauberberg.“ Auch super: österreichische Schauspieler wie Johannes Krisch in Kurzauftritten und, tatsächlich, ein Song von Bilderbuch in einer zentralen Szene. Mittendrin, aber leider etwas aufs gruselige Musen-Dasein beschränkt: Mia Goth als Figur, die einem Tim-Burton-Werk entlaufen scheint.

Außerirdische Präsenz: „High Life“, 2018

In Luca Guadagninos „Suspiria“-Remake erregt Mia Goth dann breites Aufsehen, trotz einer kleineren Rolle. Richtig ausspielen kann sie ihre spezielle Aura aber in einer Science-Fiction-Meditation der französischen Meisterregisseurin Claire Denis. Robert Pattinson brilliert als wortkarger Pilot, der sein Raumschiff auf ein schwarzes Loch zusteuert. Mia Goth ist ebenfalls an Bord des Todesschiffs, ihre fast außerirdische und zugleich irdisch infantile Präsenz trägt viel zum Appeal des Films bei.

Pearl trifft Maxine: „X“, 2022

Wir schreiben die frühen 70er Jahre. Ein schmieriger Regisseur, seine selbstbewusste Hauptdarstellerin Maxine (die unverwechselbare Mia Goth) und eine kleine Crew finden im texanischen Nirgendwo einen verlassenen Drehort für einen Porno. Bevor und während ein finsterer Gegner die Großstadtkids dezimiert, bekommen wir fantastische Figuren, tolle Dialoge und einprägsame Retrobilder serviert.

Mastermind Ti West weitete die Zusammenarbeit mit Mia Goth zu einer Trilogie aus. In „Pearl“ wird die Vorgeschichte des weiblichen Bösewichts aus „X“ erzählt, im berauschenden Technicolor-Look und mit Verweisen auf Hitchcock. „MaXXXine“ wurde gerade abgedreht und wird den Horror im urbanen Pornomilieu der 80ies finden. Wie lustvoll, ambivalent und radikal Mia Goth diese durchgeknallten Frauencharaktere anlegt, stachelte auch Regiemeister wie Martin Scorsese zu Lobeshymnen an.

Urlaubsfegefeuer: „Infinity Pool“, 2022

Wenn man den Erfinder des Body Horror als Vater hat, könnte man sich als Sohn schnell in Richtung Wirtschaftsstudium oder Gärtner abwenden. Aber Brandon Cronenberg distanziert sich keineswegs von Papa David. Der kanadische Filmemacher denkt dessen Erbe weiter und katapultiert den Arthouse-Schrecken ins 21. Jahrhundert. „Infinity Pool“, sein neuester Film, zeigt ein Urlaubsparadies als Fegefeuer aus Sex und Tod. Alexander Skarsgard erliegt darin dem nihilistischen Charme von Mia Goth, deren physischer Auftritt alleine diesen verstörenden Film wert ist.

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#179 FM4 Film Podcast: Infinity Pool, Pear & Mia Goth

Die gebürtige Britin Mia Goth scheint eine Vorliebe für edgy Arthouse-Produktionen und wildes Genrekino zu haben. Im Remake von „Suspiria“ ist sie ebenso zu sehen wie in Claire Denis’ Weltraum-Meditation „High Life“. Mit ihren Auftritten in den Indie-Horrorschockern von Ti West wurde Goth zur exzentrischen „Scream Queen“. Anlässlich ihrer Rolle in der durchgeknallten Gesellschafts-Parabel „Infinity Pool“ sprechen Pia Reiser, Christian Fuchs und SLASH-Festival-Direktor Markus Keuschnigg über die Schauspielerin.

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