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Daiquiris & gegrillte Heuschrecken im Schatten des Untergangs

In „Blue Skies“, dem neuen, zynischen Roman des Weltautors T.C. Boyle geht die Welt buchstäblich vor die Hunde. Und wir können doch nichts dafür!

Von Boris Jordan

T.C. Boyle ist, zusammen mit John Irving, der letzte amerikanische Erfolgsautor der Hippie-Ära. Seine Spezialität: Er nimmt sich wahre Begebenheiten, historische Figuren oder brisante Themen und verpackt das alles fast beiläufig in persönliche Geschichten von verschiedensten ProtagonistInnen.

Von der Entdeckung des Niger- Oberlaufs („Water Music“) bis zur Sprache der Tiere, vom verrückten Fanatiker Harvey Kellogg mit seiner Gesundheitsdiktatur und seiner privaten Schwarzen Pädagogik („Welcome to Wellville“) bis zu Alfred Kinsey, Timothy Leary und Frank Lloyd Wright, von Trappern und Aussteigerhippies zu Hanfzüchtern in Kalifornien. Der Mann hat ein breites Spektrum.

T.C.Boyle 2019 in Berlin

APA/dpa-Zentralbild/Britta Pedersen

T.C. Boyle 2019 in Berlin

Immer sind es anekdotische Szenarien, die das Thema , meist eine allgemeine Katastrophe, in vielen kleinen, persönlichen Katastrophen spiegeln. Meist verführt er uns in kleine, so boshafte wie meisterhafte Hochschaubahnen der Gefühle, grausam erniedrigt er liebgewonnene Figuren, hinterhältig deutet er Wendungen zum Guten an, um die Leserschaft gleich darauf mit kalt erzählten Einbrüchen der Realität zu enttäuschen. Darin ist T.C. Boyle ein Meister und (seit dem unschlagbaren Superbuch „Wassermusik“, das alle gelesen haben sollten) unter den meistgelesenen Schriftstellern der Welt.

In seinem neuen Roman mit dem Titel „Blue Skies“ geht es um den Klimawandel und nichts weniger als den Weltuntergang. Portraitiert wird eine typische kalifornische Middle-class-boomer-Familie. Vater Arzt mit Praxis kurz vor dem Ruhestand, Mutter liebt die Küche und den Garten, ihren Hund und ihre Kinder. Die sind aus dem Haus, der Sohn, Cooper, ist Biologe und Schmetterlingsforscher und als solcher wissenschaftlich mit der Erderwärmung und dem Artensterben konfrontiert.

Cooper versucht verzweifelt, seine Familie davon zu überzeugen , dass sie mit ihrem Lifestyle die Welt in den Untergang treiben. Von ihm erfahren die Familie und wir alle die komplexen Zusammenhänge, die ganze Bandbreite der Untergangsszenarien, die uns seit etwa 20 Jahren täglich begleiten. Die Mama, Ottilie, ist vernünftig und sieht alles ein und stellt ihre Ernährung sogar auf Insektenprotein um.

Buchcover mit einer brennenden Palme

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„Blue Skies“ von T.C. Boyle ist in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren bei Hanser erschienen.

Die andere Hauptfigur, Coopers Schwester Catherine, interessiert der Weltuntergang gar nicht. Sie lebt mit ihrem neureichen Gatten in einer Art Dauertrinkparty in Florida, ihre letzte Idee war es, sich eine Tigerpython zuzulegen, damit ihre Karriere als Instagram-Influencerin in die Gänge kommt. Ihre leicht gelangweilte Dekadenz inklusive Alkoholprobleme, Publicitysorgen und Konsum-Phantomschmerzen stehen in krassem Gegensatz zur Dringlichkeit der Umstände, die mit der Natur zu tun haben.

Denn das ist das Tolle an „Blue Skies“: Die Schicksale und Wendungen der Familie spiegeln sich in einer Natur, die sich in die kleinen Probleme der Familie einschreibt und - ganz nach Boyles Geschmack - kleine Fehlleistungen und Zufälle zu brutalen Krisen aufbläst. Tropenstürme, Antibiotikaresistenz, Dürre, Überschwemmungen, Ernteausfälle, Artensterben, invasive Tierarten: All das läuft so im Hintergrund mit, neben der Geschichte einer eigentlich sympathischen Familie, die eh alles tun will, nichts dafür kann und auch in Zukunft gerne vernünftig sein will. Aber die Welt ist verrückt, das Schicksal ist grausam, es ist schon alles zu spät.

Dass wir uns zwischen all den gesellschaftlichen und privaten Ungeheuerlichkeiten immer wieder mit seitenlangen Kochrezepten, Beziehungsproblemen, Alkoholexzessen und privaten Eitelkeiten aufhalten müssen, ist zugleich eine Stärke und eine Schwäche des Buchs. Denn selbstverständlich sind Geld-Verdienen, Rum-Saufen und Kinder-Kriegen auch angesichts der drohenden Apokalypse immer noch die wichtigeren Dinge im Leben der Menschen. Sie können nicht nicht weitermachen, selbst wenn sie wissen, dass sie auf diese Weise dem Untergang geweiht sind.

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