Es ist ganz schön hier ich lad dich ein
Von Lisa Schneider
„Genau wie jetzt, nur ein bisschen anders wird es sein“, haben Tocotronic einmal gesungen. Bei ihren in Österreich vielleicht größten Fans, der Wahlwienergruppe Bipolar Feminin, wird das umgemodelt in: „Es ist wie es ist wie es bleibt“ (keine Beistriche!). Wird jeder Artikel über diese großartige Band jetzt also mit einer Tocotronic-Anekdote beginnen? Vielleicht. Es sollen schon auch schlechtere Dinge passiert sein.
Irgendwie läuft nämlich alles in Hamburg zusammen. Zumindest aber vieles, was im großen Sammelbecken Messer, Schärfe und messerscharfe Worte schwimmt, in einem Musikkosmos, dem man viele "Post-"s vorangestellt hat, der immer etwas mit Gitarren und meistens auch ein bisschen mit Punk zu tun hat. In Hamburg sitzt seit 1987 und dank der Goldenen Zitronen ein Label, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, aus der vor allem aktuellen Flut der wütenden, lauten, aber gleichzeitig wohlweislich in den richtigen Momenten sanften Bands die besten auszusuchen und sie unter Vertrag zu nehmen. Bipolar sind genau das: Sie sind sanft und wütend und ab und zu, „sie bemühen sich“, gibt’s auch ein bissl Sanftheit und Schmäh. Ohne letzteren kommt man in Österreich und vor allem, wenn man auf Deutsch textet, nicht weit und Menschen, die hierzulande mit Worten jonglieren, wissen das. Eine von ihnen ist Leni Ulrich von Bipolar Feminin.

Adriana Zohner
„Ein fragiles System“ heißt das erste Album von Bipolar Feminin, es erscheint via Buback Tonträger.
Bipolar Feminin LIVE
20.5. Stream Festival Linz
24.5. Klagenfurt Festival
3.6. OKH Vöcklabruck
6.6. Fluc Wien
„Ein fragiles System“ heißt das erste Album, natürlich heißt es so. Das ist die Band, die im Wiener Untergrund seit Monaten und Jahren als Patriarchatsanzünder*innen und überhaupt Systemkritiker*innen auf der Bühne steht. Die erste EP „Piccolo Family“ ist letztes Jahr erschienen, darauf zu finden schöne Titel wie „Kalaschnikow“, „suess lächelnd“, vor allem aber die tatsächliche Body-Positivity-Hymne „Fett“, die so nur hier entstehen konnte. Da unterscheiden sich Bipolar Feminin nämlich von den höflichen Kollegen Lowtzow & Co, weil diese, ihre ist die Jelinek-Version der Hamburger Schule. Durchs Leben wird „gegrundelt“, das Akkordeon im Bus 13A „küsst einem den Arsch“, der Pegel ist „konstant“ und das Motto lautet „jetzt kannst du auf alles scheißen“.
Dabei ist das Album inhaltlich wie musikalisch fast ein bisschen sanfter geworden als die vorangegangene EP („Wir wollten immer so gern Punk sein, aber so richtig samas hoid a ned“). Vielleicht, weil Leni nicht immer so wütend und frustriert war wie in den Jahren zuvor, sagt sie. Vielleicht aber, fügt sie hinzu, weil das Musikmachen und das Texteschreiben ihr gezeigt haben, anders über Dinge zu nachzudenken. Aber keine Sorge, Eskapismus findet in der Musik von Bipolar Feminin weiterhin wenn, dann nur live statt. Das gemeinsame Schreien und Springen und Singen und „sich ansaufen, wenn die Leut’ das woll’n!“ ist das ungebrochen gültige, bandseitige Angebot zur Verschwesterlichung.
Ins Regal stellt man diese erste Langspielplatte von Bipolar Feminin also am besten zwischen die von CULK und Fontaines D.C. Links der kluge Postpunk, rechts der wütende. Und um das, wenn auch ungeplant, fast ein bisschen zu konterkarieren, sitzen Leni und Max Ulrich (ja, Geschwister) im FM4-Studio und sind die meiste Zeit am Lachen. Über einander, miteinander, so, wie man’s bei Geschwisterverbindungen kennt, nie sind die Grausamkeiten grausamer und die Liebhaberei liebevoller. Manchmal hat’s ja doch noch als Band funktioniert. Und manchmal, nämlich in genau so einem laut zerlachten Moment wird umso mehr klar: Es ist schon auch eine große Kunst, als Band ein ganz bestimmtes Bild von sich nach außen zu tragen. Kritisch, ernst, streng und g’scheit.

FM4 / Lisa Schneider
Schlechtes Foto, Spitzenband: Max und Leni Ulrich von Bipolar Feminin im FM4-Studio.
Überhaupt ist die Gruppe Bipolar Feminin sehr eng vertraut, gemeinsam mit den beiden anderen Mitgliedern Jakob Brejcha und Samuel Reisenbichler sind Leni und Max in Ebensee groß geworden. Auch das wird erst im Lauf des Interviews offenbar, die tragen ja denselben Merch, einmal T-Shirt, einmal Hoodie, beides mit dem weißen „Kino Ebensee“-Logo auf der Brust. Dass das jetzt wirklich Zufall war, muss ihnen geglaubt werden, vor allem, als sie erklären: „Wir haben dort alle gearbeitet und deshalb total viel Gewand von denen daheim. Es ist halt auch ur bequem“. Nachsatz: „Wahrscheinlich sind das eh die, die wir selber bedruckt haben.“
Die Kulturvereine am österreichischen Land, wie das Kino Ebensee einer ist, haben Bipolar Feminin in den letzten Monaten genauer, weil auf Tour, kennengelernt. Es hat ihnen gefallen. „Wir wissen, wie’s ist, am Land, im Dorf, wenn man froh ist, wenn sich überhaupt was tut.“ Oh ja, wir wissen es. Die Eltern finden die Musik super, die alten Freund*innen auch, und sowieso immer mehr Menschen. Dass sich jetzt auch mit dem Release des ersten Albums, der erwähnten Unterzeichnung bei einem schon sehr guten und in Kreisen auch reichweitenstarken Label das Leben ein bisschen verändert, ist klar.
Leni hat gern die Kontrolle und hat gelernt, dass das Livespielen bzw. das Auf-Tour-Sein genau die gern untergräbt. Max sagt wunderbare Sätze wie diese: „Natürlich ist es eine emotionale Herausforderung, wir hatten ja keine Ambitionen als Band, wir haben aus Spaß begonnen, Musik zu machen. Als das dann angefangen hat mit den vielen Konzerten, haben wir gemerkt: Das ist auch einfach alles Beziehungsarbeit, die geleistet werden muss, zwischen uns. Weil man in so engem emotionalen Austausch steht, weil man alles teilt, weil man das (die Musik), ja so nur gemeinsam machen kann. Es ist sehr cool, dass das alles nur im gemeinsamen Arbeiten entsteht, es ist eine schöne, aber trotzdem eine Herausforderung.“
Eine Herausforderung ist’s auch deshalb, weil die Musik von Bipolar Feminin als solche im besten Fall gehört und verstanden wird. Es muss hier um den neoliberalistischen Leistungszwang gehen (und dann am besten mit Fingerzeig auf die Absurdität des Ganzen: „Es geht dir erst richtig gut / wenn es dir richtig schlecht geht" heißt’s im Song „Tüchtig“), um Konsumgeilheit („Attraktive Produkte“) um gar nicht unbedingt Man- aber überhaupt -Splaining („Sie reden so laut“). Das „fragile System“ bezieht sich aber vor allem auch auf den inneren Kreis, auf Beziehungen, Freundschaften und Familie (arg und arg gut: „Mami“). Bipolar Feminin schreiben Kunst als Konfrontation und damit als Auseinandersetzung damit, was rund um sie passiert. „Mit den Dingen halt - dem Leben!“ Da lachen sie wieder, die beiden. Gute Menschen mit gutem Schmäh, die klare, große Lieder schreiben. Wie soll es ihnen in Zukunft schlecht gehen.
„Fick dich ins Knie, Elbphilharmonie“ ist der schönste Reim am ersten Album von Bipolar Feminin. Leni nickt zustimmend, „Karrierehöhepunkt“. Es ist eine Zeile im Lied „Herr Arne“, den Bipolar Feminin Arne Zank von Tocotronic gewidmet haben. Mit ihm verbindet sie eine „geahnte Sympathie“. Sie hätten gar nichts gegen einen gemeinsamen Spaziergang durch Hamburg, da könnten sie „Matrosen“ besingen und Krawall stiften. „Heiteren Krawall!“, ruft Leni, und das ist vielleicht die beste, auch, weil unbeabsichtigte Eigenbeschreibung ihrer Band.
Publiziert am 18.05.2023