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Promofoto Mavi Phoenix

Angelo Kaiser

Vom Erwachsenwerden des Mavi Phoenix

Seit drei Jahren lässt Mavi Phoenix die Öffentlichkeit an seiner Transition teilhaben. Seine Musik fungiert dabei fast wie ein akustisches Tagebuch. „the biggest asshole in the room“ ist nicht nur Eingeständnis und Selbstreflexion, sondern auch Ende und Anfang einer neuen Ära.

Von Alica Ouschan

biggest asshole in the room cover

LLT records

biggest asshole in the room ist bei LLT records erschienen.

„Is the biggest asshole in the room with us right now?“, ist die erste Frage, die Mavi Phoenix im FM4 Interview gestellt bekommt. „I don’t know, you tell me!“, lacht er. „Das ganze Album ist für mich ein Versuch, ehrlich mit sich selbst zu sein und sich einzugestehen, dass man auch mal das Arschloch ist.“

Unerwartet harte Worte, überraschend kommen sie jedoch nicht. Schließlich gewährt uns Mavi Phoenix schon seit Jahren Einblicke in seine persönlichsten Gedanken, kommuniziert diese mit jedem Album noch klarer, noch authentischer, immer real und radikal ehrlich. Diese musikalische Dokumentation der letzten Jahre scheint mit „biggest asshole in the room“ einen runden Abschluss gefunden zu haben.

Es ist ein schmaler Grad zwischen dem Wunsch, einfach nur als Künstler ernstgenommen werden zu wollen und gleichzeitig dem Drang nachzukommen, durch Musik seine eigenen Gedanken zu ordnen. „Ich will nicht einfach nur der ‚trans Guy‘ aus Wien sein, in erster Linie bin ich Musiker“, sagt Mavi Phoenix vergangenes Jahr zum Release seines zweiten Albums Marlon.

„Wenn man mittendrin steckt, ist es schwierig das zu verstehen - jetzt liegen doch schon ein paar Jahre dazwischen und ich weiß mittlerweile, dass es gar nicht so viel bringt sich auf die Frage zu versteifen: ‚Wer bin ich?‘“, sagt Marlon heute. Seit dem 2020 erschienenen Boys Toys Album ist die Reflektion über die eigene Männlichkeit, die Frage, was für eine Art Mann er sein möchte, ein omnipräsentes Thema.

Ein narzisstisches Arschloch?

„Du bist wer du bist, das ergibt sich dann von selbst“, oder anders formuliert: nicht dein Denken, sondern dein Handeln bestimmt wer du bist. Das ist die große Erkenntnis, das erwachsene Eingeständnis, dass selbst ein super-reflektierter, feministischer trans Guy nicht vor der eigenen Toxicity gefeit ist.

„Auch ich bin nicht vor Toxicity gefeit.“

Nach dem selbst ernannten „Fleckerlteppich“, der sich aus den Songs auf „Boys Toys“ ergeben hat, die sich irgendwo zwischen Befreiungsdrang und angry teenage rage zusammengeknüpft haben, kam mit „Marlon“ die Phase, des zurückgezogenen jungen Mannes, der versucht, seinen Platz in der Welt zu finden und mit sich selbst ins Reine zu kommen: „Auf ‚Boys Toys‘ hört man den Drang und diesen Hunger auf alles, es ist sehr getrieben. ‚Marlon‘ hat viele ruhige Momente und ist eher in sich gekehrt, es ist dieses vorsichtige herantasten an die Stimme.“

Jetzt, wo die schwierige Phase der zweiten Pubertät, die Marlon ja nicht nur metaphorisch sondern wahrhaftig durchlebt hat, gemeistert ist, hat er Zeit sich mit anderen Dingen zu beschäftigen: „One thing at a time“, sozusagen. Und das betrifft nicht nur die Frage, ob er hin und wieder auch mal das narzisstische Arschloch in sich rauslassen darf oder will, sondern auch die Musik.

Für „biggest asshole in the room“ hat sich Marlon nämlich wieder auf seine musikalischen Wurzeln berufen und - wie immer mit Unterstützung des kreativen Kopfes von Alex „The Flipper“ Staudinger - die Produktionsregie übernommen. „So hab ich angefangen, Musik zu machen,“ kein Wunder also, dass einigen Tracks die selbe jugendliche Rawness innewohnt, wie den EPs „Young Prophet“ 1+2. Die Indie-Schlagseite des letzten Albums ist zwar nicht vollkommen verklungen, aber Fans der Prophet-Ära dürfen durchaus Luftsprünge machen.

Keiner kann rappen wie Mavi Phoenix

„Wer kann schon so rappen wie ich?“, war die Frage, die sich Mavi Phoenix nach seinem Indie-Album gestellt hat. Auf „biggest asshole in the room“ flext er also wieder mit seinen Rapskills. Und das nicht, um das narzisstische Arschloch zu embracen, sondern: „Es fühlt sich einfach so geil an in dieser Stimme zu rappen und Sachen zu erzählen.“

Mavi Phoenix’ Beziehung zu seiner Stimme war nicht immer schön. Für einen Musiker, dessen eigene Stimme sein Hauptinstrument ist, natürlich umso schwerer. Nicht nur deshalb, sei ihm diese neu gewonnene Gender Euphoria mehr als gegönnt, sondern auch, weil er sich dadurch wieder traut, einhundert Prozent wie er selbst zu klingen.

Nicht, dass Mavi Phoenix nicht immer nach Mavi Phoenix geklungen hätte. Es fühlt sich aber so an, als wäre er nach langem Ausprobieren musikalisch angekommen. Und zwar in der Ecke, in der er begonnen hat. Zwar ist „biggest asshole in the room“ mehr low-key als die frühen EPs, trotzdem hätten einige Songs auch easy aus dieser Zeit stammen können.

Die Einflüsse von Mavi Phoenix’ großen musikalischen Vorbildern von Mac Miller über Childish Gambino und Tyler, The Creator bis hin zu Doja Cat und den Jonas Brothers sind deutlich zu hören, trotzdem fährt er immer noch sein ganz eigenes Ding.

Inspirierend selbstironisch

Nicht zu unterschätzen ist dahingehend sein selbstironischer Zugang, den er selbst in den ernstesten Phasen nie abgelegt hat. Von spanischen Hooklines, obwohl man die zehnte Klasse wegen Spanisch wiederholen musste, über Lines wie „I’m just a little blonde bitch but I got a big cock“ hin zu weiteren ikonischen Lines auf dem neuen Album, wie zum Beispiel dieser hier, aus dem Song „cute“: „Clean Motherfucker with some stories to tell. It’s so inspiring the way that I am“ und „Everything is newer, I’m the born doer. I make everything right, ask an interviewer“ aus „bird’s eye“.

„Ich bekomme in Interviews das Gefühl vermittelt, dass ich einer der ersten bin. Das ist schon Icon-Status.“

Es ist eine Anspielung auf sein Vermächtnis, der erste trans Mann aus der Österreichischen Musikszene zu sein, der sich entschlossen hat, sein Coming-Out, seine Transition und Gefühlswelt auf diese Art mit der Öffentlichkeit zu teilen. „Ich bekomme das in Interviews auch vermittelt, dass ich einer der ersten bin, der das so gemacht hat. Das ist schon Icon-Status.“

Wie wholesome ist es bitte, dass Mavi Phoenix sich selbst genau so sehen kann, wie seine Fans es tun? Das kann man ruhig einfach mal so stehen lassen. Womit er vor einem Jahr noch zu kämpfen hatte, ist jetzt etwas, auf das er stolz ist: „Es gibt genauso Leute, die mir den Weg geebnet haben. We’re all in this together. Es ist ein Geben und Nehmen und ich bin froh, wenn ich was geben konnte.“ Den Mut zu sich selbst zu stehen, das hat er mit Sicherheit so einigen trans Kids und Musiker*innen vermitteln können. Und das kann ihm keiner nehmen.

Marlon hat in dem ganzen Chaos geschafft, zu sich selbst zu finden. Und nicht nur das, sondern sich selbst zu akzeptieren und zu feiern genau so wie er ist - unabhängig von dem, was andere davon halten. Es ist das Ende und gleichzeitig der Anfang einer neuen Ära. Marlon hätte seinen Künstlernamen nicht treffender wählen können. Mavi ist nun einmal mehr der Phoenix aus der Asche.

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