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Unsere Arbeit macht uns müde und kaputt

Die deutsche Journalistin Sara Weber fordert in ihrem Buch „Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten?“ einen Neustart für unsere Arbeitswelt. Wir haben mit ihr über Hustle-Culture, zerplatzte Aufstiegsversprechen und die Bedeutung von Gewerkschaften gesprochen.

Von Melissa Erhardt

„Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten?“: Der vielleicht beste Buchtitel des Jahres kommt heuer von der deutschen Autorin Sara Weber. Sie hat ein Buch über unsre Arbeitswelt geschrieben – und die schaut überhaupt nicht rosig aus: Wir arbeiten viel zu viel, brennen buchstäblich aus und sind auch noch stolz darauf. Ein Burnout ist fast schon sowas wie ein Ehrenorden, schreibt Weber, den man verliehen bekommt, wenn man hart genug arbeitet:

„Du bist ausgebrannt? Dann hast du alles richtig gemacht, herzlichen Glückwunsch!“

Dass uns das überhaupt nicht weiterbringt – vor allem im Hinblick auf Klimakrise & Co., macht Sara Weber in ihrem Buch deutlich. Darin schildert sie nicht nur, was in unserer Arbeitswelt alles falsch läuft, sie zeigt auch mögliche Lösungen auf: Arbeitsentlastung und Arbeitszeitverkürzung zum Beispiel, etwa durch eine 4-Tages-Woche und der Unterstützung durch neue Technologien. Aber auch mehr Freiheit, wenn es darum geht, wo und wie wir arbeiten, echte Flexibilität also. „Hustle-Kultur wird uns nicht retten“, schreibt Weber, und genau darüber spricht sie auch am 4GameChangers Festival in Wien. Wir haben sie dort zum Interview getroffen.

Radio FM4: Sarah Weber, unsere Arbeitswelt ist kaputt und wir arbeiten uns in ihr kaputt. Wie ist es so weit gekommen?

Sara Weber: Ich glaube, da sind ganz viele Faktoren zusammengekommen, die wir durch die Pandemie so richtig gemerkt haben: Dass sich Arbeit immer weiter verdichtet hat. In einem Job kommen heute ganz viele Aufgabenfelder zusammen, die früher verschiedene Berufe waren. Dass eine Entgrenzung stattgefunden hat. Früher gab es eine relativ klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, die ist total aufgeweicht, auch durch Technologie. Und auch dass die Sorgearbeit nicht so gut geregelt ist und Frauen immer noch einen Großteil davon übernehmen, zusätzlich zur Erwerbsarbeit. Das alles hat sich aufeinandergehäuft und sorgt dafür, dass wir jetzt irgendwie alle müde und erschöpft sind und uns fragen: Geht das jetzt für immer so weiter?

Radio FM4: Der Titel deines Buches sagt es ja eh schon: Wir kämpfen gerade mit multiplen Krisen, der Klimakrise, dem Krieg, der ausgebrochen ist, der Pandemie, die noch immer nachwirkt. Was hat das jetzt aber mit der Arbeitskrise zu tun?

Sara Weber: Naja, wir gehen ja als Menschen in die Arbeit. Nur weil wir ein Büro, eine Fabrik oder ein Krankenhaus betreten, in dem wir arbeiten, lassen wir ja nicht den Rest der Welt hinter uns. All das begleitet uns natürlich. Diese Belastung von all diesen Krisen, diese Ratlosigkeit, dieser Wunsch nach Veränderung, die Angst und Erschöpfung, die damit einhergeht - das nehmen wir alles mit. Dadurch haben wir in der Arbeitswelt gemerkt: Ganz viele Sachen funktionieren nicht mehr gut - und vor allem: Sollte ich mich nicht eigentlich auf was anderes konzentrieren? Sollte ich meine Zeit nicht eigentlich darauf aufwenden zu schauen, was ich zum Beispiel für die Klimakrise machen kann? Diese Zeit ist aber oft nicht da, weil wir immer arbeiten.

Sara Weber ist Deutsch-Amerikanerin und lebt in München. Nach ihrer Zeit als freie Autorin für u.a. Zeit, Süddeutsche Zeitung und Spiegel war sie fünf Jahre bei LinkedIn. Heute arbeitet sie als Medienberaterin, Digitalstrategin und freie Journalistin. Über Digitalisierung, Diversität und die neue Arbeitswelt spricht Sara Weber regelmäßig in Interviews sowie als Moderatorin und Speakerin.

Ich fand einen Satz in deinem Buch besonders bezeichnend, und zwar: „Der Traum vom Aufstieg durch Arbeit ist sowieso dahin. Warum sich also für den Job aufopfern?“. Was für ein Gedanke steckt da dahinter?

Sara Weber: Früher gab es dieses Aufstiegsversprechen, das zwar noch nie für alle gegolten hat, aber generell war es so: Wenn du arbeitest und dich anstrengst, dann kannst du dir ein Haus leisten, deine zwei Verbrenner-Autos davorstellen, einmal im Jahr auf Urlaub fahren und hast eine sichere Rente. Jetzt sind die Immobilienpreise hoch, die zwei Verbrenner-Autos sind auch nicht mehr so attraktiv, ob wir eine sichere Rente geschweige denn Zukunft haben ist durch die Klimakrise auch total in Frage gestellt. Wir wissen ja gar nicht, ob die Welt in Zukunft überhaupt noch so ist. Und damit stellt sich natürlich auch die Frage neu: Wofür soll ich mich aufarbeiten? Warum soll ich mich so sehr anstrengen, wenn all diese Versprechen wahrscheinlich gar nicht mehr gelten?

Ein eigenartiges Phänomen unserer Zeit ist diese Hustle Culture, die du auch im Buch ansprichst. Wir feiern uns dafür, dass wir ausbrennen und tragen den Burnout quasi als Ehrenorden, schreibst du da etwa. Warum tun wir das?

Sara Weber: Das hängt damit zusammen, dass wir uns mit anderen Leuten vergleichen, diese Start-Up-Gründer*innen, die sich hocharbeiten, oft aber auch aus gutem Hause kommen und deswegen sozusagen schon eine Grundlage haben, um sich hochzuarbeiten. Aber die arbeiten halt ganz viel. Wenn du innovativ sein willst, wenn du dir etwas leisten willst, dann geht das nicht unter 60 Stunden pro Woche. Das stimmt aber nicht. Wir wissen, dass Menschen, die besonders lange arbeiten, eher krank werden, psychische Erkrankungen ansteigen, Erschöpfung ansteigt. Es wird aber wie so ein Wunsch vor sich hergetragen: Wenn du wirklich was erreichen willst, dann musst du morgens um fünf aufstehen, erst mal Yoga machen und dann so richtig ran ackern. Das haben wir uns auch ein bisschen aus dem amerikanischen Raum abgeschaut. Und davon müssen wir wieder wegkommen, weil es einfach nicht gesund ist.

Du schreibst in einem Buch von der jungen Wissenschaftlerin über den Lieferdienst-Fahrer bis hin zur Pflegekraft und der Wissensarbeiter*in. Irgendwie kriselt es überall und man bekommt so den Eindruck, es ist das System, das einfach falsch läuft. Wie schafft man es da, nicht zu resignieren, nicht aufzugeben und zu sagen: Es hat eh alles keinen Sinn?

Sara Weber: Das kann man natürlich machen und ich kann es auch nachvollziehen, wenn man das macht. Aber das verändert ja nichts. Das Schöne ist ja, dass die Art, wie wir heute arbeiten, nicht einfach so vom Himmel gefallen ist, sondern die ist ja entstanden. Und das heißt auch, dass wir sie ändern können. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir uns überlegen: Wie kann es anders gehen, wie kann ich einen kleinen Beitrag dazu leisten und schauen, dass es funktioniert - auch für andere Menschen in anderen Berufen? Ein Beispiel dafür ist die Organisation, dass man sich in Gewerkschaften zusammenschließt, in Betriebsräten und sagt: Wir wollen Veränderung, wir wollen, dass sich Dinge wandeln und wir tragen gemeinsam dazu bei.

In der 4GameChangers Diskussion sind ganz oft die Buzz-Words, „Passion“ und „Purpose“ gefallen. Wenn wir unseren Job leidenschaftlich ausführen und das Gefühl haben, da gibt es einen „Purpose“, also einen Sinn dahinter - reicht das?

Sara Weber: Nein. Und das sage ich ganz hart, weil das oft ein bisschen vorgeschoben wird, gerade von Unternehmen, die sagen: Komm zu uns, da kannst du wirklich was bewegen. Und dann stimmen die Arbeitsbedingungen nicht. Ein ganz gutes Beispiel dafür ist die Pflege: Ein wahnsinnig sinnbehafteter Beruf! Wir können glaube ich alle unterschreiben, dass Menschen, die in der Pflege arbeiten, mit wahnsinnig viel Sinn und oft auch mit viel Leidenschaft dabei sind. Sonst macht man den Beruf ja gar nicht. Gleichzeitig sind in diesen Berufen die Arbeitsbedingungen oft schlecht, die Bezahlung ist schlecht. Dass die Leute mit Leidenschaft dabei sind und der Job ihnen wichtig ist, wird dann ein bisschen ausgenutzt. Die Arbeitsbedingungen müssen aber trotzdem gut sein, das kann man nicht auseinanderdividieren. Dass das oft passiert, stört mich, weil ich es für eine Falle halte.

Buch: "Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?"

Kiepenheuer & Witsch Verlag

„Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ von Sara Weber ist im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen.

Du zeigst in deinem Buch Lösungswege auf, Stichwort Arbeitszeitverkürzung, Arbeitsentlastung, Organisierung durch Gewerkschaften und flexibles Arbeiten. Welcher Punkt muss deiner Meinung nach am dringendsten angegangen werden?

Sara Weber: Entwicklungen finden parallel statt, ich glaube auch nicht, dass man die so hintereinander abarbeiten kann. Aber ich finde es gut, dass wir über ganz viele dieser Themen diskutieren, oft hängen die auch zusammen. Zum Beispiel wird Sorgearbeit, unbezahlte Arbeit, immer noch größtenteils von Frauen verrichtet. Das gerechter aufzuteilen ist wahnsinnig wichtig, es gibt auch verschiedene Möglichkeiten, wo man ansetzen kann. Zum Beispiel, dass man das über Elterngeld und Elternzeitregelungen gleichberechtigter gestaltet, aber eben auch, dass man Betriebs-Kitas ausbaut und den Beruf von Erzieherinnen generell stärkt. Da kommen ganz viele Dinge zusammen, die einen großen Einfluss haben, deswegen will ich das auch gar nicht so in Silos betrachten. Wenn wir überall auch nur ein bisschen ansetzen, können wir schon ganz viel zum Positiven verändern.

Du selbst hast deinen Job als Redaktionsleiterin bei LinkedIn gekündigt, warst damit Teil der „Great Resignation“, der großen Kündigungswelle. Wie war das für dich, was hat sich seither geändert?

Sara Weber: Bei mir war das ungefähr ein Jahr nach Pandemiebeginn, im Frühjahr, Sommer 2021. Das hat verschiedene Gründe gehabt. Auch ich war ausgebrannt wie viele andere, die Berichterstattung in den Nachrichten war sehr anstrengend zu dieser Zeit - ist sie auch immer noch. Ich hatte das Gefühl, ich kann nicht mehr so für mein Team da sein, wie ich es eigentlich möchte und habe aber gemerkt: Drei Monate Sabbatical zu machen reicht nicht aus, es braucht eine größere Veränderung. Was ganz wichtig ist: Ich war auch in der Lage, das tun zu können. Das ist ein unglaubliches Privileg und für die meisten Menschen gar nicht möglich, dafür bin ich sehr dankbar.

Was sich für mich geändert hat, ist, dass ich zum Beispiel keine durchgetakteten Meeting-Tage mehr habe. Die fand ich immer sehr ermüdend, aber dachte, das muss halt so sein. Unternehmen müssen da finde ich ganz dringend ansetzen, weil es einfach nicht produktiv, nicht sinnvoll und nicht gesund ist. Ich arbeite weniger als früher, auch das ist sehr schön. Ich habe, würde ich sagen, umgerechnet eher eine Vier Tage Woche heute. Und ich kann natürlich auch selbstbestimmter arbeiten, was das ist, was wir generell in der Arbeitswelt sehen. Viele Menschen wollen einfach flexibler und selbstbestimmter arbeiten und sagen: Ich weiß, was mir gut tut und wie ich am produktivsten arbeiten kann. Ihr müsst mich nur machen lassen.

Was man ja auch können muss, Grenzen zu ziehen. Wenn man das nicht kann, dann läuft man Gefahr, nur mehr zu arbeiten.

Sara Weber: Auf jeden Fall. Das ist ja auch eine Sache, die in verschiedenen Berufen unterschiedlich ausgestaltet wird und das ist ganz wichtig. Deswegen brauchen wir auch Gewerkschaften und Betriebsräte. Letztes Jahr wurde in Deutschland in Unikliniken in Nordrheinwestfalen 79 Tage lang gestreikt. Das waren Mitarbeitende der Unikliniken, über alle Bereiche hinweg, also nicht nur Pflegekräfte, sondern auch Putzkräfte und Kinderbetreuung und so weiter. Und die haben Entlastung gefordert. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Es geht gar nicht immer nur um Geld, es geht auch um Zeit und um Personalschlüssel und um Wertschätzung. Und das sind einfach Veränderungen, die wir für alle brauchen. Es muss allen möglich sein, gut zu arbeiten und gute Entscheidungen rund um die Arbeit treffen zu können. Das sollte kein Privileg sein.

Was würdest du Personen raten, die vielleicht gerade in so einer Situation sind, dass sie sagen, sie wollen eigentlich nicht so weitermachen, aber sie wissen noch nicht ganz, was die nächsten Schritte sein können? Was hilft da vielleicht?

Sara Weber: Sich einfach mal ein bisschen überlegen, was funktioniert denn konkret nicht? Und sind das Sachen - in meinem Unternehmen, in meiner Organisation, in dem Job, den ich gerade habe - die sich ändern können? Oder muss ich quasi den Kontext wechseln, um auch diese Dinge verändern zu können? Manche Dinge kann man ändern und sich seinen Job dann auch so verändern, dass er weiter funktioniert. Aber in anderen Fällen wird es einfach nicht möglich sein. Und da haben wir gerade aber einen Arbeitsmarkt, der es in vielen Branchen möglich macht, zu gucken: Wo ist es vielleicht besser? Wo werde ich besser bezahlt und kann dafür vielleicht auch ein bisschen beruflich zurücktreten? Wo kann ich meine Zeit flexibler einteilen? Das kann man auch für sich nutzen, dass der Arbeitsmarkt gerade so ist wie er ist. Und dann wirklich sagen: Ich weiß, was ich will, ich weiß, was mir wichtig ist, und das fordere ich auch ein.

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