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Blick von der Bühne ins Publikum beim Stream Festival in Linz

Elena Starlinger

fm4 festivalradio

You oughta shake your world

Und das am besten zur Musik von Tess Parks am Stream Festival in Linz. Ebenfalls auf der FM4-Bühne am Pfarrplatz aufgetreten sind Hania Rani, Kids Return, AZE und AF90.

Von Lisa Schneider

Stream Festival ist, wenn du dich im Zug nach Linz mit dem W-Lan verbindest und dir auf der festivaleigenen Website gleich mal die Aufforderung entgegenhüpft, den „Stream“ zu öffnen. Wie viele seiner Art ist auch das Stream Festival mittlerweile eines dieser Rundum-Angebote, für die Eifrigen, die am Vortag noch nicht so lang gefeiert haben, für die, die mehr mitnehmen wollen als nur fünf Bier und ein, zwei neue Lieblingsbands. Schon um Mittag gehts los mit Führungen im Ars Electronica Center, mit besagtem, wenn gewünscht, gestreamten Warm-Up-Talk, der auf den Tag vorbereitet und dann auch bald schon mit DJ-Sets im Hof der Kunstuni Linz. Der Hauptabend findet, und das ist sehr schön so, am Pfarrplatz nahe dem Linzer Hauptplatz statt. Da steht die große Open-Air-Bühne, am Freitagabend und Samstagabend gehosted von FM4. Und alles bei freiem Eintritt.

Das Stream Festival findet von 18. bis 20. Mai, in der Linzer Innenstadt statt. 9 Festivallocations, 49 Acts und weitere 13 Programmpunkte von Talks bis Filmscreenings. Was du nicht verpassen solltest, kannst du hier nachlesen.

Das Stream Festival gibt’s in seiner Form seit 2018, geschaffen auf Initiative der Stadt Linz, gegründet mit der Idee, die Zusammenhänge zwischen Musik und deren Digitalisierung näher zu beleuchten. Was das heißen soll? Naja, 2018 gab’s natürlich schon all die schönen Musikstreaming-Plattformen, die Vernetzung, das Online-Marketing und alles an Social Media, was nicht „TikTok“ heißt, aber: wenige Dinge verändern sich so schnell wie das, was wir unter eben diesem großen Begriff „Digitalisierung“ zusammenzufassen versuchen. Und das hat sich nicht nur in den letzten fünf Jahren, das hat sich auch vorgestern schon wieder geändert. Wisst ihr noch, die Headline von vor ein paar Wochen, als sich Menschen wie Drake und The Weeknd verzweifelt auf die Unterlippe gebissen haben, weil nicht ihr, sondern ein KI-generiertes Lied, das klingt, als wär’s ihres, durchs Netz gegeistert ist? Das Stream Festival ist so aktuell wie es sich selbst denkt, und das macht es natürlich. Besagte Führung im Ars Electronica-Center etwa widmet sich mit dem Titel „AI x Music Tour“ genau diesem Thema, es geht um die Schnittstelle von technischer Perfektion und menschlicher Kreativität.

Publikum beim Stream Festival in Linz

Elena Starlinger

Dass Tess Parks ein Lied mit dem Titel „Good Morning Glory“ geschrieben hat, ist auch deshalb eine gute Geschichte, weil da tatsächlich zum Zeitpunkt ihres Auftritts auf der großen Open Air-Bühne am Linzer Pfarrplatz eine Frau im Oasis-Fanshirt vor der Bühne steht. Tess Parks, ursprünglich Kanadierin, mittlerweile in London lebend und arbeitend, hat 2013 beim Label des legendären Alan „Ich habe die Gallagher-Brüder entdeckt“ McGee unterschrieben. Ihr erstes Album war in geneigten Kreisen ein guter Erfolg, und dann war da lange nichts, zumindest nicht solo. Drei Alben hat Tess Parks in den letzten Jahren mit Anton Newcombe von The Brian Jonestown Massacre veröffentlicht, und viel mehr muss man auch gar nicht wissen. Herrlich.

Nagut, das noch: ihr aktuelles Album nennt Tess Parks „And Those Who Were Seen Dancing“, ein Nietzsche-Verweis, auch wenn der mit seinem Nihilismus ja eigentlich aktuell ziemlich out ist. Gerade in diesem Zitat geht’s ja aber doch um mehr, auch als Anspielung darauf, dass gerade im Kontext Musik und Kunst mehr da ist als the eye can see. An genau dieser Stelle darf man das nächste Mal an diesem zweiten Festivalabend darüber nachdenken, was es eigentlich ist, oder wie man ihn beschreiben soll, diesen Funken, der ja trotzdem nur dann entsteht, wenn Menschen sich gemeinsam in Räumen einschließen und kreativ sind. Tess Parks hat das blues-infused Americana-Genre nicht neu erfunden, aber genau damit hat sie seine Eigenart freigelegt. Menschen mögen Wiederholungen. Gute Lieder auch.

Tess Parks beim Stream Festival in Linz

Elena Starlinger

Diesem Wunsch nach Wiederholung kommt auch Hania Rani immer wieder nach. Es ist ein kleiner Wahnsinn, sie hier, am Stream Festival, in Linz, live zu erleben. Gerade hat die polnische Pianistin und Komponistin ihre Australien-Tour zu Ende gespielt, sie tritt sonst in den wichtigsten Konzerthäusern der Welt auf. Sie spielt Live-Sessions für KEXP genauso wie in der Hamburger Elbphilharmonie. Nach einem dem verstorbenen Schweizer Bildhauer Giacometti gewidmeten, rein instrumentalen Album hat sie vor zehn Tagen wieder eine Single veröffentlicht, die Björk wohl gern geschrieben hätte. „Hello“ ist die aktuell schönste Versöhnung von Pop und Klassik und irgendeiner anderen, unbenannten Kraft. Vielleicht ist das Genie.

Hania Rani beim Stream Festival in Linz

Elena Starlinger

Bryce Dessner folgt Hania Rani auf Instagram. Das ist der Mensch, der bei The National Gitarre bzw. auch ab und an Klavier spielt, der in Paris lebt und da nebenberuflich fürs Ballett, Orchester oder diverse Kunstausstellungen komponiert. Nicht, dass man von Followern auf die Großartigkeit bestimmter Projekte schließen sollte, könnte, müsste. Wobei?

Digitalisierung und Musik und Selbstvermarktung und wie man seine Socials nutzt. Instagram ist für kluge Köpfe ein Self-Marketing-Tool, bei AF90 steht da in der Bio: Good Drummer, Bad Person. Dabei stimmt das ja gar nicht, oder zumindest nur die erste Behauptung, und auch die werden wir erst am Ende seines Livesets verstehen. Andreas „Fö“ Födinger (seine Credits stehen im Kleingedruckten von „Maschin“, mit seiner Band Farewell Dear Ghost hat er schon einen FM4 Amadeus Award mit nachhause genommen) hat letztes Jahr seine erste Solo-Single als AF90 veröffentlicht. „Can we talk about me?“ fragt er da, und wenn man seine musikalische Vorgeschichte hierzulande kennt (und die mitunter traurige Tatsache, wie selten Drummer zu Wort kommen), ist das schon ein bisschen amüsant. Er weiß das. AF90 schreibt seine Songs frei nach dem Motto „go big or go home“ und hat sich demnach eine Liveband gegönnt, die sich andere erst nach Platin leisten („Das ist meine sehr geile Band!“). So spielt er - mit erst zwei releasten Songs - in Linz seine dritte Liveshow. Das ist schon alles ziemlich gut.

AF90 beim Stream Festival in Linz

Elena Starlinger

Nicht nur, weil sich der Pfarrplatz tatsächlich langsam füllt, und die Menschen merken, ah ja, so war das, mit der Wärme und den Open Air-Festivals. Sondern auch, weil da oben einer steht, der die ganz kleinen und einige der ganz großen Geheimnisse im Pop verstanden hat. Ein kleines wäre, dass Claps alles besser machen; dass sogar ein bisschen Broadway-Spirit sich ausgeht, weil zu viel Drama gibt’s eigentlich nicht, und dass es schon gut ist, wenn man gut ist mit popkulturellen Querverweisen (etwa die „red right hand“, „Marlon Brando“ oder einfach Eddie Murphy und eine Kokosnuss). Dass man mit den Querverweisen nicht in seiner Insta-Bio aufhört, sondern dementsprechend das ganze Publikum die Worte „bad drummer“ rufen lässt. „Hi, my name is Andy, and I’m playing the drums!“, das ist alles excitement und entertainment, und um was soll’s auf einer Bühne sonst gehen.

Insta-Bios also. Bei AZE steht da „Hotline AZE - Out now!“, fast schon ein bisschen bieder und das sind AZE ja schon mal gar nicht. „Hotline AZE“ war eins der besten österreichischen Alben im letzten Jahr, Beyza Demirkalp und Ezgi Atas sind seither auf gefühlter Dauer-Tour, zumindest ist es das, was die digitale Welt von ihnen weiß. Deutschland-Shows, Support-Shows (wie etwa vorgestern im Wiener Flex für Sharktank), und jetzt eben Festivalshows, bei denen verfeinert wird, was im Prinzip schon von Anfang an sehr gut war. AZE spielen Musik an der Schnittstelle Nachdenken und Hirnausschalten, weil sie digital natives sind und deshalb Überforderungsexpert*innen. Ihre besten Lieder sind so langsam wie Ketchup, weil wie sonst soll man verstehen: Unglücklichsein ist auch nur eine Form der Energie. Die nimmt die französische Band Kids Return in vergangenheitsverliebter Form mit auf die Bühne, sie haben ganz offenbar gern bei Beach House und noch viel lieber bei Beach Boys zugehört.

Kids Return am Stream Festival in Linz

Elena Starlinger

Am Stream Festival wird bewusst gefeiert, aber so schlimm, wie sich das liest, ist es natürlich nicht. So lautet einfach nur das liebevolle, ambitionierte Angebot und Programm der Kurator*innen und Speaker der verschiedenen Talks, die auch am Freitag und Samstag tagsüber stattfinden. Ann-Kathrin Allecotte von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die gestern beim Panel „hyper connected - Pop und Club auf Social Media“ dabei war, hat im FM4-Interview unter anderem erklärt: „TikTok beeinflusst die Musikindustrie massiv. Virale Tracks dringen als Folge auch ins Clubleben ein. Beim Betrachten der Tanzschritte und Outfits zeichnet sich ab: TikTok (#ravetok) hat viele junge Clubgeher*innen in Punkto fortgehen sozialisiert.“ All das zu beobachten gab’s dann genauso, nachts, hier, in Linz, auf den Floors von Solaris, KAPU und Stadtwerkstatt, wo die Herzen und Ohren und Online-Profile bis in die frühen Morgenstunden geklingelt haben.

Heute geht’s in der Kunstuni, im Ars Electronica Center, im Moviemento, in den Clubs, vor allem aber auch auf der FM4-Bühne am Pfarrplatz Linz weiter mit Auftritten von unter anderem Bipolar Feminin, Cari Cari oder Erobique. Urlaub in Linz! Wir haben gehört, das Wetter hält.

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