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Cari Cari am Stream Festival in Linz

Theresa Ganglberger

fm4 festivalradio

Hey Linz, habt ihr Bock auf Drinks

Lauter und plakativer ist nicht immer, aber schon auch manchmal besser: der dritte und letzte Abend am Stream Festival in Linz mit Auftritten von unter anderem Bipolar Feminin, Erobique und Cari Cari.

Von Lisa Schneider

Wie frisch ein Mensch eigentlich aussehen kann, nachdem er am OK Deck (raumschiffartige Zustände direkt über dem Club Solaris in Linz) am Vorabend die Bühne abgebrannt hat, beantwortet euch am besten FM4s Kristian Davidek. Geübte Menschen bringt so leicht nichts aus der Fassung, und eine durchgeschwitz-tanzte Clubnacht Kristian sicher nicht aus der Ruhe. Er hat neben, vielen anderen DJs, gestern die zweite Nacht am Stream Festival bespielt. Trostpflaster für die, die doch noch ein paar Gläser Orangensaft brauchen: jetzt stellt euch doch mal vor, wir müssten hier campen.

Das Stream Festival ist ein City Festival, heuer sogar noch mehr, weil es nach Gründung am Donauufer und Ausflügen etwa in den Posthof Linz mitten am Pfarrplatz gelandet ist. Der Hauptplatz liegt um die Ecke, die große Open Air Bühne steht auf dicken Pflastersteinen zwischen schönen Bürgerhäusern. Spitzenkulisse. „This is exactly what we imagined Linz, Austria to look like: a church, some old buildings“, sagt Rapper und Produzent Zouj, aber er sagt es liebevoll, und eigentlich eh nicht so unähnlich zu dem, was Tess Parks auch gestern schon angemerkt hat: „I’m so happy we got invited to play here. It’s such a beautiful place.“ It is!

Softee am Stream Festival in Linz

Theresa Ganglberger

Und zu all diesen schönen, ersten Musikabendworten und Tönen, die auch von Rapperin Sahareya kommen, mosht da tatsächlich Softee in der ersten Reihe. So sieht das gute Aufwärmen aus und auch die romantische Idee davon, dass die Acts sich am Festival im besten Fall gegenseitig unterstützen und befeuern. Softee hat gerade noch in ihrer Heimatstadt New York Albumrelease gefeiert, sie schreibt Lieder über die gute und über die blöde Liebe, die in der Playlist ganz gut nach den Liedern von Robyn laufen könnten. Der Drive ist ein anderer an diesem zweiten Festivalabend, wir steuern aufs Ende, und auf die große Party zu.

So war der Freitagabend am Stream Festival mit Tess Parks, Hania Rani, Kids Return, AZE und AF90.

Wenn wir dem Freitagabend ein gefühliges Beiwort geben wollen, wäre das „mellow“ - bei den Sets von AZE oder Tess Parks ist in der ersten Reihe noch niemand wegen Schrei- oder Tanzkrämpfen in Ohnmacht gefallen. Wenn wir dem Samstagabend aber ein Wort geben würden, dann wären es zwei: on fire. Vielleicht hat Stream Festival-Kurator Markus Reindl es sich ja tatsächlich genau so ausgedacht, wenn ja, ist die Taktik gut: am dritten, letzten Festivalnachmittag und -abend in Linz fetzt’s. Auf und vor der Bühne. Bipolar Feminin sind gekommen, um euch allen in den Arsch zu treten, manchmal sanfter, aber doch. Mit „Ein fragiles System“ hat die ursprünglich oberösterreichische, mittlerweile in Wien lebende und arbeitende Band am Freitag ihr Debütalbum veröffentlicht, das Stream ist also die Feier nach der Feier.

Schon auch wieder ein bisschen frei nach Kristian Davidek ist da oben auf der Bühne aber keine Müdigkeit zu spüren, Endorphine, Adrenalin und auch ein bisschen Eskapismus, den sich die Gruppe eigentlich eh nur live leistet. Wir haben sie nämlich gefragt, wie das so ist, in der Rockmusik, die sie ja schon schreiben: Darf man neben all den systemkritischen Gedanken auch manchmal einfach nur Draufhauen? Bands wie Bipolar Feminin könnte mal ganz schnell eine spröde Ernsthaftigkeit unterstellen, die ausschließt, dass sie das halt alles auch machen, das mit der Musik, weil es Spaß macht. Das muss Menschen gefallen, die sonst gern Fontaines D.C. hören, Die Heiterkeit oder an ruhigeren Tagen Tocotronic. Die Hamburger Schule eben, Bipolar Feminin sind nichts weniger als Vertreter*innen ihrer jüngsten Generation, dabei haben sie sich das alles gar nicht ausgesucht. Große Fans von Hansestadt und Arne Zank sind sie zwar, aber das war’s dann auch schon mit den großen Ankerpunkten. Die Zuschreibungen macht das Feuilleton, wir werden später am Abend noch einmal darauf zurückkommen. „Keine Ambitionen“ sagt Bassist Max Ulrich im FM4-Interview, so war das, ganz einfach. Einfach machen. Einfach so ein österreichisches Album des Jahres schreiben. Einfach so das wahrscheinlich beste Set am Stream Festival-Wochenende spielen. Einfach!

Bipolar am Stream Festival in Linz

Theresa Ganglberger/ Elena Starlinger

Dass das manchmal gar nicht so einfach ist, mit dem Albumschreiben und -fertigmachen, das weiß Carsten Meyer. Er hat 25 Jahre für sein zweites gebraucht, damals wie heute steht er unter der englisch-deutschen Namensverblödelung Erobique auf der Bühne. Und eigentlich muss man ihn schon aufgrund seiner Social Media-Postings gern haben:

„Hi Freundinnen und Freunde, heute kommt das erste Lied von meinem neuen Album. Am 16. Juni kommt dann das ganze Album. Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende und dass der Frühling bald kommt! Euer Carsten“

Erobique am Stream Festival in Linz

Theresa Ganglberger

Es ist immer sehr gut, wenn Menschen wissen, wo, wann und wie sie sind, und sich das mit ein bisschen Schmäh auf eigene Kosten zurecht legen. „Es tut mir leid, ich bin ein bisschen schlecht bei Stimme heute“, sagt Carsten im Interview unserer Livesendung mit Christoph Sepin, die zwei stehen hinter der großen Open Air-Bühne. Die Tour macht die Stimmbänder, aber nicht die Stimmung mürbe. „Ich hab’ in Wien alles gegeben, und dachte dann, in Graz geht’s ein bisschen softer, aber die wollten’s auch so richtig besorgt haben“, krächzt Erobique. Das sind ja schon mal die allerbesten Voraussetzungen für den heutigen Auftritt, weil wir wissen: Ein Festival ist wie eine Tour ist wie ein Rush. Die Euphorie wartet immer an der Ecke.

Und dann ist das alles viel eleganter als gedacht! Erobique spielt gemeinsam mit einem sehr guten Drummer, beide im Blau- bzw. Rotmann, Fischerhut inklusive. Dass Carsten Meyer aussieht, wie der deutsche Tourist, der mit dir auf den verspäteten Flieger wartet, ist schon auch Teil seines Charms. Die Tanzeinlagen sind Slapstick (10 von 10 liebevoll vergebene Schrulligkeitspunkte), die Musik dazu ist das näheste, was man einem Gratis-Festival-Publikum an Freejazz zumuten kann. Fast könnte man bei all dem einfach gedachten, aber nicht gemachten Spaß vergessen, dass das schon eine nicht zu unterschätzende Kunst ist, die Carsten Meyer da betreibt. Songs zuallererst auf der Bühne zu spielen und sie danach aufzunehmen, das traut sich aktuell vielleicht eine von hundert Bands. „Habt ihr euch einmal schon so verausgabt?“ fragt Carsten Meyer, die Stimme immer noch und auch nochmal charmanterweise halb im Jenseits. Er wirft Sätze frei nach Laune hinaus, da laufen dann über die Klaviertasten Zeilen wie „Linz, habt ihr Bock auf Drinks?“

Wenn das Spritzgetränk sich schließlich orange färbt, ist es Zeit für den Gassenhauer aller Gassenhauer. Manche Ohrwürmer hat man, obwohl man gar nicht wusste, das man sie hat. „Urlaub in Italien“, einmal so cool sein wie Eros Ramazotti in einer besseren Welt, amore mio, ciao ragazzi und so weiter. Stellen wir uns den Urlaub genau so vor, man muss nicht viel dafür tun, das gute Gefühl reicht. Das ist die gleichzeitig blödeste und passendste Überleitung zum Set von Cari Cari.

Cari Cari am Stream Festival in Linz

Theresa Ganglberger

„Either on tour or on holiday“ lautet die aktuelle Band-Eigenbeschreibung, weil: Wer eine gute Band hat, gibt ihr weder Genre noch Referenzpunkte, siehe oben, siehe Feuilleton. Job der Band ist die Musik und die Livemusik, und Cari Cari sind aktuell auf Dauer-Tour. Nach Konzerten zwischen den Niederlanden und der Schweiz geht’s bald in Skandinavien weiter, dazwischen noch kurzes Fast-Heimspiel in Linz. Zeit auch, und vor allem hier im Zuge des Stream Festivals, sich mit der Frage eines möglichen Green Touring auseinanderzusetzen. Alex Köck von Cari Cari ist beim Nachmittagstalk „We are so sustainable & fair“ im Hörsaal B der Kunstuni Linz dabei und erzählt von riesigen, überfüllten Parkplätzen in Mörbisch, worin die Schwierigkeit liegt, sich als Band in Fragen Klimawandel, Fair Pay und so weiter klar zu positionieren und darüber, was er selbst so mitbekommen hat in den letzten Monaten auf Tour. Etwa die Tatsache, dass es oft die Anreisenden (die Fans!) sind, die die meisten Emissionen produzieren. Da läge die Verantwortung zu Teilen bei ihnen als Band, auch von der Bühne hinunter aufzurufen, Fahrgemeinschaften zu gründen und so weiter. Andererseits sind da aber natürlich auch die Veranstalter*innen gefragt.

tanzendes Publikum am Stream Festival in Linz

Theresa Ganglberger

Soweit vorab: die Anreise nach Linz läuft sehr smooth. Aus allen möglichen Teilen Österreichs, mit dem Zug, und dann mit der Straßenbahn hinein Richtung Hauptplatz, weiter zum Pfarrplatz. Dadurch, dass hier niemand campt, fällt natürlich auch viel weniger Müll an, und nicht mal die obligatorischen, hässlichen, immer irgendwie furchtbar gebrandeten Regen-Ponchos mussten wir an diesem Wochenende tragen. Luxus.

Cari Cari sind der letzte Liveact an diesem Abend, an diesem Wochenende am Stream Festival in Linz. Es war eine sehr gute Idee, weil das eine Band ist, der selbst die routinierteste Tourstrecke die Ecken und Kanten nicht abschleift. Was ist schlimmer als eine gute Band? Eine perfekte Band. Wir sehen uns nächstes Jahr, Stream!

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