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Wurst

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mit akzent

Gegen „Liberalismus“ sind manche „aus Prinzip“

Innerhalb von zwei Monaten habe ich zwei Gespräche in zwei unterschiedlichen Ecken Europas geführt, deren Inhalt verblüffend ähnlich war. Wie Zwillinge sahen auch meine Gesprächspartner aus. Beide hatten schwere Schnurrbärte und sahen den Schnurrbart als obligatorisches Merkmal der männlichen Würde.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Friedrich aus Niederösterreich hatte einen Bart wie Franz Josef und hielt den Kaiser für den letzten großen Vertreter der Österreichischen Politik.

Valjo im kleinen balkanischen Städtchen Elena hatte einen ähnlichen Bart, aber er meinte, er schaue damit aus wie Filip Totju - ein Heiduck und Kämpfer gegen die Osmanen.

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Beide Bartträger stellen Wurst her, trocknen sie in ihren Kellern und bieten sie ihren Freunden an. Beide meinen, dass sie die besten Wurst auf dem Planeten produzieren würden. Beide trinken zur eigenhändig produzierten Wurst gerne Bier oder Wein. Alles andere sei nur Müll, den uns die Globalisierung anbietet.

Ich durfte die Wurst von Friedrich nur probieren, weil er sich erinnerte, dass Bulgarien in beiden Weltkriegen ein Verbündeter von Österreich war. Die Wurst von Valjo durfte ich essen, weil ich eine Verwandte von ihm kenne.

Beide ließen mich nicht aus den Augen und verfolgten aufmerksam meine Reaktion auf ihre Reden. Denn beide sind Befürworter der starken Hand in einer Regierung, wo jedes Mitgefühl ein Zeichen der Schwäche sei. Und die starke Hand braucht Ordnung und Anstand!

Und die Staatsgewalt müsse für Ordnung und Anstand sorgen. Deshalb bewundern beide Orban und Putin. Putin sei derjenige, der Ordnung und Anstand bringt. Er wird alle schwachen Intellektuellen beseitigen, der Rundfunk wird vom Staat kontrolliert, die Ausländer werden alle nach Hause geschickt und Homosexuelle zur Zwangsheilung befördert.

Diese Prinzipien ähneln sehr einer Doktrin, die man aus dem 20. Jahrhundert nur zu gut kennt. Doch das Wort „Faschismus“ wird von meinen Gesprächspartner im Gespräch nie verwendet. Wenn es Faschisten gibt, dann sind es die Ukrainer und die „pinken Faschisten“ aus Brüssel.

Ich frage, ob es in den kleinen Orten, in denen sie leben, große Gruppen von kriminellen Ausländern oder aggressiven Homosexuellen gäbe, die sie ständig bedrohen würden. Sie können mir kein konkretes Beispiel nennen, gegen den „Liberalismus“ sind sie „aus Prinzip“.

Liebe Hörerinnen und Hörer, ich wusste nicht wie ich auf beide Gespräche reagieren sollte. Ich bin ein Ausländer und mein Bart ist gar nicht so schön.

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