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The 1975 @Stadthalle Wien

Patrick Münnich

Shake it off

The 1975 haben im Rahmen ihrer „At Their Very Best“-Tour in der Wiener Stadthalle gespielt. Eine gute Band ist eine gute Band, wenn sie zum guten Auftritt nicht jede Menge Brimborium braucht.

Von Lisa Schneider

Taylor Swift war nicht da. Die Antwort ist so berechtigt wie die Frage danach, weil wieso sollte es Matty Healy von The 1975 anders gehen als allen prominenten Frauen dieser Welt. Judged by mit wem du gerade ausgehst oder vielleicht in public Händchen hältst, mit wessen Dad du in der Öffentlichkeit gesehen wurdest oder wem du sogar dreimal nach Nashville zum Konzert nachgereist bist. Angenommen, Matty Healy wäre nicht Matty Healy, sondern tatsächlich seine eigene weibliche Ausgabe - wir hätten zwischen diesen Schlagzeilen schon Wörter wie „Karriere-Boost“ gelesen. Die Band The 1975 kann sich qua Größenordnung angesichts der Aufmerksamkeit der Swifties alle zehn Finger abschlecken.

Sie war also nicht da, und ein paar andere Dinge gestern Abend, in der Wiener Stadthalle, auch nicht. The 1975 betouren seit November 2022 ihr kürzestes, aktuelles, sehr gutes, fünftes Album „Being Funny In A Foreign Language“. Menschen, die der Band auf ihren Socials folgen, aber auch die, dies nicht tun, dürften mittlerweile ein ungefähres Bild dieser Bühnenshow bekommen haben, die da von den USA nach Japan und von Neuseeland nach Australien geschleppt worden ist. Das „At Their Very Best“-Konzept basiert auf der lockeren Idee, die Bühne in ein Theater zu verwandeln, eine Szene in der Szene. Auf besagter, ambitionierter Tour spielt die Band auf mehreren Ebenen in einer Art Wohnzimmer, in das man, vor der Bühne stehend, Einblick bekommt. Eine britische Tageszeitung hat in der damaligen Kick-off-Review irgendwas mit „Samuel Beckett“ getitelt, das ist natürlich ein bisschen ein Blödsinn. Aber wir wollten ihn auch, den Beckett-Blödsinn.

The 1975 @Stadthalle Wien

Patrick Münnich

Die Bühne war also zwar nicht leer, aber nicht so voll wie erwartet. Die Band und die Backing-Band inklusive Live-Saxophonist waren natürlich da, genauso wie ein kleiner Feigenbaum und ein silberfarbenes Servierwagerl, auf dem Matty Healy seine Rotweinflasche zumindest ab und zu abgestellt hat. Es war ihm offenbar selbst ein bisschen unangenehm, weil er dann gleich zu Beginn ein Geheimnis bekanntgegeben hat.

Seit einigen Tagen flackern wieder mal über die Socials von The 1975 unter dem Titel „Still... At Their Very Best“ halb-mysteriöse Teaser mit der dazugehörigen Aufforderung zu „subscriben“. Habe „subscribed“, nichts ist passiert. Folgendes wird passieren: The 1975 werden in den kommenden Stunden oder Tagen neue Tourdaten veröffentlichen, um diese ganze arge Show inklusive Wohnzimmer und dem Nicht-Beckett und der ganzen schönen Kapitalismus-, Maskulinitäts- und Gesellschaftskritik, die Matty Healy ja eigentlich damit anbringen will, auch hier in Europa zu zeigen. „We needed to make money to do that.“ Daran soll’s nicht scheitern, die aktuelle Tour läuft sehr gut.

The 1975 @Stadthalle Wien

Patrick Münnich

Eine junge Frau im Publikum fasst den gestrigen Abend sehr schön zusammen: „Sie haben viel Mainstream-Shit nicht gespielt, also wenn du Fan bist, dann war das einfach ein fantastisches Konzert. Wenn du nicht Fan bist, dann war das wahrscheinlich einfach nur verwirrend.“ Suchen wir uns mal den Platz dazwischen aus, die Analyse ergibt dann, dass The 1975 gestern so etwas wie ein Festivalset gespielt haben. Etwas kürzer als normal, aber doch fast zwei Stunden lang.

„Robbers“, „Sex“ oder „Me“ für die Menschen, die dieser Band seit über zehn Jahren die Treue halten und sich sogar noch an die Titel der ersten EPs erinnern. „Love It If We Made It“, „It’s Not Living“ oder „I Always Wanna Die (Sometimes)“ für die, die erst seit fünf Jahren dabei sind. Die, die wegen des neuen Albums da sind, gehen ein bisschen leer(er) aus. Dabei ist das ja sehr gut geworden, die Band hat dafür teilweise struktur-, vor allem aber genrelose Songs geschrieben, weil so oder so ähnlich lautet das mission statement von The 1975: Jedes Lied entsteht und kommt erst dann in die Schublade. Jobverständnis.

The 1975 @Stadthalle Wien

Patrick Münnich

Wie bei vielen guten Auftritten ist es fast das Beste, die Menschen in der ersten Reihe zu beobachten, was aufgrund immer wieder auf den Screens eingeblendeter Gesichter voyeuristisch schön möglich war. So sieht losing your shit aus. Viele verliebte Menschen springen auf und nieder und kreischen um ihr Leben oder um die Chance, mit Matty Healy das T-Shirt zu tauschen. Er soll ein Fan-Tattoo designen. Er soll vor allem nicht traurig sein: „You are loved!“ steht da auf ausgedruckten Zetteln, mehrmals sogar, und das findet er zwar schätzenswert, sagt aber dazu, er hat eh seine Band, „I’m good“.

The 1975 @Stadthalle Wien

Patrick Münnich

Der Preis für das beste Schild des gestrigen Abends und der Welt geht aber an eine junge Frau, die Matty Healy schon gleich mal am Anfang des Sets, beim Song „Caroline“ zum Schmunzeln bringt. Drauf steht: „Shake It Off“. Der Gerüchteküche zufolge hat sich Taylor Swift wenige Stunden zuvor doch entschieden, dass sie nicht mehr mit Matty Healy Händchen halten will.

Wir sind alle gleich noch ein bisschen betroffener mit ihm, glauben jetzt natürlich, die entgleiste Mimik noch besser deuten zu können, ebenso wie wir ihm später die auf die Worte „I’m done talking!“ reduzierten Zwischenansagen vergeben. Und dann spüren wir übernatürlicherweise natürlich den guten Grant, wenn er Zeilen wie „We’re fucking in a car / shooting heroin / saying controversial things“ hinausplärrt. Wir sind eben auch kleine Mäuse in der Empathiefalle, weil ein Marketinggag wird erst dann angedichtet, wenn es echte Beweise gibt.

The 1975 @Stadthalle Wien

Patrick Münnich

Apropos schon wieder gutes Marketing! Schön langsam summieren sich die Beweise, dass sich Oasis bzw. Noel Gallagher und Matty Healy auch einen kleinen, medialen, gegenseitigen Aufmerksamkeitsboost versprochen haben. Ihr erinnert euch an ein sehr gutes Statement von Matty Healy, in dem er kurz zusammenfasst, was sich ausnahmslos alle Oasis-Fans seit immer denken?

„Can you imagine? Being in potentially right now still the coolest band in the world and not doing it because you’re in a mard with your brother“, Hände gerungen und Kopf geschüttelt. „I love Oasis“, sagt Matty Healy daran anknüpfend gestern Abend, er muss selbst kurz lachen, nachdem er ein paar Takte „Wonderwall“ angespielt hat. Erst am Wochenende hat sich Noel Gallagher in Bezug auf The 1975s Brit-Awards-Gewinn in der Kategorie „Best Rock Band“ erkundigt: „Is it me being a grumpy old man or is this shit?“

Beides stimmt, jedenfalls aber denkt Noel Gallagher halt am liebsten an die 90er- und vielleicht noch frühen 00er-Jahre, als der englische Rock’n’Roll Gitarren, heteronormative Männergestalten und Röhrenjeans bedeutet hat. Seine große Zeit eben, alles inklusive draufhauen, ernst schauen, und vor allem sehr ernst sein. Pathos war da noch keine Peinlichkeit, sondern eine Lebenseinstellung („You and I are gonna live forever!“). Das klappt so heute alles nicht mehr, vielleicht bald wieder, aber der Moment ist noch nicht da. Wer Erfolg haben will, muss laut und nervig und vor allem selbstironisch sein wie Matty Healy, muss Meinungen haben und die viel zu laut sagen, muss einen mal angewidert und dann verliebt schauen lassen, weil Sex auf der Bühne hat noch nie geschadet. In jedem Fall muss er das Gefühl vermitteln, dass da ein Mensch steht - insert quote about Entfremdung im Neoliberalismus - und die sind prinzipiell einfach ab und zu dämlich. Manche von ihnen schreiben gute Songs.

The 1975 @Stadthalle Wien

Patrick Münnich

„We’re the saviors of Rock’n’Roll music, we’re The 1975 from Manchester“, sagt Matty Healy gestern. Wir können, müssen’s aber nicht ironisch nehmen. „At Their Very Best“ stimmt jedenfalls. Weil man halt auch als Band immer ein bisschen so gut ist, wie man sagt, dass man gut ist. Hat was mit Zielen im Leben und wie man zu ihnen hochlebt zu tun. Auch mit Talent. Sehen Sie sich das an, demnächst, in Ihrem Theater.

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