Die Verwechslung
Eine Kolumne von Todor Ovtcharov
Wir haben alle schon Filme gesehen, wo jemand versehentlich das Gepäck von jemandem anderen mit nachhause nimmt. In Filmen ist das lustig, im echten Leben nicht immer. Ich bin einmal mit dem Zug von Berlin nach Hamburg gefahren. Der Zugwagen war überfüllt und ich ließ meinen Koffer auf der speziellen Gepäckplattform am Anfang des Wagens. Als wir in Hamburg waren, nahm ich meinen Koffer und stieg aus. Im Hotel habe ich Hunger bekommen und öffnete den Koffer und sah, dass ich einen fremden Koffer mitgenommen hatte. Das brachte mich zum Verzweifeln.
Im Koffer hatte ich ein halbes Grillhuhn, bestreut mit Paprika, das mein Abendessen sein sollte. Ich stellte mir vor, wie mein Hendl im Bauch eines oder einer anderen verschwindet. Statt meines Hähnchens gab es im Koffer ein paar Damenpatschen mit Plüschriemen und einen Bademantel mit Blumenmuster darauf. Ich hatte am nächsten Tag eine Lesung in einer Buchhandlung und stellte mir vor, wie ich mit diesen Patschen und Bademantel zur Lesung erscheine. Ich strenge mich sehr an, ein tollpatschiges und exzentrisches Image zu pflegen, aber das wäre wohl ein bisschen zu viel. Ich zählte meine mickrigen Ersparnisse nach und ging zum Geschäft, um mir ein neues Hemd zu kaufen.
Meine Versuche, bei der Bahn meinen Koffer wieder zu finden endeten ohne Erfolg, Niemand anderer beschwerte sich über einen verschwundenen Koffer. Ich brachte den Koffer zurück, bekam aber nichts als Gegenleistung. Jemand hatte mit großem Appetit mein Grillhuhn gegessen.
Ich erinnerte mich neulich daran, als ich von der Verwechslung beim Parteitag der SPÖ erfahren habe. Gerade hatte sich jemand gefreut, dass er ein Grillhuhn essen wird und ein anderer zog es ihm wortwörtlich aus dem Mund heraus. Als Beruhigung für denjenigen, der nur zwei Tage Parteivorsitzender war, kann ich nur sagen, dass solche Ereignisse auch Vorteile mit sich ziehen. Ich zum Beispiel habe das Hemd, das ich in Hamburg gekauft habe, immer noch.
Publiziert am 07.06.2023
