Adrettes Murder-Mystery
Die zwei Frauen, mit denen dieser Film beginnt, sind zwar komplett abgebrannt, aber sie sind wunderhübsche junge Damen. Madeleine, eine Schauspielerin, wird des Mordes an einem Theaterproduzenten bezichtigt. Ihre Freundin Pauline, Anwältin ohne Aufträge, vertritt sie wortgewandt vor Gericht. Obwohl Madeleine unschuldig ist, gesteht sie den Mord, wird aber wegen Notwehr freigesprochen: Startschuss einer großen Schauspielerinnen-Karriere. Madeleine und Pauline leben fortan im Luxus.
Der Handlungstwist setzt nach einer Stunde ein: Isabelle Huppert rauscht als Knallcharge mit feuerroten Haaren und Federhut am Kopf ins Bild. Sie gibt den Stummfilmstar Odette Chaumette und beansprucht den Mord am Theaterproduzenten für sich. „Die ausdrucksvollsten Augen der Stummfilmzeit“ - so sagt es im Film ein alter Fan über Odette Chaumette. Aber nicht nur die Augen: Isabelle Huppert bietet alles auf, was an Ausdrucksstärke in ihr ist. Es ist sehr viel. Eine große Schauspielerin ohne Frage, aber das Alter und die Falten darf man Odette Chaumette nicht ansehen.

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Im Film darf das Opfer ungestraft weinen
„Mein Fabelhaftes Verbrechen“ spielt in den 1930er Jahren und basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück. Die Geschichte kommt, nicht zuletzt dank der flachwitzig angelegten Figur eines völlig vertrottelten Richters, reichlich schleppend ins Rollen. Vor Gericht schließlich stellt Madeleine, „alleinstehend, arm und aufrichtig“ die Frage, ob es denn im Jahre 1935 nicht möglich sei, dass eine Frau ihre Karriere ohne Zwänge und in Gleichheit führen könne. Die Frage bleibt rhetorisch und der me too - Moment, den der Film hier für sich beansprucht, ein blinder Fleck. Im Gegensatz zu Amber Heard, an die ich in dieser Szene, als die Filmfigur Madeleine mit Tränen in den Augen ihr Schein-Plädoyer für Gleichberechtigung hält, kurz denken musste, fühlen Gerichtssaal und Öffentlichkeit mit der Frau. Realität und Film liegen sowieso weit auseinander und ich finde das grundsätzlich auch sehr gut so. Aber dass François Ozons „Mein Fabelhaftes Verbrechen“ eine angebliche Haltung, ein feministischer Touch nachgesagt wird, ist ärgerlich und schlicht falsch. Der Theaterproduzent, ein Schwerenöter und Vergewaltiger, wird zwar hingestreckt, aber die Frauen erreichen, was sie wollen, durch Augenaufschlag und Koketterie. Am Ende richten’s sowieso die Männer mit ihrem Geld.

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Ozon und die Freude am Verbrechen
Seit geraumer Zeit werden whodunit und howdunit Mysteries aus der Schnarchecke zurück in den Mainstream geholt und das altvaterisch Verstaubte mit mal besserem, mal schlechterem Witz neu eingefärbt. Demnächst startet die dritte Agatha Christie Neuverfilmung durch Kenneth Branagh in unseren Kinos („A Haunting in Venice“) und Daniel Graig ermittelt als Detektiv Benoit Blanc in Knives Out mittlerweile auch schon zum zweiten mal („Glass Onion - A Knives Out Mystery“).

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François Ozon ist den dunklen Geheimnissen und Verbrechen des Großbürgertums seit Beginn seiner Karriere vor 25 Jahren immer wieder auf der Spur. In seinem ersten Film - „Sitcom“ - gab es surrealistische Elemente, schwarzen Humor, offen angelegte sexuelle Orientierungsversuche und eine Laborratte, die im Grunde die Handlung bestimmt hat. In „8 Frauen“, der letzten Kollaboration zwischen Isabelle Huppert und François Ozon, in dem die titelgebenden acht Frauen alle für den Mord an einem Familienpatron in Verdacht kamen, wurde gesungen und getanzt und haben Schauspielstars wie Fanny Ardant, Catherine Deneuve, Emmanuelle Béart und eben Isabelle Huppert gemeinsam gegeneinander angespielt. Doch seinem aktuellen Film ist die Luft ausgegangen, da merkt man keine Experimentierfreude, Witz und Charme sind einem holzschnittartigen Humor geopfert, „Mein Fabelhaftes Verbrechen“ ist ordentlich, adrett und aufgeräumt.
Publiziert am 31.08.2023