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Szene aus "Fallende Blätter": Mann und Frau sitzen sich am Tisch gegenüber

Sputnik / Malla Hukkanen

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Fallende Blätter: Eine schüchterne Romanze aus dem Kaurismäki-Universum

Statt die Ruhe und den Frieden in seiner Wahlheimat Portugal zu genießen, sah sich der finnische Regisseur Aki Kaurismäki gezwungen, dem Krieg in Europa etwas entgegenzusetzen oder zumindest gegenüber zu stellen. In „Fallende Blätter“ sind aktuelle Kriegsnachrichten aus dem Radio zu hören, in der filmischen und aus der Zeit gefallenen Wirklichkeit verlieben sich zwei Menschen ineinander.

Von Anna Katharina Laggner

Wenn Aki Kaurismäki sich äußert, dann so knapp wie möglich. „Fallende Blätter“ dauert eine Stunde und 20 Minuten, ist also ein Ausreißer in der gegenwärtigen Tendenz, Filme aus- und über zu erzählen. Auch sonst ist der Film alles andere als modern: der Radioapparat, aus dem die Nachrichten über den Krieg in der Ukraine schallen, ist ein Modell aus den 1950er Jahren. Das ist vielleicht das irritierendste an diesem Film: Er ist nicht realistisch im Sinne von Authentizität, er ist treu und wahr in seiner Liebe zu den Figuren.

„Fallende Blätter“ erzählt vom Aufeinandertreffen zweier Menschen: der Supermarkt-Regaleinräumerin Ansa, die gekündigt wurde, weil sie für einen Obdachlosen abgelaufene Ware mitgenommen hat statt diese in den Müllcontainer zu schmeißen. Sowie dem Fabrikarbeiter Holappa; nebenbei bemerkt ein für deutsche Ohren natürlich seltsamer Name, weil er so nah am Hoppala ist. Doch vielleicht weiß der Schelm Kaurismäki um diesen (deutsch)sprachlichen Stolperer im Namen seines Helden bescheid. Holappa ist Arbeiter und hat ein Alkohol-Problem. Nein, im Kaurismäki-Universum verfolgt Holappa eine logische Strategie: ich bin deprimiert, sagt er, weil ich so viel trinke. Aber: ich trinke, weil ich deprimiert bin.

Szene aus "Fallende Blätter": Mann und Frau sitzen nebeneinander im Kino

Sputnik / Malla Hukkanen

Die beiden also, Ansa und Holappa, lernen sich in einer Karaoke-Bar kennen, es entspinnt sich eine Romanze wie aus einem alten Schwarz-Weiß-Film: mit Kino-Besuch, einem Bussi auf die Wange, einer Hand, die sich auf die gebusselte Wange greift und einem Zettel mit Telefonnummer, den der Wind davon trägt. Einsam sind bei Kaurismäki immer alle, in „Fallende Blätter“ sind sie noch ein bisschen einsamer. Aber nicht verzweifelt. „Fallende Blätter“ ist kein deprimierender Film, Holappa durchbricht seine Alkoholikerlogik und Ansa verzeiht den verlorenen Zettel.

Die Räume – sei es die Karaoko-Bar, die Fabrik oder die Wohnung von Ansa – in denen Kaurismäki filmt, scheinen wie kurz vor dem Abbröckeln des Verputzes. Tatsächlich ist das Schäbige und Altvatrische, wie alles bei Kaurismäki, reduktionistisch durchdesigned. Seine wichtigsten cineatischen Querverweise sind in „Fallende Blätter“ (dem vierten Teil der proletarischen Trilogie) Jim Jarmusch und Jean-Luc Godard, der 2019 mit dem Filmessay „Bildbuch“ einen Assoziationsreigen gegen Krieg und Gewalt realisiert hat.

Doch diesen Film zitiert Aki Kaurismäki nicht wirklich, das kann man, muss man aber nicht wissen. Überhaupt ist das Schöne an „Fallende Blätter“, dass er uns die Hand reicht, wo auch immer wir in unserer Kinoerfahrung oder -leidenschaft stehen. Selbst, oder gerade wegen der Dialoge, die keine sind, sondern im Grunde Einzelstatements. Als aus dem Radio wieder keine Musik, sondern Kriegsnachrichten klingen, sagt Ansa: „verdammter Krieg“ und schaltet das Radio aus. Damit ist ja nun wirklich alles gesagt.

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