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Netflix-Serie "1899" Filmstills

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SERIE

„1899“ bietet Mystery im Minutentakt

Mit dem düsteren Zeitreise-Epos „Dark“ erregten die Showrunner Jantje Friese und Baran bo Odar internationales Aufsehen. Jetzt präsentieren sie die teuerste deutsche Serie aller Zeiten. Und sprechen im FM4 Interview über ihre Inspirationen.

Von Christian Fuchs

Bereits in den ersten Minuten spürt man sie, die unheildräuende Atmosphäre, die sich durch alle Folgen von „1899“ ziehen wird. Man kennt eine verwandte Stimmung aus „Dark“, der Vorgängerserie des Produzenten-Duos Jantje Friese und Baran bo Odar. Drei Staffeln lang haben die beiden deutschen Showrunner darin von den Abgründen einer deutschen Kleinstadt erzählt, von Melancholie, Depressionen, Verschwörungen.

Weil „Dark“ seine oftmals schweren Inhalte aber in einen virtuos ausgetüftelten Zeitreise-Thriller verpackte, geriet die Serie zum internationalen Netflix-Hit. „Dark“ wirkte wie „Stranger Things“ ohne die amerikanische Flappsigkeit, radikaler, pathosgeladen, so permanent dunkel wie der plakative Titel. Irgendwie genuin deutsch.

Achtung, wir reden hier etwas ironisch von einem Kulturklischee, zu dem Kraftwerk und Rammstein ebenso gehören wie Friedrich Nietzsche oder das strenge Kino der Berliner Schule. „Das ist mir zu deutsch“ meinten jedenfalls einige im Freundeskreis, die die Serie damals abgebrochen hatten. Eine riesige Mehrheit, zu der der Schreiber dieser Zeilen zeilt, ist dem Mystery-Suchtmittel dagegen bis zum bittersüßen Ende verfallen.

Filmstills aus den Serien  „Wasp Network“, „Eurovision Song Contest: The Story of Fire Saga“ und „Dark“

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„Dark“

Stockdüsteres Kammerspiel auf offener See

Auch mit ihrer neuen Serie liefern Jantje Friese und Baran bo Odar diesbezüglich ab, wie man im Youtuber-Jargon wahrscheinlich sagen würde. „1899“ ist ein stockdüsteres Kammerspiel auf offener See, mit einem internationalem Sammelsurium aus Einwanderer-Charakteren, die es von Europa in die USA zieht. Die multisprachige Besetzung kämpft an Bord mit bedrohlichen Ereignissen, als ein verschwundenes Schwesternschiff plötzlich auftaucht.

Kamera und Sound sind bestechend, das Setting ist äußerst aufwändig. Inszeniert wurde vor gigantischen LED-Hintergründen im Berliner Studio, der etwas artifizielle Look passt zur Abgehobenheit des Plots. Wie immer beim Ehepaar Friese und Baran bo Odar zeichnet sie für die Drehbücher verantwortlich, er für die Regie.

Auf humoristische Zwischenspiele und überhaupt Auflockerungen jeglicher Art verzichten die beiden auch in „1899“. Im Gegensatz zum getragenen Vorgänger „Dark“ ist das Tempo der tatsächlichen teuersten deutschen Serie aller Zeiten aber gewaltig. Wie hier stellenweise fast schon im Minutentakt immer neue Geheimnisse aufflackern, dürfte konkurrenzlos sein.

Das FM4 Gespräch mit Jantje Friese und Baran bo Odar drehte sich gleich am Anfang um diese Frage: Wie schwierig ist es, bei solchen genau durchkonstruierten Spannungsbögen auch Geschichten mit Tiefe zu erzählen oder Figuren zu entwickeln?

Jantje Friese: Es ist nicht einfach, lautet die einfache Antwort. Das Schreiben und Konstruieren ist wie ein Puzzlespiel. Wir fangen erst mal mit einer sehr kleinen Idee an. Das ist meistens das Thema und wir versuchen, das dann auf eine ganz, ganz einfache Art zu erzählen. Und dann packen wir Dinge additiv drauf, das heißt, die Figuren kommen dazu, die Welt kommt dazu, die Konflikte kommen dazu. Ich glaube aber, was das Wichtigste ist, was du angesprochen hast: Wenn man eine Geschichte hat, die so kompliziert konstruiert ist und die so viele Fragen aufwirft, ist es am Ende, dass die Figuren und die Figurenmotivation stimmen müssen. Denn das ist, was die Zuschauer am Ende wirklich interessiert und auch mitzieht durch so eine Reise.

Wenn mich die Figuren und deren Probleme nicht interessieren, die Probleme der Figuren nicht interessieren, wenn ich denen nicht irgendwie nahekommen, mit denen nicht mitfühlen kann, dann fühlt es sich eben alles ein bisschen kalt an. Und das ist genau das, was wir nicht wollen. Uns interessiert die Psychologie von Charakteren und das ist eigentlich das, wo unser Fokus draufliegt – auch wenn es im Konstrukt aussieht, als würde unser Fokus woanders liegen. Wirklich, wir verbrauchen sehr, sehr viel Zeit für die ganze Figurenentwicklung.

Netflix-Serie "1899" Filmstills

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Das Ende am Anfang

Wie entwickelt ihr diese Stoffe gemeinsam? Gibt es da eine spezielle Arbeitsweise? Eine Frage gleich noch dazu: Wisst ihr die Auflösung bei euren Serien schon am Anfang?

Baran bo Odar: Also die große Auflösung wissen wir relativ früh – nicht gleich am Anfang. Meistens ist es eine Idee, die sich sehr groß erst anfühlt und dann wieder ein bisschen kleiner wird und dann wieder groß wird. Das ist immer wie so ein Pingpong-Spiel: Einer sagt etwas, der andere reagiert darauf. Viele Ideen werden auch einfach nur abgeschossen, weil sie nichts mit einem machen und da ist es ganz gut, einen Partner zu haben, weil auch nicht jede Idee ist es wirklich wert, verfolgt zu werden.

Aber manchmal sagt man etwas und dann merkt man bei dem anderen: Ah, da ist was richtig Interessantes dran! Dann fängt man, das hin und her zu spielen und fügt Sachen hinzu und dann wird es plötzlich langsam ein Kuchen quasi, der eine Form annimmt, den man vielleicht auch essen will und dann tut man noch Sahne drauf und dann noch ein paar Himbeeren und gestaltet das immer mehr. Und relativ früh, wie ich vorhin gesagt habe, im Prozess wissen wir aber dann schon: Wo muss es denn hingehen? Denn wenn man nicht so ein Endziel hat, dann ist ja die Gefahr immer, dass man sich auch verrennen kann – gerade bei Mystery.

So wussten wir auch immer relativ früh den Schluss von „Dark“, aber es ist trotzdem ein Prozess dahin zu kommen. Da verändert sich noch wahnsinnig viel, man macht Abzweigungen, aber lustiger Weise endet man dann doch wieder beim Grundthema, bei der Grundidee.

Danke für die Erwähnung, denn ich wollte euch nämlich gratulieren zur Auflösung und zur finalen Folge von „Dark“. Ich muss sagen, ich weine sehr selten bei Serien, doch die letzten beiden Folgen, die letzten Momente, wenn die Musik von Soap & Skin dann einsetzt, das hat mich gekriegt.

bo Odar: Das ist doch gut (lacht).
Friese: Danke.

Ich hoffe auf eine berührende Auflösung oder bewegende Auflösung jetzt auch bei „1899“.

bo Odar: (lacht) Okay, der Druck ist da.

Jantje Friese und Baran bo Odar im FM4 Interview

Christian Fuchs / Netflix

Bilder, Sounds und die eigene Handschrift

Welches Reservoir zapft ihr punkto Style und Ideen an? Also ich spüre da Elemente zum Beispiel von Stephen King manchmal, von „Lost“, aber euer Look imitiert nicht amerikanisches Genrekino – es ist etwas Eigenes, wo kommt das her?

Friese: Also definitiv sind die Quellen, die du jetzt gesagt hast, auf jeden Fall total richtig. Ich glaube, wir haben beide einen sehr, sehr ähnlichen Geschmack, ich glaube, das ist schon mal ganz wichtig. Stephen King war ein Super-Influence, David Lynch, aber auch „Lost“ auf jeden Fall – eine der größten Serien, wie wir bis jetzt immer noch finden, auch wenn da das Ende nicht ganz so gelaufen ist, wie die Zuschauer sich das gewünscht haben. Aber diese Mystery-Reise hat uns total Spaß gemacht im verschachtelten Erzählen. Visuell gibt es, glaube ich, noch einmal andere Einflüsse und es ist interessant, dass du sagst, dass es sich nicht so nach Hollywoodkino anfühlt, weil auch das koreanische Kino auchv ein ganz großer Einfluss zum Beispiel ist. Ich glaube in dieser Mischung aus den unterschiedlichen Dingen, die uns interessieren, auch teilweise Fotografie – also kommt aus einer ganz, ganz anderen Richtung –, hat sich dann diese ganz eigene Filmsprache entwickelt, die so vielleicht ein bisschen unsere Handschrift ist.

Ihr habt auch eine eigene Sound-Sprache. Und ihr arbeitet wieder mit Ben Frost zusammen. Wie wichtig ist dieses konstante, ich sage einmal, Doom & Gloom-Feeling, das die Musik verbreitet für eure Serien?

bo Odar: Wahnsinnig wichtig. Für uns ist der Ton sogar immer wichtiger als das Bild. Wir sagen gerne immer das Beispiel: Man kann „The Shining“ anschauen und den Ton ausmachen und es ist überhaupt nicht gruselig. Aber man kann „The Shining“ auch kurz ohne das Bild angucken und man kriegt trotzdem sofort so ein eerie feeling und fühlt sich irgendwie unwohl. Weil wir wirklich glauben, dass das Sound-Design und die Musik und alles, auch Sprache, eigentlich die Welt erst kreiert und lebendig macht und eine Tonalität schafft und gemeinsam mit dem Bild dann das Gesamtwerk ist.

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Umso wichtiger ist es, dass wir auch mit so fantastischen Leuten arbeiten wie Ben Frost, weil er hat einen sehr ähnlichen Ansatz wie wir, der auch sehr spielerisch an die Dinge herangeht und erst mal ausprobiert. Er sagt immer, er geht das sehr traumhaft an – also er arbeitet sehr viel auch aus dem Bauch heraus. Er muss erst mal in eine Richtung blind gehen, um ein Gefühl zu bekommen, um zu verstehen, ja, das ist die richtige Richtung oder nicht. Also gar nicht so konstruiert, wie so Sachen immer wirken. Wir sind gar nicht so verkopft oder kalt, sondern manchmal ist es auch ein Bauchgefühl, das sagt: Ja, genau, das ist gut, da muss es hin. Und dann versuchen wir, es mit dem Kopf zu lösen, eine Logik hineinzubringen, ein System, das dann irgendwie funktioniert.

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